25. "Agit"

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"Ich will nicht nur an deinem Leben teilhaben, ich will ein Teil davon sein."

Da das Wetter schön war, entschied ich mich draußen Platz zu nehmen. Ali hatte mir geschrieben, dass er sich etwas verspäten würde, natürlich hatte er sich auch gefühlte tausend Mal dafür entschuldigt. Doch das stellte kein Problem für mich dar.

"Hallo Hira", hörte ich eine Stimme mich grüßen. Als ich aufsah, erblickte ich Alis Cousin vor mir. "Hallo-" Wie hieß er eigentlich? Ich tippte zwar auf Agit, doch wenn nicht, wäre das mega peinlich. Wieso hatte ich jedes Mal, wenn ich ihn in der Firma gesehen hatte, vergessen Ali nach seinem Namen zu fragen?
"Agit", stellte er sich mir vor. "Wie es scheint, hat Ali dir noch nicht von seinem Lieblingscousin erzählt. Apropos Ali, wartest du auf ihn?" Ich nickte nur, er zog total bequem den Stuhl vor mir zurück und ließ dich dort nieder plumpsen.
"Ich darf doch oder?", fragte er dann.
"Eh- Ja." Ich wusste keine andere Antwort darauf, schließlich war er Alis Cousin und das Letzte, was ich wollte war, dass er schlecht über mich dachte. Ein kurzes Gespräch entstand zwischen Agit und mir, es war nicht mehr als ein Smalltalk, doch eins musste man diesem Jungen lassen, er war echt amüsant und witzig.

"Was machst du hier?", hakte eine überraschte männliche Stimme nach. Alis Stimme. Als ich von meiner Tasse aufsah, lächelte er mir kurz zu, nur um sich dann wieder seinem Cousin zu widmen.
"Wie oft soll ich dir noch beibringen, dass man Mädchen nicht warten lässt, Cousinchen?" Das Mädchen hatte er betont. "Agit!", warnte ihn Ali.
"Alles gut Cousinchen, komm runter. Ich habe hier was für dich." Er griff zu dem Stuhl neben sich und legte den Ordner auf den Tisch.
"Dede hat gesagt, dass das bis Freitag erledigt sein muss." "Dann mach's doch", blaffte Ali.
"Würde ich ja sehr gerne, wenn ich morgen nicht nach Istanbul fliegen würde wegen den Hochzeitsvorbereitungen." Der Ring an seinem Finger war mir zuvor schon aufgefallen. Das Mädchen, dass ihn heiraten würde, hatte immer was zum Lachen, es war kaum vorstellbar, dass es nicht so sein würde.

"Erledig deinen Scheiß selber, Agit!" "Für dich immer noch Abi!", ermahnte ihn Agit, -doch nicht mal das konnte man wirklich ernst nehmen- Ali rollte nur mit seinen Augen.
"Also kann ich auf dich zählen, Cousinchen?" "Ja, du Penner." Agit stand mit einem Lächeln auf.
"Das freut mich. Der Kaffee geht auf dich. Tschüß Hira, man sieht sich." Schon war er verschwunden, etwas verwirrt, schaute ich zu Ali.
"Meine Familie ist nicht ganz normal", klärte er mich auf und brachte mich damit zum Lachen.

"Agit ist mittlerweile seit einem Jahr verlobt und heiratet endlich." "Wieso endlich?", fragte ich leicht irritiert.
"Weil ich darauf hoffe, dass ihn meine Schwägerin in Spe zur Vernunft bringen wird, sonst wird dieser Junge vermutlich nie erwachsen." "Ich fand ihn ganz amüsant. Außerdem ist er doch noch gar nicht so alt." Ali lachte. "Wie alt schätzt du ihn?"
Diese Frage ließ mich vermuten, dass ich falsch lag mit dem, was ich schätzte. "Höchstens 24." Er lachte erneut. "Er ist 27, wird 28. Er ist der älteste unter meinen Cousins und Cousinen." "Das merkt man ihm echt nicht an." "Sag ich doch."
"Kommt nach ihm Mirsad?" "Ja und danach meine Schwester." "Dann du, İshak, Mazlum?", fragte ich und er bestätigte es mit einem Grinsen und Nicken.
"Sind Agit, Mirsad und İshak auch miteinander verwandt?" "Mirsad und İshak ja, also auch sie haben keine Blutsverwandtschaft, aber da Mirsads Mutter die Stiefschwester meiner Mutter und Tante ist, sind sie verwandt. Mit Agit bin ich väterlicherseits verwandt. Agit ist aber auch mit Mirsad blutsverwandt." "Wie das?" "Agits Vater, Yiğit Dayı und Mirsads Mutter, Berfin Teyze sind Cousins. Also gehört Agits Vater auch zur Familie meiner Mutter und somit bin ich sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits mit ihm verwandt, aber wie gesagt, herrscht mütterlicherseits keine Blutsverwandtschaft." "Euer Familienverhältnis haut mich echt immer wieder um. Aber ich finde es so schön, dass ihr eine Großfamilie seid, die zusammenhält." Ali lächelte, doch ich bemerkte den traurigen Schatten in seinen Augen.
"Habe ich was falsches gesagt?", fragte ich vorsichtig.
"Nein Hira, nur ist nicht immer alles so perfekt, wie es von außen aussieht." "Was meinst du?" "In einigen Wochen werde ich dir meinen Onkel vorstellen, er gehört zu einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, aber seine Geschichte ist einfach nur hart. Und sie hat damals für viel Aufruhr gesorgt, weil Fehler gemacht wurden, die nicht hätten gemacht werden dürfen." "Hast du das mitbekommen?" "Nein, das liegt Jahre zurück. Agit und Mirsad waren die einzigen, die damals auf der Welt waren, aber nicht mal mehr Agit kann sich daran erinnern." "Du wirst mir also seine Geschichte erzählen, nachdem ich ihn kennengelernt habe?" "Ja, weil ich nicht will, dass du seine Geschichte im Hinterkopf hast, lerne ihn erst persönlich kennen, bevor du seine Geschichte kennst."
Ali widmete mir seinen ganzen Tag, da das Wochenende wieder Aktionswochenende war und er somit keine Zeit für mich haben würde. Durch ihn gewann der Tag an Sinn. Es war einer der Tage an denen das echte Lächeln auf meinen Lippen gar nicht mehr verschwinden wollte. Einer der Tage, die ich wie verrückt liebte. Und ich zählte -auch wenn es falsch war- die Tage, bis ich ihn wiedersehen würde. Meine Tage ohne ihn wollten kaum vergehen, hatten keinen großen Wert, waren fast schon nutzlos. Doch die Tage, an denen ich ihn sah, auch wenn es nur für wenige Minuten waren, genau diese Tage gewannen an Sinn. Ich wusste, diese Gefühle würden mich brennen lassen, mich verbrennen, doch es war mir egal, denn ich liebte sogar mein rasendes Herz neben ihm.

Zum Scheitern verurteiltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt