Kapitel Sieben

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Luciel starrte in die Leere, sie zurück. Die Stunden der Nacht waren an ihm vorbeigezogen, ohne ihm die Gnade eines einzelnen Augenblickes Schlafes zu gewähren. Stattdessen hatte er wachgelegen – bis die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont geklettert waren, bis die Vögel ihre Gesänge begannen hatten zu üben und sogar bis die Nachtwache ihre letzte Runde durch den Wald beendet hatte. So sehr er es auch versucht hatte, so erschöpft er auch gewesen war, das Chaos in seinem Kopf, die Sorgen in seiner Brust – sie hatten ihn trotz aller Müdigkeit bei Bewusstsein gehalten.

„Ist das Wasser zu kalt?"

Der Klang einer fremden Stimme ließ ihn zusammenzucken. Rosenblüten, die zuvor ruhig auf der Wasseroberfläche geschwebt hatten, wurden erfasst von wilden Strömen, als Luciel sich in Entsetzen umkehrte. Jenseits des Wandschirms erkannte er die Umrisse eines Dieners. Hatte er die gesamte Zeit dort gesessen? War er nicht vor zehn Minuten bereits gegangen?

„Es ist perfekt", entgegnete Luciel und versank tiefer im hölzernen Becken.

Unter der Oberfläche atmete er aus, Dampf erhob sich im Raum und das Wasser begann leicht zu brodeln. Die vergangene Nacht hatte ihre Spuren an ihm hinterlassen. Nachdem Yao ihm die Schatulle am Strand abgenommen hatte und daraufhin im Wald verschwunden war, hatte Luciel mit allem gerechnet: Dass Wachen ihn festnahmen auf dem Rückweg, ihn zwischen Ästen und Büschen heraus beobachtet hatten, dass sie ihm in seinem Gemach auflauerten, im Schlaf entführten, ihn in den Kerker sperrten und so lange befragten, bis er gezwungen war, sein Geheimnis preiszugeben. Eine Hochzeit wäre einer Ausstoßung oder im besten Fall einer Hinrichtung gewichen. Doch nichts davon war eingetreten. Weder Yao noch Hapidea hatte er bis zu diesem Moment getroffen und verhaftet hatte man ihn ebenfalls nicht.

Noch nicht.

Doch selbst wenn die Schatulle in Hapideas Hände gefallen war, ohne heiliges Feuer würde er niemals an die verborgene Nachricht gelangen. Und das Verbrennen einer Box am Strand diente anscheinend nicht als Grund für eine Ausstoßung.

Luciel tauchte auf, die Lungen brannten. Kühle Luft drang durch das offene Fenster und küsste seine gleißende Haut. Mit der Hitze hatte er es wohl übertrieben.

„Wie wird die Hochzeit ablaufen?", fragte er in den Raum.

Die Worte lösten sich nur schwer von seiner Zunge. Mit ihnen jedoch erschlich ihn die ernüchternde Erkenntnis, dass dies nicht nur ein Albtraum war, sondern seine neue Realität. Eine Realität, in der er in weniger als zwei Stunden eine vollkommen fremde Frau heiraten würde. Man sollte ihn dennoch nicht missverstehen; Als Prinz eines großen Königreiches war ihm stets bewusst gewesen, dass die Chancen einer Ehe aus Liebe äußerst gering waren. Doch schien ihm die Entscheidung über diese Hochzeit eine eher überraschende und spontane gewesen zu sein. Zumindest hatte er selbst davon nur vor nicht allzu langer Zeit erfahren. Wie wertvoll war dieses Artefakt bloß, dass Luciels Vater nicht einmal gezögert hatte, den Prinzen mithilfe dieser Methode nach Aurin zu bringen?

„Die Zeremonie beinhaltet das Niederschreiben der Trauschwüre vor weltlichen und himmlischen Zeugen. Darauf folgt das Festtagsbankett", antwortete der Diener irgendwo hinter ihm.

Seine Finger langten nach einer Rosenblüte. Die bunten Blätter schmiegten sich angenehm weich an seine Haut an. Das Niederschreiben der Trauschwüre? Was wollte er einer Fremden versprechen? Der König hatte ihm die Rückkehr nach Zephyr zugesichert; wie lange würde diese Ehe dann überhaupt bestehen bleiben?

„Ich hatte es mir aufwendiger vorgestellt."

Ob Vinadea ebenfalls zu dieser Ehe gedrängt worden war wie er? Dieser Gedanke erstickte das beißende Gewissen in seiner Brust für einen Augenblick. Wenn auch sie nicht gänzlich aus freien Stücken dieser Vereinigung zugestimmt hatte, läge es dann nicht in ihrem Interesse, dass Luciel so früh wie möglich die Insel wieder verließ? Doch wer sollte sie zu der Hochzeit zwingen? Hapidea?

„Normalerweise gehört das Grüßen der Eltern zu der Zeremonie dazu, aber unser Meister hat sich entschieden, diesen Teil zu überspringen."

„Wo sind ihre Eltern?", fragte Luciel.

„Die Eltern der Meister sind früh verstorben. Seither haben sich die Dorfältesten um ihre Erziehung und Bildung."

Luciel drehte sich erneut zum Diener um. Entspannt lagen seine Arme auf dem Rand der Badewanne und färbten die Holzdielen in dunkleren Nuancen. Kaum hatte der erste Windzug seine feuchte Haut gestreift, brach Gänsehaut auf seinem Körper aus. Einige Blütenblätter klebten an ihm fest. Er legte den Kopf auf dem Holz ab und versuchte die Gesichtszüge des Dieners durch die milchige Barriere auszumachen, "Wenn ihre Eltern so früh verstorben sind, seit wann ist Hapidea denn Herr dieser Insel?"

„Das kann ich Euch nicht sagen, Eure Hoheit. Ich diene noch nicht lange hier."

Die Stimme flimmerte, Luciel bemerkte es sofort. Einem Jagdhund gleich witterte er eine Chance. War es ein Zeichen von Angst? Nervosität? Vorhin hatte der Diener noch selbstsicherer geklungen! Etwas im Prinzen kämpfte sich den Weg hinauf bis zu seiner Zunge und stürzte sich hinaus. Es war sein Instinkt. Das Misstrauen, welches ihm von klein auf anerzogen wurde und nun zum Angriff ansetzte.

„Wie lange bist du schon hier? Wo kommen die anderen Diener her? Aus Verindae? Zephyr? Aquilis? Serin?"

Diese kleine Insel konnte niemals in der Lage sein, genug Bevölkerung hervorzubringen, um diesen Hofstaat zu unterhalten! Das hatte Luciel bereits gedacht, kaum hatte er den ersten Schritt auf aurinischen Boden gesetzt. Die Menge an Wachen, Dienern und Köchen könnte niemals alleinig von den Dorfbewohnern besetzt werden. Zumal er nie auch nur einen Bewohner außerhalb der winzigen Siedlung arbeiten gesehen hatte!

„Wir sollten in Euer Gemach zurückkehren. Yao wartet sicherlich bereits."

Götterparabeln I: HimmelserklimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt