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Michael:

Verdammt, ich hatte mich wirklich verlaufen. Ich wusste nicht einmal wo ich bin. Wusste nicht, wo Calum mich hin brachte und wo er mich raus schmiss. Ob das alles geplant war? Eins war sicher: Ich würde nie wieder einen Menschen vertrauen. Nie wieder. 

Blind lief ich durch die Gegend, hah, was für ein Wortwitz. Aber im Ernst, wie konnte mich das Arschloch einfach so irgendwo raus lassen? Und mich auch noch alleine lassen? Auf einmal knallte ich mit irgendwas zusammen. Mit meinen Fingern ertastete ich die Gegend, meine Ohren halfen mir dabei, ich war in einem Wald. Verdammte scheiße, ich werde hier nie wieder rauskommen. Enttäuscht von mir selbst lehnte ich mich an einen großen Baum und ließ mich daran runter sinken. Am Boden zog ich meine Beine zu mir und legte meinen Kopf in meine Arme, die ich um meine Knie gelegt hatte. Ich musste meine Medikamente nehmen. Hatte Calum das völlig vergessen? Wieso war er so kaltherzig? Ich dachte, er liebte mich. Ich dachte, ich liebe ihn. Da lag ich wohl falsch.

Ich erinnerte mich an die Zeit zurück, wo meine Eltern in Armut lebten. Wir waren einer der ärmsten Familien der Stadt, lebten im Ghetto, mit einem Bein auf der Straße. Damals war ich noch  12 Jahre alt, als ich anfing Gitarre zu spielen und die Lieder von Green Day, All Time Low und My Chemical Romance zu covern. Am liebsten coverte ich die alten Lieder von ihnen, sie fielen mir leichter. Das Gitarre spielen lernte ich damals von meinem Vater, bevor er seinen Job verlor und behindert wurde. Er hatte einen Schlaganfall und kann sich heute nur mit Mühe bewegen oder sprechen. Ich war immer für ihn da, versuchte alles, um Geld zu bekommen, um aus zu helfen. Eines Tages brachte meine Mum mich auf eine Idee. Warum spielte ich nicht einfach in der Stadt und verdiente mir das Geld? Mit meinen Bewerbungen kam ich nicht weit, sie suchten nur Menschen, die auch dafür geeignet waren, also, die auch so aussahen, als würden sie was her machen, was bei mir schon fast am schwersten war. Jedenfalls spielte ich fast jeden Tag in der Innenstadt meine Lieder. Es gefiel den meisten Leuten und um ehrlich zu sein, verdiente ich gar nicht schlecht. Ich bekam auf jeden Fall mehr Geld, als die Flüchtlinge mit ihrem Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde. Bis zu dem Tage, als diese krasse Familie an mir vorbei kam. Ich hatte damals sowieso schon Depressionen, musste Tabletten nehmen. Das einzig Gute war, dass die Krankenkasse mir das bezahlte, bis aber selbst die uns raus warfen und ich immer wieder die Kontrolle über mich verlor. Jedenfalls kam diese eigenartige, superreiche Familie an mir vorbei. Das kleine Mädchen spuckte mir in den Gitarrenkoffer. Da konnte ich noch ruhig bleiben, es war schließlich ein kleines Mädchen. Aber das die Eltern anfingen über mich zu lästern, platzte mir der Kragen. Es beschäftigte mich noch den ganzen Tag lang, dass solche reichen Leute die Armen so scheiße behandelte. Da spürte ich sie auf und brachte sie kurzerhand um. Vielleicht war meine Reaktion übertrieben, aber mit denen reden konnte man sowieso nicht. Der kleine Junge war niedlich. Er hatte kurze, schwarze Haare, wie seine Schwester. Er trug ein One Direction T-Shirt, welches ihn noch süßer hat aussehen lassen. Ich wünschte, ich könnte den armen Jungen heute noch kennen lernen und sagen, dass es mir leid tat, seine Familie umgebracht zu haben. Und ja, ich habe auch gebüßt. Ich hab Säure ins Gesicht bekommen. Und ehrlich gesagt war ich froh, dass ich nicht sehen konnte, wie meine rechte Gesichtshälfte aussah. Vielleicht war sie schon geheilt, aber ich war blind, verdammt. Ich könnte wetten, dass es das Mädchen war, was mir in den Koffer gespuckt hatte. Sicherlich, wer sonst würde sowas tun? Als ob die Kinder selbst jemanden enragieren würden. Seufzend setzte ich meine schwarze Brille ab und hörte Vogelgezwitscher. Bis heute haben sie mich nicht geschnappt. Ich bereue es, wie ich die Menschen beleidigt habe, zerstückelt habe, gehasst habe. Langsam fing ich an zu zittern. Es war Zeit meine Tabletten zu nehmen. Oder war mir einfach nur kalt? Wurde es dunkel? Ich wünschte, ich könnte weinen. Aber ich war tränenleer. Ich war alleine. Das Lied von meiner damaligen Lieblingsband schwirrte mir im Kopf herum. "Never let them take the light behind your eyes.", sang ich leise und stellte mir vor, wie ich damals in der Innenstadt stand und vor mich hin spielte. Da liefen auch alte Damen an mir vorbei und lobten mich, ich solle weitermachen, einen Plattenvertrag annehmen, und so weiter. Mir wurde gerade alles viel zu viel. Plötzlich hörte ich ein Knacken hinter mir, da verlor ich mein Bewusstsein. 

The blind accident {Malum ff} (Abgeschlossen) ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt