Alex Carter
Sehr einfach war es nicht.Trotz Taschenlampen mussten wir ständig aufpassen, nicht zu stolpern. Andy raste fast gegen einen Baum und Tyler überrannte beinahe ein unschuldiges Rehkitz. Wenn die Situation nicht so verdammt ernst wäre, hätten wir sie wohl zum Brüllen komisch gefunden.
Da, er schrie schon wieder. Schon jetzt fingen meine Ohren wieder an, zu schmerzen. Dieser schrille Schrei von vorhin, der sich bis zu meinem Trommelfell vorgearbeitet hatte, piepte immer noch in meinen Ohren wie ein Tinitus.
Während wir so durch den Wald rasten, überlegte ich, warum wir das eigentlich taten. Es war halsbrecherisch und gefährlich und ein Baseballschläger zusammen mit einem Pfefferspray würden uns wohl kaum retten. Aber aus irgendeinem Grund dachten wir über die Konsequenzen überhaupt nicht nach. Es schien, als würde dieser Adler eine ungeheure Anziehungskraft auf uns ausüben. Als hätte er ein entschlossenes Feuer in uns ausgelöst, das uns immer mehr dazu brachte, seinen Schreien zu folgen.
Und da kreischte er wieder. Diesmal viel näher. Meine Ohren dröhnten, aber keiner von uns machte Anstalten, abzuhauen. Wie konnte ein Adler – und sei er noch so groß – nur so ein abnormal lautes Organ haben?
Durch die Bäume schien der Mond. Es war beinahe Vollmond, was die ganze Sache noch gruseliger machte. Vollmonde bedeuteten doch nie etwas Gutes.
Schließlich endeten die vielen Bäume, Büsche und alles, was sich in dem dichten Wald befunden hatte und atemlos und erschöpft erreichten wir eine Lichtung, in der wir sofort zusammen gesackt wären, nach unserem verbissenen Rennen. Wäre da nicht dieser riesige Schatten inmitten der Lichtung gestanden, der bei uns allen für einen kurzen Moment das Herz zum Stillstand brachte.
Die großen Flügel hatte er eingezogen und regungslos starrte er zu uns hinüber. Fast sah er aus wie eine Statue, aber diese glühend gelben Augen, die so lebendig waren, und die ich trotz des großen Abstandes zwischen uns erkennen konnte, zeigten schnell, dass das hier kein Traum war. Es war die Realität.
Nun gab es keinen Weg mehr zurück. Jetzt gab es nur noch uns. Tyler, Andy, ich... und dieses bedrohliche Biest, das einige Meter weiter von uns entfernt stand. Mit einem Mal merkte ich, wie dumm und bescheuert unsere Aktion gewesen war. Wir waren mutterseelenallein mit der wohl gruseligsten Kreatur überhaupt. Und das zu allem Übel auch noch mitten in einem Wald! Irgendetwas musste dieser mysteriöse Adler in uns ausgelöst haben. Nie im Leben wären wir auf die Idee gekommen, in der Dunkelheit in den Wald zu rennen und nach einem Geschöpf wie ihm zu suchen.
Wieder fiel mir seine unglaubliche Intelligenz ein. Es war seine Absicht gewesen. Er wollte uns hier haben. Hier, wo niemand sonst war, nur wir alleine. Wir waren ihm einfach in die Arme gelaufen, als würden wir ihm damit, als seine Beute, einen Gefallen tun. In der Schwärze der Nacht sah man lediglich seine dunkle Gestalt und diese abnormalen glühenden Augen, die uns praktisch durchbohrten.
Schwer atmend standen wir diesem riesigen Adler gegenüber. Es war vollkommen ruhig um uns herum. Mal abgesehen von unserem unregelmäßigen Keuchen war alles still.
Was passierte jetzt? Warum rannten wir denn nicht einfach weg? Warum waren wir überhaupt hierher gekommen?
Der Adler regte sich nicht. Er verharrte immer noch wie eine Statue an Ort und Stelle. Würde sich sein Gefieder in dem leichten Wind nicht regen und seine gelben Augen nicht so abartig glühen, würde ich tatsächlich glauben, er sei aus Stein.
Tyler stützte sich auf seine Knie und starrte den Adler an. „Denkt ihr... der kann sprechen?", brachte er unter Keuchen hervor. Irritiert drehte ich mich zu ihm um.
„Wieso sollte er sprechen können?", fragte Andy, offensichtlich ebenfalls so verstört wie ich und glotzte Tyler ungläubig an.
Es war unglaublich. Selbst jetzt konnten die beiden noch über so einen Firlefanz diskutierten, über den sich sonst niemand Gedanken machen würde. Ich weiß nicht wie ich das schaffte, aber genau in diesem Moment musste ich die Augen verdrehen.

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Hellguys - Die Erben des Adlers
FantasyNichts wird mehr wie vorher sein. In nur einer Nacht verändert sich das ganze Leben von Alex, Tyler und Andy durch eine Begegnung mit einem längst ausgestorbenen Adler. Doch ist er wirklich ausgestorben? Die drei Freunde entdecken eine völlig neue W...