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Alex Carter

In der Mittagspause gingen Andy und ich zusammen in die Cafeteria. Tyler hatte noch irgendetwas zu erledigen und hatte gemeint, wir sollten schon einmal vorgehen - was auch immer das wieder heißen sollte.

Andy schaufelte sich natürlich gleich massenweise Essen auf sein Tablett und war damit dann erstmal für eine Weile beschäftigt. Ich war längst fertig, als er erst bei der Hälfte seines Haufens angelangt war. Während ich den Flaschendeckel meiner Cola auf und zu drehte, sah ich gelangweilt Andy zu, wie er sich ein halbes Stück Pizza in den Mund schob.

„Wo bleibt eigentlich Tyler?", fragte Andy, als er genügend Platz in seinem Mund geschaffen hatte, um halbwegs verständliche Worte herauszubekommen.

Ich zuckte mit den Schultern und spielte weiter an meinem Flaschendeckel herum. „Keine Ahnung. Vielleicht ist er ja mal wieder in eine Schlägerei verwickelt."

Andy machte ein bestürztes Gesicht und hörte schlagartig auf, zu kauen. „Aber dann fliegt er doch von der Schule!"

„Das ist mir auch klar, Andy. Aber das einzige, was Tyler nun mal aufhalten kann sind Schlägereien... und Mädchen", fügte ich noch hinzu.

„Hoffen wir für ihn, dass es ein Mädchen ist..." Andy machte eine nachdenkliche Pause. „Sein Vater hat ihn wieder geschlagen, nicht wahr?", fragte er leise, als könnten die anderen um uns herum unser Gespräch durch das Lachen und Getratsche in der großen Essenskantine mit anhören.

Ich gab keine Antwort und richtete meine Aufmerksamkeit auf meinen Flaschendeckel.

„Alex, ich habe es doch auch gesehen. Vorhin in Mathe."

„Tyler meinte, er wäre gegen eine Tür gelaufen", entgegnete ich tonlos.

Andy schnaubte. „Seine Ausreden werden immer schlechter."

Ich sagte wieder nichts. Tyler's Probleme mit seinem Vater waren schon seit Anbeginn unserer Freundschaft da, doch es war immer ein Thema, um das jeder einen großen Bogen machte. Da wir wussten, dass Tyler darüber nicht sprechen wollte und nach einiger Zeit gemerkt hatten, dass es kein Sinn machte, immer wieder nachzubohren, hatten wir es mit der Zeit einfach sein lassen. Dennoch waren die Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinem Vater immer wieder offensichtlich, was Andy und mich jedes Mal zum Nachdenken brachte.

„Wir sollten etwas dagegen unternehmen", bekräftigte Andy.

Ich lachte auf und warf meine Flasche quer durch den Raum. Nachdem sie über mehrere Köpfe hinweg geflogen war, landete sie direkt im Mülleimer neben den Toilettentüren. „Yeah", murmelte ich und stellte enttäuscht fest, dass es außer mir und Andy niemand mitbekommen hatte und letzterer schien sich nicht dafür zu interessieren, sondern blickte mich lediglich ernst an. Ich räusperte mich und wandte mich wieder dem Thema zu. „Und was sollen wir deiner Meinung nach tun? In Houston's Büro rein spazieren und ihn über seine fragwürdigen Erziehungsmethoden aufklären?" Bei dem Gedanken daran, musste ich grunzen. Als ob er sich etwas von zwei dahergelaufenen Teenagern sagen lassen würde. Wenn sein Sohn schon so ein Dickkopf war, konnte ich mir kaum vorstellen, dass sein Vater gerne Einsicht zeigte.

Andy schwieg und blickte resigniert in seinen Erdbeerjoghurt, dessen Deckel er gerade mühsam aufgerissen hatte und dabei ein wenig des rosafarbenen Inhalts auf seine Hand gekleckert war.

Da hörten wir plötzlich einen energischen Ausruf, der sich verdächtig nach Tyler's wütender und fester Stimme anhörte. „Alter, ich mach dich kalt!" Der Ausruf kam vom anderen Ende des Saals. Überrascht drehten wir uns um, wie viele andere um uns herum auch. Entnervt verdrehten wir die Augen, als wir unseren Freund erblickten.

„Komm, Andy", sagte ich und erhob mich stöhnend von meinem roten Plastikstuhl. „Retten wir Tyler erneut vorm Schulverweis."

Als wir bei Tyler ankamen, stand dieser soeben David gegenüber. Ein Footballer aus unserer Stufe, der normalerweise viele Witze riss und eine große Klappe hatte. Momentan schien er jedoch nicht sehr aufs Scherzen aus zu sein.

„Tyler, komm runter" sagte ich locker, als wir bei ihm ankamen. Mit einer festen Haltung stellte ich mich vor David.

Tyler starrte mich wütend an. In seinen Augen blitzte etwas auf, dass ich nicht ganz zu deuten vermochte. Eine Weile sagte niemand etwas. Der ganze Saal war mit einem Mal still geworden. Alle Gesichter waren auf Tyler und mich gerichtet und jeder um uns herum wartete darauf, was als nächstes passieren würde.

„Spielst du dich seit neustem als Ritter in der Not auf?", fragte Tyler spöttisch, doch seine Stimme klang immer noch aggressiv. Natürlich spielte er damit auf meine Rettungsaktion von heute morgen an.

„Es würde dir auch mal ganz gut tun, zur Abwechslung den Guten zu spielen." Ich beugte mich vor, sodass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren und blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen ernst an. Andy eingeschlossen war ich einer der wenigen, die mit Tyler auf einer Augenhöhe waren. Irgendetwas war anders an ihm und langsam bezweifelte ich meine vorherige Annahme, dass ihn Flirts oder Schlägereien davon abgehalten hatten, die Mittagspause mit uns zu verbringen. Hinter seiner Wut lag etwas Frustriertes, fast schon Verzweifeltes.

Keine Ahnung, wie lange wir uns so gegenüberstanden und uns gegenseitig anstarrten. Jedenfalls räusperte sich jemand hinter mir nach geraumer Zeit. Überrascht blinzelte ich auf und drehte mich um.

David hatte die Hände erhoben und sah mich abwartend an. Nachdem ich ihn lediglich fragend anglotzte, sagte er: „Ich nehme mal an, du hast die Situation unter Kontrolle."

Er wollte sich gerade verduften, da wandte sich plötzlich Tyler ihm wieder zu. „Halt mal!", rief er. Ich verdrehte die Augen, da ich mir schon ausmalen konnte, was nun kam. „Wenn du männlich genug bist, dann komm morgen früh auf den Schulhof und stell dich deinem Urteil!"

„Tyler!", murmelte Andy genervt, der mit verschränkten Armen neben mir stand.

„Maul!", schnauzte Tyler ihn an. Er war ganz schön gereizt. Na gut, das war er ja immer, aber da war etwas anderes. Es war nicht nur Wut ihn ihm, wie ich es sonst gewohnt war. „Der Typ hat es wirklich verdient!"

Ich bezweifelte, dass dem so war. David war ich zuvor schon auf einigen Partys begegnet und hatte auch diverse Kurse mit ihm zusammen. Er war keineswegs jemand, der Streit suchte.

„Ja ja, schon klar", erwiderte Andy, „Komm jetzt, Tyler."

Doch Tyler ging nur wütend an uns vorbei und stieß dabei kräftig mit der Schulter gegen Davids. Natürlich mit Absicht.

„Meine Güte, Alex", raunte David mir zu, als Tyler außer Hörweite war. „Der Typ dreht ja völlig am Rad. Bring ihn mal zur Vernunft."

Es gefiel mir nicht, wie David über Tyler sprach. Klar, in gewisser Weise hatte er ja recht. Doch keiner von denen, die sich ein Urteil über Tyler erlaubten, kannten ihn wirklich. Sie erlebten lediglich seine Ausraster, aber nie seinen wahren Charakter. Ich sah David nur kurz an, entgegnete aber nichts darauf. Dann sah ich Stirn runzelnd Tyler hinterher. Die Schüler machten ihm rasch den Weg frei, als er wütend an ihnen vorbei stakste. 


Hellguys - Die Erben des AdlersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt