29 | Chili

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"Hey, Sophie, aufwachen."

Sophie spürte ein Kitzeln an ihrem linken Ohr. Schlaftrunken öffnete sie die Augen und erkannte Toni vor sich sitzen, der mit der Schwanzspitze sanft an ihr Ohr tippte, um sie zu wecken. Sie gähnte herzhaft und stellte fest, dass sie es doch irgendwie geschafft hatte, auf diesem Ast einzuschlafen. Sie blickte in den Himmel, es musste noch früh am Morgen sein, aber die Sonne war bereits aufgegangen. Der Himmel war strahlend blau, keine Spur mehr von den schweren, schwarzen Wolken, die sich gestern über die Erde ergossen.

"Ich habe die Lage bereits geprüft", sagte Toni. "Ich kann keine Hunde mehr riechen. Zumindest keine frischen Spuren. Die Luft ist rein, wir können weiter."

Sophie war erleichtert. Als sie aufstand, merkte sie jeden Knochen in ihrem Körper. Der Sprint um ihr Leben gestern, hatte seine Spuren hinterlassen. Heute würde sie solche Leistungen sicher nicht mehr abrufen können.

Toni brauchte nicht lange, um im dichten Wald zwei Mäuse für ihn und Sophie zu fangen. Gierig verschlang Sophie ihr Frühstück. Die Scheu, eine frische, tote und rohe Maus zu fressen, hatte sie schnell abgelegt. Hier draußen konnte sie sich keine Extrawünsche leisten, wenn sie nicht verhungern wollte.

Die Luft war jetzt schon wieder extrem aufgeheizt, aber die beiden Katzen machten sich trotzdem weiter auf ihren Weg in die Ortschaft, in der Ömmes Sohn Chili leben soll. Schon bald konnte Sophie das Ortsschild erkennen und die ersten Häuser. Der Anblick kam ihr schmerzhaft vertraut vor. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie nicht mehr als Mensch hierher zurückkehren würde. Aber für diese Gedanken war jetzt keine Zeit, zügelte sich Sophie selbst und schob sie beiseite. Ömmes konnte ihnen nur den Weg zur Ortschaft beschreiben, nicht aber die genaue Position, an der sich sein Sohn öfter aufhalten sollte.

"Am besten machen wir uns auf die Suche nach anderen Katzen", schlug Toni vor. "Wir wissen nichts über Chili außer seinen Namen. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als uns durch zu fragen."

"Gute Idee, lass uns den Berg dort hinauf gehen. Vielleicht finden wir dort fremde Katzen", antwortete Sophie. Von früher wusste sie, dass in dem Wohngebiet auf dem Berg viele Katzen lebten. Vielleicht hatte auch Chili dort ein Zuhause gefunden.

Die ersten drei Katzen, mit denen Toni und Sophie sprachen, kannten keinen Chili. Überhaupt waren sie den beiden Fremden gegenüber sehr misstrauisch, obwohl sie jedes Mal versicherten, dass sie in Frieden gekommen waren.

Obwohl der Tag noch jung war, musste sich Sophie eingestehen, dass sie bereits sehr frustriert war. Wer weiß, wie viele Katzen sie noch nach Chili fragen mussten. Und wer weiß, ob die drei Katzen von vorhin wirklich niemanden kannten, der so hieß, oder ob sie es den fremden Katzen nur nicht sagen wollten, weil sie sie nicht kannten. Und woher wollten Toni und sie überhaupt wissen, dass Ömmes sie in die richtige Ortschaft geschickt hatte? Immerhin war Ömmes die älteste Katze Deutschlands, was, wenn sein Gedächtnis mittlerweile sehr unter seinem Alter gelitten hatte?

"Hey!", riss Toni's Stimme Sophie aus ihren Tagträumen. "Warte mal kurz. Wir hätten eine kurze Frage an dich."

Sophie folgte Toni's Blick und sah am anderen Ende der Straße eine orange getigerte, flauschige Katze. Die Katze blieb stehen und drehte sich um. Als sie Toni und Sophie sah, setzte sie sich auf ihre Hinterpfoten und legte den Schwanz auf ihren Vorderpfoten ab. Geduldig wartete die fremde Katze, bis Toni und Sophie sie eingeholt hatten.

Mit aufmerksamen blauen Augen musterte die orange Katze die beiden, sagte jedoch kein Wort. "Hi, ich bin Toni und das hier ist meine Freundin Sophie. Wir sind von weit hergekommen aus einer großen Stadt. Keine Sorge, wir wollen keinen Schaden anrichten. Wir sind nur auf der Suche nach einer bestimmten Katze. Wir müssen unbedingt mit ihr sprechen. Ihr Name ist Chili."

Die fremde Katze richtete sich auf und antwortete schließlich: "Da habt ihr Glück. Ihr habt ihn gefunden. Ich bin Chili."

"Oh wow!", entfuhr es Toni. "Was für eine Erleichterung, das kannst du uns glauben. Freut uns dich kennenzulernen. Wir sollen dir übrigens schöne Grüße von deinem Vater Ömmes ausrichten. Es geht ihm gut und er lebt jetzt in einem Katzencafé, in dem er gut versorgt wird."

Chili schien sich etwas zu entspannen, als er erfuhr, dass Toni und Sophie seinen Vater kannten und ihm ausrichteten, dass es ihm gut geht.

"Das freut mich", sagte Chili. "Ich hab meinen Vater schon lange nicht mehr gesehen. Aber ich bin froh, dass es ihm gut zu gehen scheint. Falls ihr ihm nochmal begegnen solltet, richtet ihm von mir aus, dass es auch mir gut geht. Ich habe ein schönes Zuhause bei den Zweibeinern gefunden und muss nicht auf der Straße leben."

Nachdem sich die drei Katzen noch etwas über das Leben bei den Menschen unterhalten hatten, stellte sich heraus, dass Chili ein überaus freundlicher und zuvorkommender Kater war. Er schaffte es sogar, seinen Napf mit Trockenfutter aus dem Haus seiner Zweibeiner zu tragen und bot Toni und Sophie an, sich ruhig bedienen zu können. Gierig machten sich die beiden Straßenkatzen über das Trockenfutter her.

Zufrieden schleckte sich Sophie mit der Zunge über das Maul, als Chili fragte: "Aber jetzt erzählt mir doch mal, was ihr eigentlich von mir wissen wollt. Ihr seid sicher nicht den weiten Weg aus der Stadt gekommen, um mir schöne Grüße von meinem Vater auszurichten."

Sophie fing an zu erzählen, ganz von vorne und beendete ihren Bericht damit, dass Ömmes Toni und ihr etwas von einer uralten Höhle, einem Katzenvolk und einem Fluch erzählt hatte. Er jedoch keine weiteren Informationen hatte, sein Sohn Chili ihnen aber bestimmt weiterhelfen könne.

Mit blitzenden, blauen Augen sah Chili die beiden an und sagte: "Und schon wieder habt ihr Glück. Denn die Höhle existiert wirklich. Und ich weiß auch, wo ihr sie finden könnt."

Der Fluch der KhepriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt