Olivia
Es ist bereits kurz nach Mitternacht, als wir wieder in unserem Appartment ankommen. Vanessa hat schon allen eine gute Nacht gewünscht, trotzdem mache ich mich auf den Weg in ihr Zimmer, da ich sie noch etwas fragen muss. Zaghaft klopfe ich an ihrer Zimmertür an und warte auf das "Herein.", welches nach wenigen Sekunden ertönt. "Was gibt's?", abwesend und ohne mich anzusehen, guckt Vanny auf ein paar Unterlagen, die vor ihr auf dem Schreibtisch augebreitet sind. "Es gibt da etwas, was ich nicht ganz verstanden habe.", fange ich an und wandere durchs Zimmer, bis ich neben ihr stehenbleibe. Diese Frage hat mich seit dem Abendessen bei den Parker's beschäftigt, was zwar erst wenige Stunden her ist, dennoch brennt sie mir seitdem auf der Zunge. "Ich höre.", endlich guckt meine Schwester mich an. Es ist nicht verwunderlich, dass es mir vorher nicht aufgefallen ist, schließlich war Vanessa fast nie zu Hause, desto mehr schockt es mich jedoch, dass meine Schwester überhaupt nicht gut aussieht. Unter ihren Augen, welche mich müde mustern, zeichnen sich trotz des Make-Up's dunkle Augenringe ab. Ihre Haut ist noch blasser, als sonst schon und ihre Lippen sind aufgesprungen und kaputt, sodass sie keinen Lippenstift tragen kann, weswegen mir umso mehr auffällt, wie farblos sie sind. Das alles ist mir den vergangenen Abend nicht aufgefallen. Was ist mit meiner großen Schwester passiert? Sie ist zwar in gewisser Weise so etwas, wie ein Emo, doch grade bin ich mir ziemlich sicher, dass die krankwirkenden Merkmale in ihrem Gesicht nicht zu ihrem täglichen Erscheinungsbild, als dieser gehören.
"Was ist los?", besorgt mustere ich den Rest ihres Körpers, andem ich aber keine weitern kränklichen Merkmale finde. "Das wolltest du nicht fragen.", kommt ihre knappe Antwort, dann wendet sie sich von mir ab und besieht weiter die Papiere auf dem Tisch. "Was ist das?", lautet meine nächste Frage, während ich ein Blatt in die Hand nehme. "Ich hab beim Abendessen gelogen.", plötzlich sieht sie noch erschöpfter aus, wie ich geschockt feststellen muss. "Das Bewerbungsgespräch im Krankenhaus war bereits." Da ich sie nicht ganz verstehe, besehe ich mir wieder das Stück Papier in meiner Hand und lesen den knappen Text darauf. "Du hast ihn nicht bekommen.", mitleidig senke ich das Blatt und sehe Vanessa an. Obwohl ich weiß, das Mitleid das letzte ist was sie möchte, komme ich nicht herum diesen Blick nun aufzusetzten. "Nein und jeden anderen Job, für den ich mich beworben habe auch nicht.", müde schlägt sie sich die Hände vors Gesicht und seufzt einmal laut aus. In diesem Moment sieht sie so schrecklich erschöpft und zerbrechlich aus. Ebenfalls seufzend lege ich das Blatt zu den anderen auf den Tisch, welche alle ebenfalls Absagen für irgendwelche Jobs sind.
"Du kriegst das noch hin, Vanny. Lass dir Zeit, ich weiß, dass du das noch schaffst.", starte ich einen lächerlichen Versuch ihr Mut einzureden. Noch einmal tief seufzend fährt Vanny sich mit den Händen übers Gesicht, bevor sie mich aus müden, verzweifelten Augen ansieht. "Das dachte ich ja auch, aber was ist mit Mum und Dad? Sie dürfen nicht erfahren, dass ich so eine Versagerin bin. Sie wären unendlich enttäuscht." Tränen sammeln sich in den blauen Augen meiner Schwester, welche sie jedoch krampfhaft zurückhält. In dieser Sache sind wir uns ziemlich ähnlich, wir beide hassen es vor anderen schwach auszusehen und wollen das so gut wie möglich vermeiden.
"Wir kriegen das hin. Zusammen. Ich werde dir helfen."
Die nächsten Tage war ich mit Lernen beschäftigt, weswegen ich umso glücklicher bin, dass es endlich Samstag ist. Nur noch eine Woche in der Schule sitzten, dann schreibe ich meine Abschlussprüfungen und habe endlich den ganzen Stress hinter mir. Doch heute wird das Lernen etwas kürzer kommen, aus dem einfachen Grund, dass Vanessa und ich seit Mittag in ihrem Zimmer hocken und uns auf Jobsuche für sie befinden. Ein paar Anzeigen, wie Aushilfsjobs in Geschäften und Cafes habe ich aus der aktuellen Zeitung ausgeschnitten und allesamt auf Vanny's Teppich verteilt. Für einen dieser Jobs würde sie sich entscheiden, wenn wir in der nächsten Woche nichts vernünftiges finden würden. Eine Medizinstudentin mit ausgezeichnetem Abschluss an einer der besten Unis in Florida, sollte eigentlich nicht als Kellnerin arbeiten. Als ich Vanessa darauf ansprach, was die Krankenhäuser davon abhielt sie, mit ihrem Megaabschluss einzustellen, meinte sie, dass immer gesagt wurde, dass sie nicht in den Betrieb passt, manchmal wurde auch einfach keine Krankenschwester gebraucht. Empört darüber, schickte ich noch am selben Tag eine völlig neu formulierte Bewerbung in Vanessa's Namen an die Krankenhäuser in der näheren Umgebung, die Vanessa noch nicht ausprobiert hat. Als ich grade meine, bzw. Vanessa's Mails checke, stechen mir tatsächlich zwei Zusagen für Bewerbungsgespräche am Montag und am Mittwoch entgegen. Überglücklich über zwei weitere Chancen, versprach mir Vanny am nächsten Tag mit mir für meine Prüfungen zu lernen. Ich glaube ich habe meine Schwester noch nie so dankbar erlebt. Fast den gesamten Sonntag über haben wir in ihrem Zimmer gelernt. Die Jobangebote aus der Zeitung sind alle ordentlich in einer Mappe verstaut und ich hoffe, dass wir den Inhalt bald wegschmeißen können. Am Abend nach dem Powerlernen sprach unser Vater uns auf die zerschnittene Zeitung an, die er eigentlich noch lesen wollte. Wir redeten uns damit raus, dass wir einen spannenden Artikel unbedingt behalten wollten, den ihn aber eh nicht interessiert hätte. Leicht skeptisch warf er die Zeitung schließlich weg und fragte nicht noch einmal nach.
Als ich am Montag von der Schule wiederkomme, erwartet mich ein Umschlag in meinem Zimmer. Auf dem Zettel, welcher in dem schwarzen Umschlag steckt, steht der Name eines Hotels, eine Uhrzeit und der Hinweis, dass ich dort übernachten werde, weswegen ich Schlafsachen mitbringen muss. Unterzeichnet ist der verzierte Zettel mit
> J.P <
,weswegen ich sofort weiß von wem diese mysteriöse Nachricht stammt. Mit einem fröhlichen Grinsen auf den Lippen steige ich am Abend aus der Dusche und schlüpfe in die Unterwäsche, die ich damals in Los Angeles gekauft habe und presse meinen Körper in ein rotes Spitzenkleid. Mit meinen schwarzen High-Heels und meiner Tasche mit den Schlafsachen in der Hand, tapse ich um circa 21:00 Uhr die Treppe runter und bin ziemlich froh, dass Vanessa seit ihrem Bewerbungsgespräch bei ihrem Lover ist und Mum und Dad essen gegangen sind. Lediglich eine SMS, dass es gut beim Gespräch gelaufen ist und eine Info, dass Vanny glaubt, dass sie in dem von mir ausgesuchtem Outfit besser als sonst ankam, habe ich bekommen. Einen letzten Blick werfe ich noch in den Spiegel im Flur und gucke, ob mein Make-Up auch wirklich gut aussieht. Nachdem ich in meine mörderrisch hohen Schuhe geschlüpft bin, mache ich mich schließlich mit einem Taxi auf den Weg, zu dem Hotel, welches auf dem Zettel vermerkt war.
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Little Lovestory - Die wahre Geschichte
RomanceDie wahre Geschichte eines Badboys. Man nehme: Ein reiches Mädchen aus dem Süden und einen halben möchtegern Badboy. Dies mischt man unter einen Umzug und eine unbekannte Stadt, bevor man die neue Schule hinzufügt. Die nächste Zutat, zwei beste Freu...