'Ich bin Ángeles, Marías Schwester, deine Schwägerin.' Dieser Satz nistete sich in Germáns Gedächtnis ein, wiederholte sich wie ein Mantra immer und immer wieder. Es waren sieben Worte. Sieben Worte, die seine Welt zum Einsturz brachten.
Es vergingen Sekunden, gefühlte Minuten, in denen Germán die blonde Frau, seine Schwägerin, einfach nur ansah. Mit der Zeit hatte sie aufgehört zu weinen und schaute mal auf den Boden, mal direkt in seine Augen. Als sein Verstand nach einer kleinen Ewigkeit wieder zu funktionieren schien und ihm die Bedeutung der Worte einigermaßen klar wurde, blickte Germán Angie einfach an.
Alles war gleich. Die Farbe des Blaus, das Funkeln, den noch immer sichtbaren Tränenschleier, einfach alles. Es waren Germáns Augen, seine Sicht auf die junge Frau vor ihm, welche sich verändert hatten. Wenn er sie jetzt ansah, dann erkannte er sie: Marías kleine Schwester Ángeles. Die Augen, die Haarfarbe, die Gesichtsform, Nase und Mund. So hatte Ángeles ausgesehen. Natürlich war es Ewigkeiten her, seitdem Germán sie zum letzten Mal gesehen hatte, aber sie war es. Kein Zweifel.
Dies war das erste Mal, von noch unzähligen folgenden, in denen Germán sich fragte, warum er es nicht schon viel früher erkannt hatte...
Irgendwann begann Germán zu blinzeln und löste sich somit aus seiner Starre. "Du..." Er hörte selbst wie brüchig seine Stimme klang. "Es tut mir leid.", flüsterte Angie. Ihre Stimme. Sogar diese, welche sich in den ganzen Jahren ebenfalls verändert haben musste, glaubte er nun, wiederzuerkennen.
Plötzlich kam Germán ein Gedanke in den Sinn, den er die ganze Zeit über nie bewusst gedacht hatte. Er hatte die Schwester seiner Frau geküsst. Er hatte sich in seine Schwägerin verliebt!
"Aber..." Germán schaffte es nicht, mehr als einzelne Worte rauszubringen. "Warum? Ich... wir... wir haben uns geküsst." Ein einfacher Satz, mit dem alles gesagt wurde. Alle Vorwürfe, alle Schuldzuweisungen steckten darin. "Ich weiß. Und du weißt, dass ich es verhindern wollte. Ich habe es versucht. Wirklich. Aber die Gefühle waren letztendlich zu stark."
Jetzt, als Angie von den Gefühlen sprach, das Unvermeidbare ansprach, wurde Germán wütend. "Gefühle! Was für Gefühle?" Nun war er wieder bei all seinen Sinnen, schwankte um, zu Unglauben, Verzweiflung und vor allem Wut. "Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht. Du... du bist ihre Schwester, verdammt nochmal!" Germán wurde lauter, funkelte Angie böse an. "Wie konntest du nur zulassen, dass...", er bewegte die Arme, wild gestikulierend, "...das passiert?" Angie sah ihn hilflos an. "Was hätte ich denn bitteschön machen sollen?! Es ist nun einmal passiert. Ich habe mir genauso wenig ausgesucht, mich in meinen Schwager zu..."
"Du wusstest im Gegensatz zu mir aber, wie unser Verhältnis ist!" Germán sah sie fassungslos an. "Du hättest mir eben gleich die Wahrheit sagen müssen, dich noch mehr von mir distanzieren, dich... es einfach anders machen, als du es getan hast!" Der große Mann war völlig aufgebracht. Das konnte doch nicht wahr sein. Angie hatte ihm neue Hoffnung gegeben, gezeigt, dass man auch glücklicher leben konnte, als er es getan hatte. Sie hatte ihm wieder gezeigt, wie es ist, zu lieben... Und nun stellte sich heraus, dass sie seine Schwägerin war.
"Germán." Angie war ähnlich verzweifelt wie er, doch anstatt vor Wut zu explodieren und lautstark zu brüllen, fing sie erneut an, zu weinen. Und auch, wenn Germán es nicht wahrhaben wollte, zog sich sein Herz dabei schmerzhaft zusammen.
Sein Verstand behielt jedoch die Oberhand und so sah er sie lediglich kalt an, seine Stimme noch immer gereizt, schreiend. "Ich habe dir vertraut, ich dachte, du seist eine gute, aufrichtige Person. Wie konnte ich nur so falsch liegen?" Germán holte tief Luft, um noch eine Spur lauter fortzufahren. "Du bist der letzte Mensch, von dem ich so etwas erwartet hätte. Du hast mich belogen, hintergangen, verraten! Schamlos für deine Pläne ausgenutzt. Du bist wirklich das..."