Die Umarmung der beiden dauerte noch eine kleine Ewigkeit an. Nach diesem nervenaufreibenden Tag war es einfach nur schön gewesen, in den Armen ihres Schwagers zu liegen. Bei ihm fühlte sie sich so wohlbehütet und geborgen, wie bei keinem anderen. In seiner Nähe führten die Schmetterlinge in ihrem Bauch jedes Mal ein kleines Rodeo auf und ihr Herz schlug Purzelbäume. Wenn diese Gefühle doch nur auf Gegenseitigkeit beruhen würden...
Nach dem gemeinsamen Abendessen beschlossen Germán, Angie, Violetta und Ludmila sich zusammen einen Film anzuschauen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich einig waren, aber schlussendlich entschieden sie sich für einen klassischen Liebesfilm. Sie ließen sich alle nebeneinander auf dem Sofa nieder, Violetta mit einer großen Schüssel Popcorn auf dem Schoß und schauten gebannt auf den Bildschirm.
Gegen Ende des Films kristallisierte sich allerdings immer mehr heraus, wer die wirklichen Fans von solchen Liebesfilmen waren und wer nicht: "Ohh, das ist sowas von langweilig!", seufzte Ludmila leicht genervt und Angie konnte nur zustimmen. Es war mal wieder einer dieser Romanzen, bei denen man das Ende bereits nach den ersten paar Minuten voraussagen konnte und es bestätigte sich nun immer mehr. Ihre Nichte sah das jedoch komplett anders: "Psch! Romantische Filme sind das Beste, was es auf der Welt gibt! Ich halte es nicht mehr aus, küsst euch endlich, na los, küsst euch!"
Ludmila verdrehte lediglich die Augen und griff kommentarlos nach dem Popcorn. Angie musste schmunzeln. Sie vertrat eindeutig die Sichtweise den blonden Mädchens! "Das... das hast du von deiner Mamá geerbt.", äußerte sich nun auch Germán zu dem Thema, doch seine raue Stimme und sein mehr oder weniger unauffälliger Versuch sich die Tränen aus den Augen zu wischen, verrieten, von wem Vilu diese Vorliebe in Wirklichkeit hatte. Man konnte hier eindeutig erkennen, dass es sich bei den beiden um Vater und Tochter handelte.
Für ein paar Minuten war wieder Ruhe eingekehrt, doch bei den mitfiebernden und gespannten Gesichtern der anderen zwei konnte sich Ludmila einen weiteren Kommentar nicht verkneifen: "Die kommen doch sowieso zusammen!" Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, richteten sich zwei entsetzte Blicke auf sie, bevor Violetta vom einen Sofaende zu Germán am anderen Ende sah: "Sie hat das Ende verraten!", und ihr Vater wiederholte, "Du hast das Ende verraten!" Der Schock und das Unglauben der beiden lösten bei den zwei Blondinen in der Mitte ein ungläubiges Auflachen aus. "Ich bitte euch!", wies Ludmila sie zurecht und Angie unterstützte: "Romantische Filme sind alle gleich, sie kommen am Ende eh zusammen, das ist doch kein Geheimnis!"
"Halt, halt, pscht!", schaltete sich Germán wieder ein, "Ihr verpasst ja alles. Jetzt kommt er zu ihr, da, sie verlässt das Haus, seht mal!" Violetta war völlig aus dem Häuschen: "Ah wie süß, ich flipp' aus!" "Seht mal, er hat für sie die Herzen erleuchtet!"
Angie und Ludmila seufzten bei dieser, für sie unverständlichen, Euphorie erneut auf und drehten den Kopf zueinander um. Sie begannen gleichzeitig diesen zu schütteln, was die beiden Frauen schließlich kichern ließ. "Hey, ich verstehe nichts!", beschwerte sich Vilu prompt und bewarf die zwei Blonden mit dem Popcorn. "Lass das!", schimpfte Ludmila und griff nun ebenfalls in die Schüssel, während Germán sich über alle beugte, um seinerseits Munition zu bekommen, mit der er sofort Angie beschoss. "Das bekommst du zurück!"
Keine fünf Sekunden später hatten alle Popcorn in den Händen und schmissen wie wild auf ihre Gegner. Es bilden sich kleine Einzelkämpfe zwischen Ludmila und Violetta sowie Angie und Germán.
Nachdem auch das letzte Korn in den Haaren eines der Mädchen landete, waren die vier gezwungen, ihr Kriegsbeil zu begraben. Lachend lagen sie auf oder vor dem Sofa und schnappten nach Luft. Germán, der gegen Ende des Kampfes vom Sofa gerutscht war und seine Schwägerin dabei mitgezogen hatte, sodass diese nun halb auf ihm saß, lächelte sie dabei freudig an, seine Lachfalten kamen zum Vorschein. Angie erwiderte es und wusste, was er in diesem Moment dachte. Er und seine Töchter hatten Angie aufgeheitert, haben sie zum Lachen gebracht. Und wie! Die blonde Frau hatte in den vergangenen Stunden keinen einzigen Gedanken an Priscilla verschwendet und viel Spaß gehabt!
Nachdem die vier ihr veranstaltetes Chaos beseitigt hatten, machten sich zunächst Violetta und Ludmila auf den Weg ins Bett. Germán und Angie waren noch damit beschäftigt, das Bett der blonden Frau zu beziehen und für die Nacht herzurichten.
"So, jetzt kannst du hier ohne irgendwelche Bedenken bezüglich Priscilla in aller Seelenruhe schlafen.", meinte Germán und strich ihr ermutigend über den Arm, "Wir sind für dich da, Angie. Immer." Sie versank auf der Stelle in dem leuchtenden Braun seiner Augen und ein wohliges Kribbeln lief ihr bei seinen Worten den Rücken hinunter. Spontan trat Angie auf ihn zu und zog ihren Schwager in eine kurze Umarmung. "Danke, Germán!" Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und löste sich langsam von ihr. "Schlaf schön." Mit diesen Worten verließ er den Raum, um sich in sein eigenes Schlafzimmer zu begeben...
Kaum lag Angie allerdings in ihrem Bett und knipste ihre Nachttischlampe aus, um zu schlafen, kamen sämtliche Gedanken und Befürchtungen wieder hoch.
Natürlich war sie hier fürs Erste sicher, aber wie sollte das denn weitergehen? Sie konnte sich doch nicht ein Leben lang im Haus ihres Schwagers einquartieren und vor dessen Exfreundin verstecken. So verlockend es einerseits klang, Germán dadurch nahe zu sein, wollte es Angie gar nicht. Sie wollte sich nicht von Priscilla beeinflussen und bestimmen lassen, sie wollte ihr eigenes Leben leben!
Angie wandte sich im Bett hin und her. Konnte sie ihren Kopf nicht ein einziges Mal ausschalten und einfach einschlafen!? Anscheinend nicht. Je länger Angie über diesen Tag, all ihre jemals geführten Gespräche mit Priscilla und den Vorfall mit der Spinne in ihrem Auto nachdachte, desto mehr Angst bekam sie. Sie war sich absolut sicher, dass die ältere Frau nicht davor zurückschrecken würde, sie zu verletzen. Priscilla war zu allem fähig, gerade jetzt, da sie von Germán verlassen wurde.
Ohne es verhindern zu können, tauchten in Angies Kopf sofort diverse Vorstellungen auf, was Ludmilas Mutter alles anstellen könnte. Und mit jeder neuen Idee, malte sie sich aus, wie Priscilla ihr psychisch und auch körperlich mehr und mehr schadete. Als es soweit kam, dass Angie ihren eigenen Tod vor ihrem inneren Auge sah, schlug sie panisch die Bettdecke beiseite und sprang auf.
Die blonde Frau lief in ihrem Zimmer unruhig hin und her. Sie übertrieb bestimmt wieder maßlos, so etwas würde doch nicht passieren. Priscilla war zwar skrupellos, aber auch sie hatte ihre Grenzen! Oder? Der Körper der jungen Frau begann unkontrolliert zu zittern und ihre Angst vor der ungewissen Bedrohung stieg wieder ins Unendliche, an Schlaf war nicht zu denken. Was hatte Priscilla nur vor?
Bevor die Angst nun Überhand nehmen würde, beschloss Angie sich die Füße ein wenig zu vertreten und sich unten ein Glas Wasser zu holen, um sich wieder irgendwie zu beruhigen...
Als sie durch dieses Vorhaben an Germáns Zimmertür vorbeilief, blieb sie, ohne es zu wollen, wie von selbst stehen. Es war wie eine höhere Macht, die ihren Körper kontrollierte und ihn vor dieser Tür anhalten ließ. Sollte sie es tatsächlich wagen? Die Chancen, dass er noch wach war, standen ganz gut, allzu viel Zeit war noch nicht vergangen. Außerdem würde er sie garantiert beruhigen und trösten können, viel besser als ein Glas Wasser es schaffen würde!
Bevor Angie einen zweiten Gedanken daran verschwenden konnte, hatte sie auch schon angeklopft und öffnete langsam die Tür. Ihr Schwager lag bereits im Bett, er hatte jedoch ein Buch in der Hand und ein kleines Licht brannte. Kaum, dass er die blonde Frau erkannte, legte er den Roman beiseite und setzte sich auf. "Angie. Was machst du denn hier?"
"Tu-tut mir leid, dass ich dich störe, es war eine blöde Idee.", stotterte sie leicht hilflos. Sie kam sich auf einmal dumm vor, so fehl am Platz und wollte den Raum gleich wieder verlassen. Ihr Schwager erhob sich allerdings in Rekordzeit von seinem Bett und hatte Angies Arm gepackt, noch bevor sie an der Tür war. "Du störst mich nicht. Sag schon, was ist los?" Die junge Frau musste schlucken. Seine Stimme klang so sanft, er war so fürsorglich! Als seine Hand ihre Wange fand und er mit dem Daumen zärtlich über ihre Haut strich, verlor sich Angie wieder einmal in ihren Gefühlen für ihn. "Ich, ich wollte eigentlich fragen, ob ich vielleicht bei dir schlafen kann. In meinem Zimmer war es so, so dunkel und, und ich musste an so vieles denken u-und Priscilla und und..." Sie holte tief Luft. "Und ich will nicht alleine sein."
// Ein Teil wird noch kommen^^