17. "Zerstörte Hoffnung"

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"Hoffnung ist Krankheit." - Proph

Noch ein unzufriedener Blick in den Spiegel, ein Seufzen und bereit war ich -oder auch nicht. Das Kleid klebte förmlich wie eine zweite Haut an mir und ich fühlte mich mehr als nur unwohl. Doch mein Kleiderschrank bot mir leider keine teuren Designerklamotten, schließlich war ich ja nicht meine Mutter. Wieso ging ich eigentlich mit? Tja, nicht mal auf diese Frage hatte ich eine Antwort. Ich tat es einfach, so wie immer. Meine Intuition schrie, dass ich Zuhause bleiben sollte, aber wir wollten ja kein schlechtes Bild, auf die ach so tolle perfekte Familie der Alacas werfen, nicht wahr?

Die Feier fand in einem sehr teurem und luxuriösem Hotel Münchens statt. Alles schrie nur nach Ruhm und Reichtum, so dass ich hätte kotzen können.
Würde es denn jemanden stören, wenn ich das wirklich tat? Vermutlich ja. Interessierte mich das? Eindeutig nein.
Mal im Ernst konnte mir einer mal erklären, wieso man tausende von Euro aus dem Fenster schmiss, um seinen Geburtstag mit Leuten, die einem nicht im Geringsten am Herzen lagen, zu feiern? Wo blieb der Sinn und Zweck des Geburtstags? Sollte man diesen besonderen Tag nicht mit seinen Liebsten verbringen? Wieso also eine unpersönliche Feier? Nur um zu zeigen, dass man genug Geld für sowas hatte? War das wirklich Sinn und Zweck eines Geburtstags? Demonstrieren wie viel man besaß? Wie viel Geld und Macht?
Ich musste an meinen achtzehnten Geburtstag zurückdenken, meine Eltern hatten eine große Party geschmissen. Für mich. Natürlich nicht. Es war dasselbe Prinzip wie diese Party hier gewesen. Demonstration von Geld und Macht. Wir schmeißen eine riesen Party für unsere ach so geliebte Tochter und laden Menschen ein, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hat, weil genauso eine Geburtstagsparty sich jeder wünscht. Jap, das waren eindeutig meine Eltern. Die Sache hätte mich natürlich nicht überraschen dürfen, tat sie trotzdem. Nicht die Tatsache, dass meine Eltern für mich eine Party organisiert hatten, nein, sondern dass es ihnen sogar an meinem Geburtstag darum ging, ihre Macht zu demonstrieren. Ihre Macht über mich. Außer meinem Onkel, Musa und Yeşim war keine einzige Menschenseele anwesend gewesen, die ich leiden konnte, geschweige denn dass die Hälfte mir komplett fremd war. Es war ein toller achtzehnter gewesen! Genauso wie man ihn sich immer vorstellte!
Es war widerlich wie viel Wert das ganze Geld und Ruhm diesen Menschen hier war. Wenn man seinen Geburtstag nicht mit Menschen verbrachte, die einem am Herzen lagen, denen du was wert warst, was für einen Sinn hatte dann dieser Tag?
Als ich in meinen Arm gezwickt wurde, erwachte ich aus meiner Gedankenwelt. Ich blickte in ihre Augen. Dieselben Augen, die ich auch besaß. Sollte ich meine Augen deswegen eigentlich hassen?
"Setz dein Lächeln auf!", ermahnte sie mich mit einem falschen Lächeln. Ich setzte eins auf. Ein spöttisches.
"Zufrieden?", hakte ich nach.
"Benimm dich, Hira!" Ich schluckte die aufkommenden Worte und Wut runter. Es hatte alles keinen Sinn. Wozu einen Kampf kämpfen, der schon verloren war, bevor er je gekämpft wurde?

Ich setzte mich an den Tisch neben meine Eltern und betrachtete all die Menschen in ihren teuren Designerklamotten. Das falsche Lächeln auf ihren Lippen, das falsche Gelächter in meinen Ohren, die falschen Komplimente, die sie sich gegenseitig gaben. Was für einen Wert hatten all diese Dinge? Hatten sie überhaupt einen Wert? In ihrer Welt auf jeden Fall, in meiner auf keinen Fall.

Nicht mal mit meinem Handy konnte ich mich beschäftigen, weil ich niemanden hatte, dem ich schreiben konnte. Alis Familie hatte sich eindeutig das falsche Wochenende zum Wegfahren ausgesucht. Als ich tief seufzte, lachte jemand leicht neben mir. Schnell blickte ich in seine Richtung, er hatte dunkelblonde Haare und helle Augen, doch seine Augenfarbe konnte ich nicht ausmachen. Vielleicht hatte ich nur nicht lang genug in sie gesehen.
"Darf ich?", fragte er auf den leeren Stuhl neben mir deutend. Erst da fiel mir auf, dass meine Eltern gar nicht mehr neben mir saßen, nun gut.
"Klar", antwortete ich aus Höflichkeit.
"Ist langweilig, was?" "Schon." "Sogar ich finde es langweilig, obwohl es der Geburtstag meines Vaters ist."
Jetzt blickte ich erneut in sein Gesicht. Er kam mir bekannt vor, vermutlich hatte ich ihn auf einer der hundert Veranstaltungen, auf die mich meine Eltern mitgeschleppt hatten, gesehen. Seine Anwesenheit störte mich. Obwohl er während des Gesprächs nett war, strahlte seine Aura Arroganz aus. Er war sich bewusst, dass er gut aussah und viel Geld besaß, vermutlich rannten viele Mädchen hinter ihm her. Viele dumme Mädchen. Doch er war nicht mal im Geringsten ein Vergleich zu Ali. Abgesehen davon, dass Ali um Welten besser aussah, strahlte er eine gewisse Wärme aus, die Menschen direkt anzog. Bei dem Gedanken musste ich heute zum ersten Mal aus Herzem Lächeln.
"Wieso lächelst du?", forschte der Junge nach. Was ging ihn das an? Auf einmal störte mich sogar seine Präsenz.
"Nicht so wichtig", gab ich ihm zur Antwort. Er zuckte mit den Schultern.
"Komm, lass uns tanzen." Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Ach komm schon Alaca, zier dich nicht so. Mit Kaya hast du schließlich auch schon getanzt, was hat er, was ich nicht habe?" Viel. "Nichts. Nicht nur das, ich habe sogar mehr Geld und Macht als er", antwortete er auf seine selbstgestellte Frage. Und bevor ich realisieren konnte, was geschah, zog er mich auf die Tanzfläche, dort angekommen, hatte seine linke Hand schon meine rechte ergriffen und seine rechte Hand lag auf meiner Taille. Widerwillig setzte ich meine linke Hand an seiner rechten Schulter ab. Dass alle Blicke auf uns waren, versuchte ich auszublenden.
"Klappt doch", triumphierte er stolz.
"Gegen meinen Willen", zischte ich, setzte aber direkt danach ein falsches Lächeln auf. Nur für unsere neugierigen Zuschauer.
"Das ist egal, Hauptsache ich tanze mit dir." Jetzt sah ich in sein Gesicht.
"Bin ich in deinen Augen eine Trophäe?" "Du nicht, aber mit dir tanzen zu können auf jeden Fall. Vor Kaya hat das niemand geschafft, der zweite sein zu dürfen ist mir eine Ehre." Irgendwas setzte sich auf meinem Herzen ab. Es fühlte sich so schwer an. Diese Erkenntnis, wie sollte ich damit klarkommen?
Ali war der erste Junge, mit dem ich je getanzt hatte und jetzt tat ich dasselbe mit einem mir Fremden, dessen Namen ich nicht mal wusste. Wieso fühlte es sich so an, als ob ich Ali hinterging?
Mein Brustkorb wurde immer schwerer und ich hatte die Befürchtung, dass ich ihn bald nicht mehr tragen könnte.
"Trotzdem bleibt Ali der Erste. Du bist also in meinen Augen nur eine Option, während er meine Priorität ist." Ich wusste nicht wieso, aber ich wollte mich für seine Worte und für das Gefühl, welches er in mir hinterlassen hatte, bei ihm rächen. Er zog mich noch näher an sich, so dass mein Körper gegen seinen knallte.
"War er dir auch so nah." Als er sah, dass ich mein Kiefer fest zusammenbiss, zeichnete Triumph sich in seinem Gesicht ab. Ich spürte, wie er seine rechte Hand langsam runtergleiten ließ.
"Wehe! Es ist mir scheißegal, wer du bist, Gastgeber oder nicht, aber wenn du deine Hand nicht wieder an ihren ursprünglichen Platz legst, dann schwöre ich dir bei Gott, dass ich dich hier, vor der ganzen Meute, blamiere." Seine Augen musterten mein Gesicht. Als er die Ernsthaftigkeit und Drohung darin las, wanderte seine Hand wieder nach oben.
"Was ist dein Ziel?", fragte er mich. Verständnislos musterte ich ihn.
"Du ziehst ein total aufreizendes Kleid an, welches all deine Kurven betont, ich glaube ich muss nicht erwähnen, was für einen Wahnsinnskörper du hast und dann schimpfst du mit mir, weil ich dich begehre." Die Welt stand nach diesen Worten still. Ich zitterte am ganzen Leib. Dass das Kleid sehr eng war, dem war ich mir bewusst, aber dass ich darin so ein Bild abgab, dass ich darin billig aussah...
Mein Magen drehte sich bei seinen gierigen Blicken auf mir um. Was für perverse Gedanken er wohl hatte, als seine Blicke meinen Körper trafen, bei dem Gedanken wurde das Zittern nur noch heftiger. Abrupt löste ich mich von ihm und rannte zu den Toiletten, dort angekommen, beugte ich mich direkt über einer der Kloschüsseln und entleerte meinen gesamten Mageninhalt. Tränen rannen mir unaufhaltsam über die Wangen. Schluchzen entrann mir über meine Lippen. Und ich wusste nicht mehr, was zu tun war. Als eine Hand meinem Rücken streifte, zuckte ich zusammen. "Ganz ruhig Hira, ich bin es nur", sagte eine sanfte Frauenstimme beruhigend. Mein Körper entspannte sich wieder unter der warmen beschützenden Hand, die meinen Rücken auf und ab streichelte.

Zum Scheitern verurteiltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt