die WG

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Am späten Nachmittag verlassen die Kollegen der Rettungswache zusammen mit Toni das Gebäude. Das Wetter hat sich verschlechtert, und ein feiner Nieselregen bedeckt die Straßen. Sie sind auf dem Weg zu einer besonderen Unterkunft: der Wohngemeinschaft von Alex, Phil, Oliver, Florian, Franco und den beiden Polizisten Stephan und Tom. Ein untypisches Arrangement für eine Gruppe, die sonst das Arbeitsleben in der Rettungswache und bei der Polizei meistert, doch in Momenten wie diesem zeigt sich, warum ihre Konstellation mehr ist als nur ein Wohnort. Es ist ein Zuhause.

„Keine Sorge, Toni“, sagt Phil, während sie im Dienstwagen sitzen und durch die verregneten Straßen Kölns fahren. „Wir haben alles mit dem Jugendamt abgesprochen. Für heute Abend bleibst du bei uns. Danach sehen wir weiter.“

Toni sitzt still im Beifahrersitz, eingewickelt in eine warme Decke, die Paula ihr noch mitgegeben hat. Ihre Augen sind müde, und das ständige Beben ihrer Hände ist noch immer nicht verschwunden. Die Polizisten Stephan und Tom fahren hinter ihnen her. Es ist eine spontane Entscheidung gewesen, Toni über Nacht bei sich aufzunehmen, doch niemand hatte gezögert. Diese Nacht wird sie nicht ins Heim zurückkehren müssen – das hatten sie sich geschworen.

Als sie in der großen Altbauwohnung ankommen, öffnet Franco die Tür mit einem breiten Lächeln. „Willkommen bei uns, Toni. Mach dir keine Sorgen – hier gibt es keine Regeln außer der, dass du dich wohlfühlen sollst.“ Sein Ton ist sanft, aber auch voller Wärme, und Toni spürt, wie sich etwas in ihrer Brust löst. Es fühlt sich nicht wie ein fremder Ort an, sondern fast ein bisschen wie ein Schutzraum.

„Danke“, murmelt sie leise und tritt vorsichtig über die Schwelle. Die Wohnung ist lebhaft, mit vielen persönlichen Gegenständen und Fotos an den Wänden. Es gibt ein großes Wohnzimmer, das gleichzeitig als Gemeinschaftsraum dient, und eine offene Küche, die förmlich nach Gemütlichkeit schreit. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und gebackenen Keksen hängt in der Luft.

Oliver, den alle nur „Oli“ nennen, kommt gerade mit einem Backblech aus der Küche. „Hey, Toni! Ich habe spontan ein paar Kekse gebacken. Ich hoffe, du magst Schokolade?“

Toni nickt schwach, und ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Das alles fühlt sich surreal an. Gerade noch war sie in einem kalten Heim, umgeben von Menschen, die sie für ihre Schwäche verachteten – und jetzt steht sie in einer Wohnung voller fremder Menschen, die sie willkommen heißen, als wäre sie Teil einer Familie.

„Setz dich ruhig“, sagt Alex und deutet auf das große Sofa im Wohnzimmer. „Mach es dir bequem. Und wenn du irgendetwas brauchst, sag uns einfach Bescheid.“

Sie lassen Toni ein paar Minuten, um sich zu sammeln, während die Männer sich in der Küche um das Abendessen kümmern. Franco und Florian witzeln über das richtige Verhältnis von Nudeln zu Sauce, während Tom und Stephan die Utensilien aus dem Schrank holen. Es ist fast, als wäre Toni gar nicht da – aber auf eine gute Weise. Keiner starrt sie an, keiner drängt sie zu reden, keiner verurteilt sie.

Phil setzt sich schließlich zu ihr, eine dampfende Tasse Tee in der Hand. „Wie fühlst du dich jetzt?“ fragt er leise.

Toni zuckt mit den Schultern. „Es ist… alles so viel“, gibt sie zu. „Ich… ich weiß nicht, was ich denken soll.“

„Das ist in Ordnung“, sagt Phil sanft. „Niemand erwartet, dass du sofort eine Lösung findest. Du hast einen harten Tag hinter dir.“

„Mehr als nur einen“, murmelt sie und sieht kurz auf. „Ich weiß, ihr wollt mir helfen… aber… warum? Warum macht ihr das alles für mich? Ich bin nur ein Problem.“

Phil schüttelt entschieden den Kopf. „Du bist kein Problem, Toni. Du bist ein junges Mädchen, das das Pech hatte, in eine schreckliche Situation zu geraten. Das ist alles. Wir machen das, weil du es wert bist. Weil du das Recht hast, in Sicherheit zu leben.“

„Wir haben uns dazu entschieden“, fügt Stephan hinzu, der sich mit einer Tasse Kaffee zu ihnen gesellt, „weil wir glauben, dass es für dich besser ist, an einem Ort zu sein, an dem du dich sicher fühlen kannst, während wir alles Weitere regeln.“

Toni sieht sich um. Alle in der WG scheinen beschäftigt, als wäre es das Normalste der Welt, dass sie hier ist. Franco und Flo decken gerade den Esstisch, während Tom und Alex die Gerichte vorbereiten. Die lockere Atmosphäre entspannt sie, auch wenn sie noch immer nicht ganz glauben kann, dass das hier wirklich passiert.

„Ihr… seid wie eine Familie“, sagt sie schließlich und überrascht sich selbst mit diesem Gedanken. Die Männer in der WG sehen auf und lächeln.

„Genau das wollen wir sein“, antwortet Oliver und reicht ihr einen warmen Schokokeks. „Für heute Abend sind wir deine Familie. Also mach dir keine Sorgen und iss so viele Kekse, wie du magst.“

Ein sanftes Lächeln breitet sich auf Tonis Gesicht aus. Vielleicht nur für diesen Moment, vielleicht nur für heute – aber es fühlt sich an, als ob die Dunkelheit, die sie so lange umgeben hat, ein kleines bisschen heller wird.

Mut im Schatten (ASDS FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt