"Audaces fortuna juvat. (Das Schicksal lächelt den Mutigen zu.)"
Die Monate nach der Hochzeit vergingen sehr anstrengend, sowohl für Utku als auch für mich. Mit jedem Tag, der verging, wuchs meine Reue und Sehnsucht. Sehnsucht nach Ali. Viel zu spät hatte ich begriffen, dass ich einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Doch so schön wie es im Türkischen hieß; Nichts half gegen die Reue, die zu spät kam. Immer mehr verlor ich mich selbst, auch Utku schaffte es nicht mich aus meinem Loch zu befreien. Auch wenn er mir die Hand reichte, erreichte er mich nicht. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht, dass er mich erreichte. Es war ein kleines Wunder, was es schaffte mich aus meinem Loch zu holen. Ein kleines Wunder, von dem ich im vierten Monat unserer Ehe erfuhr. Es war ein Baby. Mein Baby. Es war ein Wunder. Mein Wunder.
Vielleicht dürfte es mich nicht so sehr an das Leben binden, weil es das Kind eines Mannes war, den ich nicht liebte. Aber diese Liebe und Verbundenheit in Worte zu fassen war kaum möglich. Vielleicht hätte ich traurig sein sollen, als ich davon erfuhr, doch es ging nicht, es war unmöglich. Denn ab diesem Moment wusste ich, dass ich wieder etwas hatte, wofür es sich lohnte zu kämpfen, wofür es Wert war. Es kam genau dann, als ich kurz davor war aufzugeben und ich wusste, dass es ein Zeichen Gottes war. Immer wieder fuhr meine Hand unbewusst zu meinem Bauch und immer wieder lächelte ich über die Tatsache. Es erfüllte mich mit enormer Kraft und Liebe.
Mittlerweile war ich im fünften Monat meiner Schwangerschaft und hatte mein erstes Lehrjahr mit Erfolg beendet. Auch hatte ich es durchgebracht, dass ich mein zweites Lehrjahr erst in einem Jahr, also nach der Geburt, anfing. Es war nicht ganz einfach gewesen, doch ich hatte es geschafft. Über die ganze Zeit war ich nie in München gewesen, auch hatte ich mit Ali keinen Kontakt, wusste nur durch Utku und Meyra, dass es ihm gut ging, so sagten sie es zumindest, doch wusste ich es besser. Ali ging es nicht gut. Vielleicht würde es ihm auch nie wieder gut gehen, so wie mir auch. Einige Dinge würden mit der Zeit besser werden, aber nie wieder gut. Dafür war es zu spät, doch es war in Ordnung, denn ich hatte gelernt damit zu leben und umzugehen.
War nicht genau das die Kunst des Lebens?
Mit seinem Schmerz zu leben lernen, mit den Narben, die man trug. Wunden konnten verheilen, nicht alle, doch einige. Narben jedoch waren für die Ewigkeit, sie brannten sich in unsere Seele und veränderten uns. Manchmal sogar von Grund auf. Und genau das hatten meine Wunden mit mir getan, mich verändert. Hatten dafür gesorgt, dass ich anfing Dinge anders zu betrachten. Ich versuchte so stark wie möglich zu sein, auf meinen eigenen Füßen zu stehen. Denn auf diese Dinge kam es an. Nicht darauf, was das Leben dir bot. Sondern was du daraus tatst. Jeder hatte seine eigene Last, sein eigenes Päckchen. Es gab niemanden, der keine Probleme hatte, der kein Leid trug, der einzige Unterschied lag an der Haltung. Wie man mit gewissen Dingen umging, wie sehr man sie sich zu Herzen nahm. Eigentlich war man selbst das größte Problem, die innere Einstellung, die man hatte.
Erst da bemerkte ich, dass die Gespräche mit Meryem Teyze gefruchtet hatten und das sogar für längere Zeit. Dass sie mir mehr auf meinen Weg gegeben hatte, als ich es mir je hätte vorstellen können. Es waren Lebensweisheiten gewesen, die sie mir mitgegeben hatte.Meine Eltern hatte ich in diesem Zeitraum nur ein einziges Mal gesehen und zwar dann, als sie mit meinen Schwiegereltern zu uns kamen. Doch auch in dieser Zeit hatten sie mich nicht wirklich beachtet, wäre auch verrückt gewesen das zu erwarten. Deswegen hatte ich es nicht getan. Utku war öfters nach München gefahren, um seine Eltern zu sehen. Jedes Mal hatte ich eine Ausrede gefunden, um nicht mitzufahren. Ich wollte nicht in eine Stadt, die mich an Ali erinnerte, wo ich wusste, dass ich ihm begegnen würde.
Doch für all das hatte ich jetzt die Kraft und den Mut. Deswegen würden Meyra und Ali auch heute zu uns kommen. Sie waren noch nicht verheiratet. Nach Meyra hatten sie einen Termin, doch von Utku hatte ich mitbekommen, dass Ali sich noch Zeit lassen wollte.
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Zum Scheitern verurteilt
General Fiction"Sie waren gemeinsam in den Strömen dieser Welt und stürzten einsam von den Klippen dieser Welt." Da stand er nun vor mir. Schmerz spiegelte sich in unseren Augen wider. Wir hatten verloren. Wir hatten uns selbst verloren. Wann war das nur geschehe...