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Alex Carter

Mir fiel auf, dass ich in letzter Zeit sehr häufig Spaziergänge unternahm, aber würde ich das nicht tun, würde ich wohl verrückt werden. Früher hatte ich das nie gemacht, da hatte ich Besseres zu tun, denn da konnte ich noch sorglos Basketball spielen gehen.

Es war ein wenig kühler heute, sodass ich mir noch schnell meine schwarze Lederjacke überzog, bevor ich das Haus verließ. Ich war erst ein paar Schritte gegangen, als ein roter VW Polo in die Straße einbog. Es war meine Mom und ich stellte überrascht fest, dass ich sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Wenn sie von ihrer Frühschicht ihres ersten Jobs heimkam, war ich noch in der Schule und ich kam immer erst nach Hause, wenn sie bereits zu ihrem zweiten aufgebrochen war.

Als sie mich auf dem Gehweg erblickte, lenkte sie den Wagen an den Straßenrand und kurbelte das Fenster der Fahrerseite herunter. Ich musste die Ohrstöpsel meines Mp3-Players aus den Ohren nehmen, um sie zu verstehen.

„Wo du hingehst, habe ich gefragt", wiederholte sie lächelnd. Sie wirkte erschöpft und trug noch immer die blaue Kellneruniform des Diners, in dem sie tagsüber arbeitete. Tiefe Ringe hingen unter ihren Augen, die sie viel älter wirken ließen, als sie eigentlich war und ein paar schwarze Strähnen hatten sich aus ihrem Dutt gelöst, die nun wirr über ihrem Gesicht hingen. Sie arbeitete einfach viel zu viel und schon oft hatte ich versucht, sie ein wenig zu unterstützen. Doch Anfang dieses Schuljahres hatte sie mir befohlen, meinen Nebenjob in der Autowerkstatt zu kündigen, damit ich mich auf die Abschlussprüfungen konzentrieren konnte und nicht allzu abgelenkt sein würde. Wenn sie nur wüsste. Meine Veränderung war eine enorm große Ablenkung für mich und dank der passte ich nun noch weniger im Unterricht auf, als sonst.

„Oh, ähm... zu Tyler", erwiderte ich wahrheitsgetreu und versuchte so gelassen wie immer zu klingen.

Sie musterte mich nachdenklich. „Ich habe den Rest des Tages frei, hab' dich die letzten Tage kaum zu Gesicht bekommen. Bist du bis heute Abend wieder Zuhause? Dann kannst du mir ein bisschen von deiner Woche erzählen." In ihren müden Augen blitzte plötzlich Traurigkeit auf und ich verspürte ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Ich wusste, wie hart es für sie war, dass sie für ihren eigenen Sohn nie Zeit fand. Doch genauso wusste sie auch, dass ich ihr deshalb nie Vorwürfe machen würde, schließlich hatten wir kein Geld. Mein Vater hatte uns nach seinem Tod nicht sonderlich viel hinterlassen können und meine Mutter nahm jede Arbeit an, die sich ihr bot, um uns bei Wasser zu halten. Da sie damals erst 17 Jahre alt gewesen war, als sie mit mir schwanger wurde, standen ihre Chancen im Berufsleben nicht gerade unter einem guten Stern. Trotzdem war sie immer extrem stark gewesen, weshalb ich großen Respekt vor ihr hatte. Ich wüsste nicht, wo wir heute ohne ihre Stärke wären.

Ich grinste nervös. „Klar", sagte ich nach einer Weile Zögern, in der ich überlegte, wie viel ich ihr würde verschweigen müssen. „Bin nicht lange weg, denke ich."

„Gut." Sie musterte mich immer noch mit einem merkwürdigen Ausdruck. „Sonst ist alles in Ordnung bei dir? Jedes Mal wenn ich dich sehe, wirkst du so... zerstreut."

Ich biss mir auf die Unterlippe und schob den einen Ohrstöpsel wieder rein, um den pubertären Teenie zu spielen, der nicht über seine Probleme sprechen will. „Nein, ist alles okay. Muss jetzt auch echt weiter. Wir sehen uns dann später."

Sie verdrehte die Augen, aber der Anflug eines Lächelns stahl sich in ihr Gesicht. „Ist gut." Dann fuhr sie davon.

Seufzend strich ich mir die Haare aus der Stirn, während ich meinen Weg fortführte. Während Tylers und Andys Eltern bisher nichts Auffälliges an ihren Kindern bemerkt hatten, erkannte es meine Mutter, die mich so selten zu Gesicht bekam, sofort. Na gut, bei Tyler war es nicht sonderlich überraschend, seine Eltern waren schließlich noch seltener Zuhause als meine Mutter und sein Vater hatte bekanntermaßen auch andere Probleme, als sich um die seines Sohnes zu kümmern. Die bemerkte er nämlich erst, wenn der Direktor sich mal wieder meldete und selbst dann interessierte er sich immer noch nicht für Tyler Probleme, sondern nur dafür, was sie anrichteten. Andy hatte einmal gemeint, dass seine Mutter schon einige Male nachgefragt habe, ob etwas los sei, aber es dann letztendlich auf die Endphase der Pubertät geschoben hatte. Ich hoffte, meine Mutter ebenfalls in diese Richtung bewegen zu können. Aber sie war eine beeindruckend gute Menschenkennerin und es war schon früher nicht einfach gewesen, etwas vor ihr zu verheimlichen. Das begann schon bei dem Stibitzen der versteckten Süßigkeiten und endete beim Verheimlichen meiner hoffnungslosen Mathearbeiten. Aus dem Grund hatte ich meinen gemogelten Kurztest sofort unter sämtlichen alten Büchern versteckt, da mir bewusst war, dass sie es mir nicht abkaufen würde, tatsächlich eine 2 geschrieben zu haben.

Hellguys - Die Erben des AdlersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt