Valentina

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Die Nacht war unruhig gewesen und ich hatte wieder einen verwirrenden Traum gehabt, weshalb ich mich fühlte, als wäre ich die ganze Nacht durch gelaufen. Ich war mitten in der Nacht schweißgebadet und schwer atmend aufgewacht mit den Schatten verfliegender Träume im Kopf. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte fiel ich dann wieder in einen traumlosen Schlaf, der anhielt, bis mein Wecker klingelte und ich aufstehen musste. Verschlafen taumelte ich ins Bad, duschte und machte mich fertig. „Na Liebes, gut geschlafen?", fragte mich mein Vater am Frühstückstisch mit der Zeitung in der Hand. „Hmpf", war alles was ich antwortete und das war meinem Vater wohl schon Antwort genug. Manchmal war es schön, dass mein Vater kein Fan von langen Antworten war. Wie sollte ich ihm sonst erklären, dass ich schlecht schlafe, seitdem ich ermordet wurde. Dass ich seitdem immer davon träumte, dass ich jemanden traf, der mein Leben auf den Kopf stellte, mit dem ich jedoch nie zusammen sein könnte? „Heilige Maria, wenn ich weiter so trübsinnigen Gedanken nachhänge kann ich mich gleich zu Dark Blossom umbenennen lassen, mir die Haare schwarz-pink gestreift färben und mir dann theatralisch die Pulsadern aufschneiden, während ich zugekokst irgendwo in einer Ecke liege und über den Sinn des Lebens nachdenke", dachte ich mir und stocherte appetitlos in meinen Cornflakes rum, bis ich eine Autohupe hörte. Lucie. Ich sprang vom Frühstückstisch auf, drückte meinen Eltern jeweils einen Schmatzer auf die Wange und lief mit meiner Tasche und meiner Jacke in der Hand zu Lucies gelben Beetle, den wir alle nur „die Hummel" nannten. „Guten morgen, Zombiegirl, na wie geht es dir denn heute? Ich hab so ein Gefühl, dass heute ein super Tag wird", begrüßte Lucie mich, als ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Da bist du die einzige, aber wenn du noch was von dem Zeug hast, was du geraucht hast, gib mir etwas davon ab ich könnte gute Laune heute echt gebrauchen", sagte ich. Es hatte sich aber schon ein Grinsen auf mein Gesicht gestohlen, wenn Lucie gute Laune hatte, dann war diese einfach ansteckend.
Sie war schon seit einem halben Jahr achtzehn, weshalb sie schon ein Auto hatte, dennoch fuhr sie so, dass man sich wunderte, wie sie überhaupt die Fahrprüfung bestanden hatte. Gerade bremste sie so scharf vor einem Stoppschild, dass der Autofahrer hinter uns sich laut beschwerte und hupte.
Vor Verlegenheit rutschte ich ein wenig tiefer in den Sitz. Ich hasste es einfach Aufmerksamkeit zu erregen, weshalb ich manchmal ziemlich froh darüber war gerade mal 1,60 groß zu sein. Dennoch ist groß zu sein manchmal praktisch. Man kommt an die Dinge ganz oben im Supermarktregal, hat Vorteile im Sport Unterricht, es sei denn, man hat eine Sportart in der es von Vorteil ist klein und schmal zu sein, und man wird im allgemeinen als älter eingeschätzt. Teilweise hielten mich Leute mit meinen fast achtzehn Jahren noch für vierzehn, was Lucie mit ihren 1,80m natürlich nie passieren würde. Dadurch, dass Lucie scharf bremste, um noch in die Parklücke zu kommen, an der sie fast vorbeigefahren wäre, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
„Es wäre ein Wunder, wenn du mit deinem Fahrstil niemanden umbringst", scherzte ich, als ich aus dem Auto stieg und die Tür zu schlug. „Hey, das ich nicht fair, außer dir hat sich noch nie jemand über meinen Fahrstil beschwert!", protestierte Luce lachend und wir betraten das Schulgebäude. Als ich aufsah kreuzte sich mein Blick mit den wohl schönsten dunklen Augen, die ich je gesehen hatte. Meine Füße blieben am Boden kleben und auch er hielt inne und schaute mich an. Die Welt um mich herum schien still zu stehen und das einzige, was ich hörte, war mein ruhiger, gleichmäßiger Herzschlag.

Er kam auf mich zu, in ein weißes Gewand gehüllt mit einem Schwert am Gürtel.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf, um das Bild vor meinen Augen los zu werden, doch es holte mich wieder ein.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen und seine Augen hielten mich gefangen. Ich konnte und wollte nicht weg. Zum ersten mal fühlte ich mich vollständig. Er gehörte zu mir....

Ich wurde unsanft gestoßen, weshalb ich wieder zur Besinnung kam und vor Schreck meine Sachen fallen ließ. „Oh mist, tut mir leid, ich hab nicht aufgepasst und du standest einfach so im Weg. Warte, ich helfe dir", sagte der Junge, der mich angerempelt hatte und half mir, meine Sachen wieder vom Boden aufzuklauben. „Schon okay, ich war wohl nicht ganz bei der Sache", antwortete ich verwirrt und schaute, ob der Junge noch da war, er war jedoch verschwunden. „Das war ja schräg", dachte ich. „Hier bitteschön. Übrigens, ich bin Luke", sagte der Junge und streckte mir die Hand hin. Immer noch nicht ganz bei mir nahm ich seine Hand. „H- hi, Val ähhhhhm Valentina, die meisten nennen mich aber Val", stammelte ich vor mich hin. Er sah gut aus. Irgendwie anders.
Seine hellen Haare und die Haut bildeten einen starken Kontrast zu den Mitternachtsblauen Augen, die so dunkel waren, dass sie fast schwarz wirken und sein schmales Gesicht hatte etwas anmutiges, edles an sich. Er hatte ein Gesicht, das man gerne zeichnen würde.
Er schien wohl zu merken, dass ich ihn anstarrte und räusperte sich leicht verlegen. „Ähm ich bin neu hier auf der Schule und kenne bis jetzt noch niemanden, würde es dir etwas ausmachen, mir später alles zu zeigen?", fragte er und kratzte sich am Nacken. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, ihn schon lange zu kennen und das bereitete mir ein gewisses Unbehagen, dennoch antwortete ich mit ja und wir verabredeten uns für die Pause, damit ich ihm alles zeigen konnte.
Da Lucie schon lange weiter gelaufen war, wahrscheinlich hatte sie gar nichts von dem ganzen hier mitbekommen, lief ich alleine zu meinem Spind, immer noch in Gedanken versunken. „Ich glaube, dass ich echt noch durchdrehe. Wieso sehe ich einen Jungen, mit dem ich für maximal 10 Sekunden Blickkontakt hatte, plötzlich in einer Toga? Erst die Sache, dass ich ermordet wurde, dann die Träume, die einfach überhaupt keinen Sinn ergeben und dann das!", dachte ich verwirrt und verzweifelt zugleich. Dennoch wurde ich dieses kribbeln im Bauch, das ich hatte, seitdem der Junge auftauchte nicht mehr los.

UnhurtableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt