Gefühlschaos Teil 1

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Germán schritt die Treppen hinauf. An diesem Tag wusste er nicht wirklich etwas mit sich anzufangen. Violetta hatte das Dachzimmer und somit die ganzen Erinnerungsstücke Marías gefunden. Für Germán kam dadurch die ganze Vergangenheit, die er vergessen, verschließen wollte, zurück. Unzählige Erinnerungen an María, vergangene Momente mit ihr, erfüllten die letzten Stunden seine Gedanken. Es tat einfach nur weh.

Gedankenverloren lief Germán den Flur entlang, als er an Violettas Zimmertür stehen blieb. Sie war komischerweise offen und als er hineinsah, erkannte er Angie, welche Marías Tagebuch in den Händen hielt. Sie sah sich etwas bestimmtes an. Germán trat unbemerkt in den Raum. Zu gleicher Zeit ließ Angie ein kleines Blatt aus dem Tagebuch fallen. "Ohh."

Es fiel Germán genau vor die Füße und er hob es auf. Er sah Angie fragend an. Diese war durch sein Erscheinen deutlich erschrocken und verunsichert. "Ich ehh... Germán. Ich... ich eh geben Sie her, ich bewahre es auf." Germán verstand es nicht. Was wollte Violettas Hauslehrerin nur mit dem Tagebuch? "Was hat das zu bedeuten, Angie?"

Nach einem kurzen Moment des Zögerns antwortete sie. "Ich wollte einfach nur da sein, wenn..." Doch Germán hatte nicht zugehört. Er sah sich das Papier in seinen Händen an. Es war ein Bild. Ein Bild von María und ihrer kleinen Schwester. Noch mehr Erinnerungen, die sich einen Weg zu Germán suchten. Warum? Er kam wieder zu sich und fing an zu reden, unwissend, dass er Angie somit unterbrach.

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich machen soll." Germán war völlig fertig, der Schmerz saß tief. Er war den Tränen nahe. Das sah und hörte man in seiner Stimme. Er stand völlig neben sich. "Was soll ich machen? Überall tauchen Erinnerungen auf von María und ich weiß, dass es gut für Violetta ist, aber ich zerbreche daran." Germán war während dieser Worte in seiner eigenen Welt. Er hörte selbst, wie deprimiert und hoffnungslos seine Stimme klang.

Als er kurz nach seinem letzten Wort seine Umgebung wieder richtig wahrnahm, bemerkte er, dass Angie direkt vor ihm stand und ihn keine Sekunde später in ihre Arme zog. Im ersten Moment war Germán über ihre Reaktion viel zu verwundert, um sich bewegen zu können. Dann aber schlang auch er die Arme um ihren schlanken Körper und zog sie dicht zu sich. Er vergrub sein Gesicht in Angies Locken, während diese ihm tröstend über den Rücken strich. Die blonde Frau hielt ihn ebenfalls fest an sich gedrückt.

Germán spürte ihre Präsenz allzu deutlich, atmete ihren blumigen Duft ein. Sein Herz begann schneller zu schlagen, sie waren sich so nah. In den letzten Tagen ist dem großen Mann bewusst geworden, dass er dabei war, sich in die Hauslehrerin seiner Tochter zu verlieben. Dies hier verstärkte das Gefühl umso mehr.

"Ich will einfach nur da sein in Momenten wie diesen und Ihnen helfen, Situationen wie diese zu überstehen.", flüsterte sie sanft. Ihr warmer Atem strich zart gegen sein Ohr. Germán fühlte sich schlichtweg elend, doch diese Frau schaffte es, sein Leid ein wenig zu minimieren. Während Angie ihm in einem stetigen Rhythmus über den Rücken fuhr und Germán sich immer mehr beruhigte, fragte er sich, warum. Warum hatte sie ihn in den Arm genommen? Warum wollte sie ihm helfen? Warum gingen ihre Mühen weit über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus? Und warum ging ihre Beziehung zueinander weit über die einer normalen Chef-Angestellter-Beziehung hinaus?

Angie löste sich zaghaft von ihm und schaute Germán besorgt und zugleich liebevoll an. Germán war sich seinerseits sicher, noch immer wie ein Häufchen Elend dreinzublicken. "Kein Vater kennt seine Kinder durch und durch. Aber zumindest versuchen Sie es. Und das Gute ist, dass Sie erkannt haben, dass die Lüge nicht der richtige Weg ist. Sie müssen also nicht traurig sein, Sie machen Ihre Arbeit gut. Es mag für Sie zwar momentan schwer sein, Violetta helfen die Sachen ihrer Mutter aber sehr. Das weiß ich."

Angie lächelte ihn freundlich an und Germán fand zumindest die Antwort auf seine letzte Frage. Ihre Beziehung ging über eine normale hinaus, da Angie einfach so ist wie sie ist. Sie kümmerte sich um alle, stellte ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, wollte, dass es allen in ihrem Umfeld gut ging, war fürsorglich, aufmerksam, hilfsbereit. Er war nur ihr Arbeitgeber und dennoch konnte sie nicht mit ansehen, wie er litt.

Germangie - OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt