Valentina

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Es war kalt draußen. Ich sah meinen Atem in kleinen Wölkchen vor meinem Mund schweben, während ich die paar Straßen von meiner besten Freundin Lucie aus lief.
Wie immer war es spät geworden, wenn Lucie und ich durch das Quatschen die Zeit vergaßen.
Nach mehreren Anrufen meiner Eltern, dass ich nach Hause kommen solle, konnten Lucie und ich es über uns bringen unsere, wie wir meinten, Lebenswichtigen Gespräche auf den nächsten Tag zu verlegen. Mittlerweile war es schon seit mehreren Stunden dunkel.
Ich hatte nie Angst vor der Dunkelheit gehabt, eher hatte ich das Gefühl, dass sie mich beschütze.
Bis jetzt.
Ich hörte die Schritte, bevor sich eine raue Handfläche auf meinen Mund drückte.
Mein Herz begann zu rasen und ein erschrockenes quietschen kam aus meiner Kehle.
„Einen Mucks, Süße, und ich beschere dir einen langsameren Tod, als ich vorhatte dir zu vergönnen. Verstanden?"
Ich spürte nicht, wie ich nickte und auch nicht, wie der Mann mich in eine Gasse zog. Das einzige woran ich in dem Moment denken konnte war, dass der Gestank in der Gasse wegen der Kälte nicht so stark ist. Meine Handflächen schwitzten und ich zitterte am ganzen Körper bis ich eine Messerklinge im Licht der Straßenlaterne aufblitzen sah und jeder Gedanke aus meinem Kopf verschwand.
Ein unerträglicher Schmerz durchfuhr mich und ich fiel wie eine Marionette, deren Fäden durchgeschnitten wurden auf den Boden. Mein Blickfeld verschwamm, wurde immer enger, bis undurchdringliche Schwärze sich auf meine Augen niederlegte.
Das letzte was ich spürte war, dass mein Herz holpernd zum stehen kam.

Ich hätte niemals Gedacht, dass das Leben nach dem Tod so anfängt, dass man an dem Ort des Todes die Augen aufschlägt und spürt, wie das Herz wieder anfängt zu pumpen und deine Lungen sich mit Luft füllen. Vorsichtig setzte ich mich auf und sah, wie das Blut um mich herum langsam gefror.
Es war schon in meine langen, dunklen Haare eingetrocknet. Vorsichtig hob ich meine Hand zur Kehle, aus Angst, was ich dort vorfinden würde, aber da war nichts! Nicht ein einziger Kratzer!
„Wie zum Kuckuck kann das möglich sein? Ich war doch tot. Ich, Valentina Pirotti, habe gespürt, wie mein Herz aufhörte zu schlagen." Diese Worte sagte ich mir immer wieder, so unmöglich sie in diesem Moment auch zu sein schienen. Dennoch wusste ich tief in mir drin, dass ich nicht tot gewesen sein konnte. Mein Herz trommelte wie wild in meiner Brust und die Kälte brannte mir auf den Wangen.
Langsam versuchte ich aufzustehen und als das Problemlos klappte fing ich an zu laufen. Schneller. Immer schneller.
Als ich mit Keuchendem Atem stehen blieb sah ich, dass mich meine Füße zum Haus von Lucies Eltern gebracht haben. Ich klingelte Sturm, bis mir jemand öffnete.
Lucie lehnte mit ihrer unnachahmlichen Lässigkeit in der der Tür, bis sich ihr Gesichtsausdruck veränderte und sich ihre Haltung versteifte.
„Val, was ist? Du bist doch vor 10 Minuten erst gegangen", fragte sie mich und musterte mich von oben bis unten. Ich merkte daran, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, als sie das viele Blut an mir entdeckte. „Darf ich reinkommen? Ich kann es dir erklären. Zumindest das, was ich von alledem verstehe", flüsterte ich ihr zu und versuchte die Situation mit einem schiefen Grinsen aufzulockern, was mir aber gehörig misslang.
Unfähig zu antworten nickte meine Freundin und ließ mich durch. Ich zog sofort meine blutige Jacke aus, warf sie auf den Boden und ging in das Badezimmer um das Blut von mir zu waschen. Als ich mehr oder weniger sauber war und mir meine Haare nass und schwer über die Schultern fielen, beobachtete mich Lucie immer noch im Spiegel. „So, Val, was ist passiert?", fragte mich Lucie ein weiteres mal und schaute mit ihren hellen Augen eindringlich auf mich herunter.
Ich seufzte und begann das Geschehene so ausführlich wie möglich zu schildern.

UnhurtableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt