verfluchte Angst

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Toni spürt, wie sich die Welt um sie herum verengt, während sie sich durch die Flure der Rettungswache bewegt. Ihr Kopf fühlt sich schwer an, und in ihrem Magen bildet sich ein unerträgliches Knäuel. Sie weiß nicht, warum sie hierhergekommen ist. Alles fühlt sich falsch an, als ob sie nicht hier sein sollte. Die Stimmen der Besucher und die geschäftige Atmosphäre um sie herum verschwimmen zu einem dumpfen Hintergrundgeräusch. Ihre Hände zittern, als sie die Toilettentür aufstößt.

Kaum hat sie die Kabine betreten, schließt sie die Tür hinter sich ab, lehnt sich dagegen und lässt sich langsam auf den kalten Fliesenboden sinken. Ihr Atem wird schneller, und ihr Herz schlägt hart gegen ihre Brust. Sie umklammert ihren Bauch, als ob das die Unruhe in ihr beruhigen könnte. Tränen schießen ihr in die Augen, und sie beginnt leise zu wimmern. Sie weiß nicht mehr, warum sie überhaupt hier ist, was sie sich erhofft hat. War es die Neugier? Ein Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören? Oder vielleicht die Hoffnung, jemanden zu finden, der ihre stille Not bemerkt?

Doch jetzt fühlt sich alles nur noch überwältigend an. Ihre Kehle schnürt sich zu, und der Druck in ihrem Magen wird unerträglich. Sie beugt sich über die Toilette und versucht, das aufkommende Würgen zu unterdrücken, aber es gelingt ihr nicht. Ein schwallartiger Brechreiz überkommt sie, und sie erbricht sich heftig. Es fühlt sich endlos an. Sie klammert sich an den Rand der Toilettenschüssel, während ihr Körper sich wieder und wieder verkrampft. Schließlich kommt nichts mehr außer Magensäure, doch das Würgen hört nicht auf. Ihr ganzer Körper zittert, und heiße Tränen laufen ihr über das Gesicht.

Während Toni dort kniet und das Gefühl hat, dass sie die Kontrolle völlig verliert, hört sie, wie jemand den Waschraum betritt. Eine Besucherin bleibt kurz stehen und hört das verzweifelte Würgen aus der Kabine. Besorgt runzelt sie die Stirn und verlässt das Bad, um nach Hilfe zu suchen.

Im Aufenthaltsraum, schräg gegenüber den Toiletten, sitzen Phil, Florian und Alex zusammen, trinken Kaffee und unterhalten sich entspannt. Der Tag der offenen Tür verläuft ruhig, und sie genießen die kurze Pause. Als die Besucherin hereinkommt, wirkt sie etwas besorgt. „Entschuldigung“, sagt sie, „aber im Badezimmer ist ein junges Mädchen. Sie übergibt sich und scheint richtig schlecht dran zu sein.“

Phil springt sofort auf. „Wie alt ungefähr?“ fragt er schnell, während Florian und Alex ebenfalls aufmerksam werden.

„Ich weiß nicht genau, vielleicht 13 oder 14? Sie ist in einer Kabine eingeschlossen und hört nicht auf, sich zu übergeben“, erklärt die Frau.

Phil wirft einen schnellen Blick zu Alex und Florian. „Das muss Toni sein. Sie wirkte schon den ganzen Tag etwas nervös“, murmelt er, bevor er sich eilig in Richtung der Toiletten aufmacht. Alex und Florian folgen ihm, bereit, zu helfen.

Im Badezimmer angekommen, klopft Phil behutsam an die Tür der Kabine. „Toni? Hier ist Phil“, sagt er ruhig, während er mit dem Ohr an der Tür lauscht. „Alles okay da drin?“

Ein leises Wimmern und Schluchzen ist zu hören, aber Toni antwortet nicht. Phil nimmt sich einen Moment, atmet tief durch und spricht mit einer sanften, beruhigenden Stimme weiter. „Toni, ich weiß, es geht dir gerade nicht gut. Aber du bist hier nicht allein, okay? Wir sind da, um dir zu helfen. Öffnest du bitte die Tür für mich?“

Nach ein paar Sekunden des Schweigens hört man, wie der Riegel der Kabinentür langsam zurückgeschoben wird. Phil öffnet die Tür vorsichtig und sieht Toni, die blass und zitternd auf dem Boden kniet. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt, und sie sieht völlig erschöpft aus. Neben ihr ist die Toilette, die deutliche Spuren ihres heftigen Erbrechens zeigt.

Phil kniet sich sofort zu ihr hinunter, bleibt ruhig und einfühlsam. „Hey, alles gut. Du bist in Sicherheit“, sagt er sanft, während er ihr eine Hand auf die Schulter legt. Alex und Florian stehen hinter ihm, bereit, falls weitere Maßnahmen nötig sein sollten. „Wir kümmern uns jetzt um dich. Kein Grund, dich zu schämen, das passiert vielen Leuten.“

Toni schluchzt und wischt sich die Tränen aus den Augen, obwohl neue nachfließen. „Es tut mir leid… ich weiß nicht… warum ich hier bin“, stammelt sie verzweifelt. „Ich hab so Angst…“

„Das musst du nicht“, sagt Phil leise und beruhigend. „Du hast heute einen mutigen Schritt gemacht, Toni. Manchmal wird uns alles zu viel, und das ist okay. Du bist stark, auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt.“

Florian hat inzwischen eine kleine Flasche Wasser aus seiner Tasche gezogen und reicht sie Phil, der sie vorsichtig öffnet und Toni anbietet. „Hier, trink einen kleinen Schluck, das hilft“, sagt er, und Toni nimmt das Wasser zögernd an. Sie trinkt einen kleinen Schluck, während sie noch immer zittert, aber die Nähe und das Verständnis der Rettungskräfte geben ihr ein Gefühl der Sicherheit, das sie so lange vermisst hat.

„Wir bringen dich jetzt in den Aufenthaltsraum“, sagt Phil, als er ihr sanft hilft, aufzustehen. „Da kannst du dich ein bisschen ausruhen. Wir bleiben bei dir, okay?“

Toni nickt nur schwach, während sie sich von Phil stützen lässt. Langsam führt er sie hinaus, während Alex und Florian dicht hinter ihnen hergehen. Die Sorge in ihren Gesichtern ist unverkennbar, aber sie wissen, dass Toni in ihrer Obhut sicher ist.

Im Aufenthaltsraum angekommen, setzen sie Toni auf ein Sofa. Phil bleibt an ihrer Seite, während Alex und Florian leise beraten, ob sie weitere medizinische Maßnahmen ergreifen müssen. Aber Phil merkt, dass es nicht nur um Tonis körperliche Verfassung geht. Es ist die Angst, die sie lähmt, und die Erschöpfung, die in ihren Augen liegt.

„Toni“, sagt Phil schließlich leise. „Wir sind hier, um dir zu helfen. Egal, was los ist – du musst das nicht alleine durchstehen.“

Toni nickt schwach, und für einen kurzen Moment blitzt ein Funken Hoffnung in ihren Augen auf. Sie ist nicht mehr allein, und vielleicht, nur vielleicht, könnte sie hier Menschen finden, die sie verstehen und unterstützen.

Mut im Schatten (ASDS FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt