Der restliche Tag verlief ziemlich ereignislos bis auf eine Sache. Irgendwann gegen 11 Uhr morgens bequemte sich Lucie dazu auch aufzustehen und wir frühstückten gemeinsam, danach riefen meine Eltern an und sagten ich solle nach Hause kommen, weil ich noch was zu erledigen hätte. Beinahe musste ich schmunzeln. Wenn es nach meinen Eltern ging, dann hatte ich immer etwas zu erledigen. Entweder in der Schule oder im Haushalt.
Als ich Lucies Haus verließ lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und das lag nicht nur an der Kälte, die hier draußen vorherrschte. „Sicher, dass ich dich nicht nach Hause begleiten soll?", fragte Lucie hinter mir. Ohne mich umzudrehen nickte ich. „Ja, alles wird gut, ich denke nicht, dass ich nochmal mitten am Tag angegriffen werde. Und falls doch, bin ich ja nicht lange tot", versuchte ich zu scherzen, doch ein leichtes Zittern in meiner Stimme verriet, dass ich doch nicht so cool war, wie ich vorzugeben versuchte.
Lucie sprach mich nicht darauf an, aber als ich los lief hätte ich schwören können, dass sie sowas wie „verrücktes Weib" murmelte.
Wie man sich vielleicht denken konnte, kam ich ohne weitere Zwischenfälle, außer, dass ich fast erfroren wäre, zuhause an, wo mich meine Mutter erstmal stürmisch umarmte und mein Vater mit ernster Miene eine Zeitung in der Hand hielt. Ich versuchte meinen Kloß im Hals herunter zu schlucken. „Was ist, wenn jemand an mir vorbeigekommen ist, als ich.....nunja nicht mehr ganz so quicklebendig auf dem Asphalt lag?", dachte ich und musterte erschrocken meine Eltern. „W-was ist los? Ist etwas passiert?", fragte ich mit zittriger Stimme. So fühlte ich mich auch. Zittrig.
„Dio! Francesco hör auf so streng zu gucken. Sie denkt ja noch, dass wir sie für irgendetwas bestrafen wollen", tadelte meine Mutter meinen Vater.
„Nein Valentina, Liebes, du hast nichts angestellt. Wir haben nur in der Zeitung gelesen. Nunja. Es tut uns schrecklich leid. Dein Geschichtslehrer ist gestern auf offener Straße überfallen und ermordet worden." Meine Mutter schaute mich besorgt an, als würde ich gleich zusammenklappen oder in Tränen ausbrechen, tatsächlich überkam mich jedoch Erleichterung. „Niemand hat mich tot auf dem Asphalt liegen sehen", dachte ich die ganze Zeit und versuchte nicht erleichtert aufzuatmen.
Meine Eltern schauten mich immer noch erwartungsvoll an. Sie warteten auf irgendeine Reaktion meinerseits. „Das ist schade. Ich glaube, dass er Kinder hatte. Er war ein guter Lehrer", sagte ich halbherzig. Ehrlich gesagt konnte ich Mr. Briggs noch nie leiden. Meiner Meinung nach bewertete er viel zu sehr nach der Tiefe des Dekolletés oder der Kürze des Rockes.
Mehr oder weniger zufriedengestellt wandten sich meine Eltern wieder von mir ab und ließen mich den Tag über allein, vermutlich, damit ich alleine mit meinem „Verlust" fertig werden konnte.
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Unhurtable
FantasyWenn du jemanden siehst, den du liebst, bleibt dein Herz nicht einen Moment lang stehen. Du spürst es nur kurz nicht mehr, weil alles nebensächlich wird, außer diese eine Person. Das lernte ich, als mein Herz das erste mal nicht mehr schlug. ...