27 | Dunkle Pfade

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Sophie spitzte die Ohren. Hatte sie Ömmes gerade richtig verstanden? Hatte er gerade wirklich gesagt, dass es eine Möglichkeit gäbe, wie Sophie die schrecklichen Träume loswerden könnte?

"Ist das die Wahrheit? Gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, diese Träume loszuwerden?", energisch rückte Sophie ein Stück näher an das gekippte Fenster.

"Oh ja, die gibt es. Aber sei gewarnt. Du bist nicht die erste und wirst bestimmt auch nicht die letzte Katze sein, die versucht diesen Fluch loszuwerden. Ich habe bereits viele Katzen scheitern sehen. Es wird nicht einfach werden und sehr gefährlich. Also überlege dir gut, ob es dir diese Reise wert ist."

Bei dem Begriff Fluch zuckte Sophie zusammen. Bisher hatte niemand diesen Begriff in den Mund genommen. Das jetzt so unverblümt von Ömmes zu hören, machte Sophie deutlich, in welchen Schwierigkeiten sie steckte. Und dass diese Träume nicht bloß lebhafte Träume oder Visionen waren. Sondern dass sie dazu da waren, um Sophie zu bestrafen. Um ihr das Leben schwer zu machen, wenn sie schweißgebadet aus einem dieser Träume erwachte. Oder noch schlimmer, wenn sie es nicht rechtzeitig schaffte, die in Schwierigkeiten geratene Katze zu retten.

Aber so schockiert wie Sophie gerade war, umso mehr wollte sie über den Fluch erfahren. Und noch viel wichtiger, wie konnte sie ihn brechen? Deswegen wandte sie sich wieder aufgeregt an Ömmes: "Wo kommt dieser Fluch her? Und wie kann ich ihn brechen?"

"Weit weg von diesem Ort, hinter Feldern und durch einen Wald hindurch, lebte vor langer, langer Zeit ein Katzenvolk in den Tiefen einer Höhle. Es hieß, dass diese Katzen etwas mit dem Fluch zu tun hatten. Aber das Gedächtnis des alten Ömmes ist leider nicht mehr das Beste. Ich kann mich an die Geschichte nicht mehr erinnern."

Sophie peitschte wütend mit dem Schwanz. Das durfte doch nicht wahr sein! Nicht schon wieder eine Sackgasse. Sie war so nah dran gewesen, endlich zu erfahren, wie sie wieder zum Menschen werden konnte.

"Aber einer meiner Söhne, Chili, wohnt noch in der Nähe der Höhlen, in denen angeblich das Katzenvolk lebte", redete Ömmes weiter. "Wenn ihr ihn findet, dann kann er euch bestimmt weiterhelfen."

Sophie sprang auf und wandte sich an Ömmes: "Wo wohnt Chili? Kannst du uns den Weg beschreiben? Wir werden ihn finden!" Sophie durchströmte eine Woge der Hoffnung, aber gleichzeitig hatte sie auch einen Stein im Magen. Ihr war nicht entgangen, dass sich Toni auffällig zurückgezogen hatte, während Sophie mit Ömmes sprach. Und ihr war klar, dass sie Toni davon erzählen musste, was sie getan hatte. Und dass die Konsequenz davon war, dass sie alleine Chili finden musste, ohne Tonis Hilfe.

Ömmes berichtete Sophie ausführlich, wie sie Chili finden konnte. Schnell wurde ihr klar, dass Chili nicht in derselben Stadt wohnte. Er schien irgendwo auf dem Land zu leben. Sie musste also die Stadt verlassen und sich durch Felder und Wälder schlagen, um an den Ort zu kommen, an dem sich Ömmes Sohn aufhielt.

Nachdem Ömmes ihnen viel Glück für ihre Reise gewünscht hatte und sie sich voneinander verabschiedet hatten, wiederholte Sophie in Gedanken immer und immer wieder die Wegbeschreibung von Ömmes. Sie durfte das auf keinen Fall vergessen. Als Toni und sie ein Stück entfernt vom "Cat Café" waren, räusperte sich Toni und fragte: "Möchtest du mir vielleicht jetzt erzählen, was Ömmes vorhin meinte, dass du deinen wahren Weg verlassen hast und auf dunklen Pfaden gewandelt bist?"

Sophies Herz wurde schwer, aber sie wusste, dass sie Toni nun die Wahrheit über die verletzte Katze sagen musste. Es gab keinen Ausweg mehr. Dass sie aber eigentlich ein Mensch war, das behielt sie lieber für sich. Sie holte tief Luft und begann zu erzählen: "Toni, ich möchte, dass du weißt, dass ich mich mittlerweile geändert habe. Ich weiß, dass ich damals einen schrecklichen Fehler begangen habe, den man nie wieder gut machen kann. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich es bereue, was ich damals getan habe."

"Erzähl mir doch erstmal die Geschichte und dann entscheide ich, ob ich dir glaube oder nicht."

Bei seinen kalten Worten gefror Sophie das Blut in den Adern. "Vor einiger Zeit war ich in einer Seitenstraße unterwegs. Das war noch bevor wir uns kennengelernt haben. Ich war voller Wut und Zorn und hatte keine Kontrolle über meine Gefühle und mein Handeln. Plötzlich sah ich, wie eine Katze in dem Moment über die Straße rannte, als eines dieser Donnermonster kam. Es kam zum Unfall. Die Katze wurde von diesem Donnermonster getroffen und das Ding fuhr einfach weiter und kümmerte sich nicht um die verletzte Katze. Und ich. Ich war so voller Wut und Zorn über alles und jeden, dass ich die verletzte Katze einfach liegen ließ. Ich war der Meinung, sie würde es schon allein schaffen und dass mich das alles nichts anginge. Dass ich mich so sehr täuschen konnte, damit hätte ich niemals gerechnet", Sophie warf einen verunsicherten Seitenblick zu Toni. Doch der sah nur auf den Boden vor sich. Also erzählte Sophie weiter.

"Kurz darauf haben wir uns kennengelernt und ich bin wieder zur Besinnung gekommen. Meine Wut und mein Zorn legten sich plötzlich, als ich deine Herzlichkeit und deine Wärme spürte. Ich vergaß, was ich getan hatte. Gleichzeitig fingen aber auch diese Träume an. Ich hatte jedoch keine Ahnung, dass das mit dem Unfall der Katze und meinem Fehlverhalten zu tun hatte. Du musst mir glauben, Toni, ich habe mich geändert. Ich würde einer Katze niemals wieder meine Hilfe verweigern. Mir tut das alles so schrecklich leid."

Sophie hörte auf zu erzählen und wartete, ob Toni sich noch zu Wort melden würde. Er starrte weiter auf den Boden vor sich und es dauerte eine Weile, bis er Sophie eine Antwort gab: "Dass dein Verhalten von damals falsch war, muss ich glaube ich nicht erwähnen. Wie konntest du eine verletzte Katze einfach so zurücklassen? Stell dir doch mal vor, du wärst diese Katze gewesen und hättest dringend Hilfe gebraucht. Es ist wichtig, dass wir einander helfen und uns nicht gegenseitig im Stich lassen."

"Ich weiß", erwiderte Sophie kleinlaut. "Es tut mir wirklich so unfassbar Leid."

"Das weiß ich. Und das vorhin bei Ömmes, habe ich ernst gemeint. Die Sophie, die ich kennengelernt habe, würde einer Katze in Not niemals ihre Hilfe verweigern. Ich weiß nicht, wer du früher warst, aber etwas in dir hat sich verändert und dir Mitgefühl gegeben."

"Das heißt, dass du mir verzeihst?"

"Ich möchte nicht sagen, dass ich nicht erschüttert über dein damaliges Verhalten bin. Aber wir sind alle Lebewesen und wir machen alle Fehler. Wichtig ist, dass wir daraus lernen. Und ich glaube, das hast du getan."

Toni schmiegte für einen kurzen Augenblick seinen Kopf gegen Sophies. Und Sophie durchströmte eine Woge der Wärme. Sie hatte das Gefühl, als würden ihr Hundert Steine vom Herzen fallen, jetzt wo sie über diese Sache geredet hatte. Sie blickte Toni in die Augen und er erwiderte ihren Blick und sagte: "Und jetzt lass uns mal diesen Chili finden, oder?"

Mit neuem Mut machten sich Sophie und Toni gemeinsam auf den Weg zu Chili.

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt