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Andy McLary

„Alex?", wisperte ich und zog mich am Geländer wieder hoch.

Ich entnahm ein Stöhnen von unten. Das Beben hatte ihn bis runter auf den Fuß der Treppe katapultiert.

Ich rannte die Stufen hinab zu ihm. Er hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und hielt sich die Schulter.

„Was in aller Welt war das?!", stieß ich angsterfüllt hervor.

Alex antwortete nicht. Er marschierte schnurstracks auf die Haustür zu.

„Was tust du da, Alex?!"

„Na was wohl? Nachsehen, wer mir mein Haus zerstört!"

Er riss die Türe auf, sodass sie lautstark gegen die Hauswand knallte.

„Alex!", zischte ich ihm zu, doch er marschierte entschlossen aus dem Haus.

Unsicher folgte ich ihm. Er entfernte sich ein Stück vom Haus und sah zum Dach hinauf. Zitternd sah ich ihn an, um auf seine Reaktion zu warten.

Verwirrt breitete er die Arme aus. „Da ist nichts!"

„Was?", fragte ich verwundert und lief eilig zu ihm, um ebenfalls hinauf zu schauen. Auf dem Dach war tatsächlich nichts. Das Haus wirkte völlig in Ordnung, keine Spur von irgendwelchen Schäden. „Vielleicht war es ja doch ein Erdbeben."

Ratlos sahen wir uns um. Alles wirkte normal. Auch die Nachbarhäuser lagen ruhig da, keiner war raus gerannt, so wie wir. Ich runzelte die Stirn. Es konnte kein Erdbeben gewesen sein, wenn die gesamte Straße so seelenruhig dalag. Auch der Asphalt der Straße schien in Ordnung zu sein. Kein Anzeichen von Rissen oder ähnlichem.

„Andy", hörte ich Alex plötzlich sagen. Seine Stimme klang krächzend und verwundert drehte ich mich zu ihm. Entgeistert starrte er war auf das Dach.

Ich schluckte. Langsam und mit rasendem Herzen folgte ich seinem Blick.

Eine riesige Gestalt stand da auf dem Dach. Durch die Nacht wirkte sie pechschwarz. Hinter ihr leuchtete der Mond, sodass man nicht erkennen konnte, was es war. Aber eines war ich mir sicher. Ein Mensch war es nicht. Denn dafür war es zu groß.

„Alex", wimmerte ich. „Was ist das?"

„Egal, was es ist. Es soll runter von meinem Haus."

Ich erschrak über Alex' plötzlich so entschlossene Stimme und sah zu ihm rüber. Sein Blick war ernst auf die Gestalt gerichtet.

„Was willst du denn tun?", fragte ich entsetzt.

Er sah sich um bis seine Augen im Garten hängen blieben. Entschlossen lief er auf ein Beet zu, um das mehrere Steine gelegt waren. Fassungslos sah ich ihm zu, wie er sich einige Steine nahm. Ich sah wieder nach oben. Das Ding stand immer noch dort oben, aber durch den Mondschein dahinter konnte ich nichts als Schwärze darin erkennen. Es musste irgendein Tier sein. Aber welches Tier hier im Umkreis war denn so riesig und konnte so einen Krach verursachen?

Alex kam zurück und legte eine beachtliche Menge Steine vor sich auf den Boden, die er auf seine Arme gestapelt hatte.

„Du willst dieses Ding doch nicht wirklich mit Steinen bewerfen?!"

„Natürlich." Er hatte bereits einen Stein in der Hand und zielte auf das Dach. Noch bevor ich ihn davon abhalten konnte, wuchtete er den Stein mit aller Kraft auf die Gestalt zu.

Ich hielt die Luft an. Auf einmal schien alles in Zeitlupe abzulaufen. Der Stein flog und mit einem Mal breitete sich die Gestalt aus. Rechts und links von ihr erhoben sich gigantische Flügel, die es in die Luft hoben, noch bevor der Stein es erreichen konnte.

Meine Kinnlade klappte runter. Es war ein Vogel. Ein gigantischer Vogel. Er schwebte eine ganze Weile in der Luft, während wir wie angewurzelt dastanden. Dabei schlug er immer wieder mit seinen Flügeln. Der Flügelschlag war dieses Geräusch gewesen, welches wie ein lautes Handtuchschütteln geklungen hatte.

„Ich glaube...", setzte ich an, doch meine Stimme brach. Ich schluckte und versuchte es erneut. „Ich glaube, du hast ihn wütend gemacht."

Plötzlich flog er los. Er flog über unsere Köpfe, die Straße entlang. Dort drehte er sich einmal um die Achse und kehrte zurück. Er glitt direkt auf uns zu.

„Scheiße!", schrie Alex. „Lauf, Andy!"

Doch bevor wir uns überhaupt für eine Richtung entscheiden konnten, hatte er uns erreicht und landete fast lautlos vor uns. Der Schreck fuhr mir in die Glieder und ich schrie laut auf. Er war riesig. Er musste ungefähr drei Meter groß sein.

Wie gelähmt sah ich zu ihm auf. Es war ein Adler. Seine unheimlichen gelben Augen sahen auf uns herab. Nein. Sie blickten Alex an. Zitternd wagte ich einen Blick zu ihm. Auch er stand wie angewurzelt da.

Dann breitete der Adler wieder seine Flügel aus und hob ab. Mit einem kräftigen Windstoß, den der Hieb uns entgegen schleuderte, verschwand er genauso schnell wie er gelandet war.

Ich hatte mir die Arme schützend vors Gesicht gehalten. Doch er hatte uns nichts getan. Mit Entsetzen in den Augen sah ich ihm nach. Er zog einige Kreise über uns.

Plötzlich ließ er einen markerschütternden Schrei los, der einen höllischen Schmerz in meinen Ohren verursachte. Instinktiv hielt ich sie mir zu, doch sein Schrei hallte trotzdem noch durch.

Mit einem Mal war er verklungen. Ich sah auf. Doch der Adler war verschwunden.




Hellguys - Die Erben des AdlersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt