Ayden

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In seiner Wohnung angekommen, fing Ayden an, den Unterricht für den nächsten Tag vorzubereiten und musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung vom Unterrichten hatte. „Wozu hast du mich nur getrieben?", murmelte Ayden und beugte sich über seine Unterlagen. Immerhin verstand er etwas von Geschichte.
In seiner Zeit in der Anstalt hatte er immer viel Zeit zum Lesen gehabt. Vor allem Geschichten aus der Antike und der Zeit davor interessierten ihn sehr und das war auch das Thema der Abschlussklasse, die er ab morgen unterrichten würde.
Er wusste, dass es nicht üblich war, dass ein 22-jähriger schon Lehrer ist, aber er hatte alle nötigen Examen bestanden und konnte einige Jahre in der Uni überspringen, durch das, was er sich alles schon angelesen und eingeprägt hatte.
Gähnend beschloss er, nach einigen Stunden Arbeit, eine Pause zu machen und spazieren zu gehen, in der Hoffnung, das Mädchen von gestern Abend wiederzusehen. Er wusste, er musste sie finden.
Die Luft hatte sich kaum aufgewärmt seit dem Morgen und noch immer bedeckte der Raureif die Bäume und das Gras und ließen sie, wie mit milliarden von Diamanten besetzt, funkeln. Egal wo Ayden hintrat knirschte und knackte es, da die Blätter gefroren waren und unter seinen Füßen brachen. Atemwolken stiegen von seinem Mund auf, als er sich einen schwarzen Kaffee bei einem Kiosk kaufte und die Lokalzeitung überflog. Das Titelblatt trug das Foto eines Mannes mit der Unterschrift: „ Du warst ein guter Vater, Ehemann, Freund und Lehrer. Wo auch immer sie ist, möge deine Seele in Frieden ruhen." Ayden hatte einen Kloß im Hals und bitterer Selbsthass stieg in ihm auf. „Bist du jetzt zufrieden?!", fragte er still seinen inneren Dämon, aber wie so oft antwortete er nicht. In Momenten wie diesen, in denen Ayden sich einfach hilflos fühlte, fragte er sich oft, was ihn dazu brachte, das alles nicht sofort zu beenden. Einfach den Schalter umlegen und nicht mehr existieren. Doch immer wieder hielt ihn ein Gedanke davon ab, nämlich der, dass es da draußen irgendjemanden geben muss, dem er wichtig ist. Irgendjemanden zu dem er gehört, der die Leere in seinem inneren füllt und dafür sorgt, dass er sich wieder ganz fühlt. Seufzend warf Ayden seinen leeren Kaffeebecher weg und spazierte weiter durch den weitläufigen, fast ganz leeren Park.

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