25

689 66 1
                                    

Michael:

Die Haare waren nahezu vollkommen schwarz, die Augen geschlossen. Ich wollte sie nicht öffnen, ich wusste, was mich dort erwartete. Doch irgendwas war anders. Die Person vor mir war kein Mann. Das erkannte ich an dem Gesicht. Männer fühlten sich auch ganz anders an. Sie hatten keine so weiche Haut, hatten härtere Wangenknochen und, es war nicht Calum, was mich zum weinen brachte. Ein großes Gefühlschaos breitete sich in mir aus. Schnell ging ich zu der Hand, um sicherzugehen, dass keine Narbe die Hand streifte. und ich hatte Glück. Ich sank auf die Knie und weinte das erste Mal wieder richtig. Aus Glück, dass meine große Liebe nicht für mich gestorben ist, und aus Trauer, dass eine Frau für mich gestorben ist, die ich wohl gar nicht kannte, obwohl mir die Umrisse und einige Merkmale des Gesichts sehr bekannt vorkamen. Doch ich wollte keine Zeit mit der Identifizierung verschwenden. Vorsichtig stand ich auf und hielt mich mit meinen zitternden Händen am Tisch fest, damit ich stehen konnte. In Gedanken bedankte ich mich bei dieser Person, dass ich endlich sehen konnte. Dass ich endlich glücklich sein konnte. Dass ich vielleicht eine Chance hatte, meine große Liebe zu sehen. "Dankeschön, für alles.", hauchte ich der Person noch leise ans Ohr, bis ich mich zusammen riss und den kalten, dunklen Raum endlich verließ. Vor der Tür wartete die braunhaarige Krankenschwester auf mich, die mich sofort in den Arm nahm. "Oh, Mr. Clifford. Es tut mir leid.", versuchte sie mich zu beruhigen. Nachdem ich mich etwas gefangen hatte und die Tränen wegwischte, sah ich die liebevolle Krankenschwester an. "Darf ich den Namen der Person wissen?", fragte ich unsicher und schämte mich etwas für die Frage, doch es war mir wichtig und ich musste es einfach wissen. "Aber sicher, kommen Sie eben mit.", sprach sie sanft und sie führte mich zur Zentrale der Station. "Kaffee?", fragte sie und sah mich an. "Kakao." 

Schnell setzte sich die blauäugige Krankenschwester auf ihren schwarzen Sessel und rollte sich näher zu ihrem Schreibtisch. Mit flinken Fingern tippte sie einige Sachen in den Computer, schlürfte kurz am heißen Kaffee, bis sich eine Datei öffnete und ein Bild erschien, welches mir total bekannt vor kam. Nervös nippte ich an meinem Kakao und wartete darauf, dass die Krankenschwester, dessen Name nun Sophia war, etwas vorlas. Ihr Name stand auf ihren Namensschild am Schreibtisch. Sophia Johnson. "Mali Hood.", kam es über ihre Lippen. "Hood?", fragte ich erstaunt nach, wobei ich fast die heiße Brühe aus meinen Mund spuckte. Ich lehnte mich gegen den Schrank hinter uns und starrte auf den Computer. "Mali-koa Hood, ja. Ihre Eltern sind gestorben, schon vor Jahren. Sie war gerade mal 24 Jahre alt.", erzählte sie mir weiter. "Hat sie einen Bruder?", hauchte ich nervös. "Calum Thomas Hood. Ah, Sie suchen Ihn, oder?" Nun bekam ich gar kein Wort mehr raus, weswegen ich nickte. "Sie haben schöne Augen."

Ich sprintete nahezu wieder zurück auf mein Zimmer, nur war ich nicht so schnell. Meine sportliche Ausdauer war noch nie ausgeprägter, als die einer Schildkröte. Immer wieder biss ich mir nervös auf die Unterlippe und fuhr mir durchs Haar, aus Angst. Ich war so verwirrt. Wo war er? Und wieso hatte Ashton mich angelogen? "Clifford!", hörte ich Luke neben mir, weswegen ich sofort stoppte und mich umdrehte. Ashton war bei ihm. Der Gang wurde auf einmal ganz klein. "Ashton.", knurrte ich. "Wieso hast du mich angelogen? Calum war gar nicht da, es.." Mir blieb die Stimme auf einmal weg, Tränen flossen wieder über meine Wange. "Ganz ruhig, Michael.", versuchte es Luke sanft. "Es ist selbst ein Schock für uns, wir dachten, es wäre Calum gewesen, der-" - "Wo ist er?!", fragte ich ernst und versuchte nicht so aussehen, wie ich mich fühlte. "Wir suchen ihn selbst.", meinte Ashton leise. 

Mein Kopf war voll. Von allem. Jetzt gerade wünschte ich mir, dass meine Schwester überlebt hätte, anstatt so ein verlorenes Wrack wie ich. Meine Schritte wurden langsamer und meine Tränen wurden weniger. Die braunen Augen taten wir höllisch weh, aber der Schmerz war auszuhalten. Es gab Schlimmeres. Nun war ich wieder in der achten Etage und öffnete die Tür meines Zimmers. Plötzlich stand ein gut gebauter, schwarzhaariger, tätowierter und gut aussehender Junge vor mir. Meine Augen weiteten sich und ich wusste direkt, dass es der kleine Junge von damals war, der mir sagte, dass ich niemals aufgeben sollte und einen fuck drauf geben sollte, was andere denken. "Michael.", hauchte seine zarte Stimme durch den Raum. Nie hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie er aussehen könnte. Und das war auch gut so, weil ich so oder so keine Enttäuschung bekommen hätte. "Babyboy.", grinste ich und schloss den gleichgroßen Kiwijungen in meine Arme. "Du hast mir Angst gemacht, Kleiner.", hauchte ich an sein Ohr. "Du mir erst, Kitten." Er fühlte sich besser an denn je. Sogar seine Narbe an der Hand war zu sehen, zu spüren. Seine Haare waren weicher, seine Wärme war viel wärmer. Eigentlich hätte ich meine Augen nicht gebraucht, um zu merken, dass Calum alles war, was ich wollte. "Kannst du damit leben?", fragte ich leise, als ich mich von ihm löste. Ein breites Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht. "Womit? Mit dir? Schön, dass du fragst. Gerne." 


The blind accident {Malum ff} (Abgeschlossen) ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt