"Gut gemacht! Es ist wirklich toll, dass du Violetta vertrauen kannst.", lobte Angie ihren Schwager, gleich nachdem ihre Nichte die Tür hinter sich geschlossen hatte, um mit ihren Freunden auf einen Karaokeabend zu gehen. Sie schätzte Germáns Bemühungen, seiner Tochter mehr Freiraum zu lassen, wirklich, auch wenn man ihm deutlich ansehen konnte, wie schwer es ihm fiel.
"Klar, ich vertraue ihr, meiner Tochter kann ich vertrauen.", redete sich Germán tapfer ein. Er war nervös, verkrampft und unruhig. Die blonde Frau konnte nur erahnen, wie viel Anstrengung es ihn kostete, Violetta nicht auf der Stelle hinterherzurennen, um sie vor der großen, bösen Welt zu beschützen. Beziehungsweise vor den großen, bösen... "Ich vertraue nur nicht den Jungs, die da sein werden, also wirklich nicht..."
"Ach, vergiss es, Germán, vergiss es!", unterbrach ihn Angie, bevor er diesen Gedanken weiterspinnen konnte. Dann würde es nämlich sehr schwierig werden, ihren Schwager aufzuhalten. Das Thema Jungs war für Germán nach wie vor ein rotes Tuch. "Lenken wir uns doch ab, wir könnten zusammen einen Film gucken.", schlug die junge Frau deshalb vor, zumal es sicherlich schön werden würde, etwas Zeit mit ihm alleine zu verbringen.
"Ich mache übrigens großartige Popcorn.", zwinkerte Angie ihm verführerisch zu und brach somit die vorhandene Anspannung endgültig. Sie konnte sehen, wie sich Germán am ganzen Körper entspannte. Er schenkte ihr sein freundliches Lächeln, das Angies verräterisches Herz aufhüpfen ließ. "Natürlich, das ist eine gute Idee."
"Da läuft ein Film, der mir empfohlen wurde.", fiel der blonden Frau ein und sie verlor sich wie üblich völlig in ihrer Begeisterung: "Er soll super sein! Es geht um ein junges Mädchen, das sich in drei Jungs gleichzeitig verliebt, genau zur falschen Zeit..." Germáns beinahe panischer Gesichtsausdruck ließ sie abrupt innehalten und Angie realisierte erst jetzt so wirklich, was sie gerade von sich gegeben hatte. Wie konnte sie nur so dumm sein?! "Der soll... wirklich furchtbar sein!", versuchte sie noch einmal umzulenken, "Wieso nicht ein Horrorfilm? Ein Horrorfilm wäre gut, oder?" "Nein. Nein, das mag ich nicht."
Germán hatte mittlerweile eine deutliche Abwehrhaltung eingenommen und hielt sein Tablet wieder ziemlich verkrampft in den Armen. Aus einem ruhigen Filmeabend würde nun wohl nichts mehr werden, dafür waren die Gedanken an Violettas männliche Freunde und deren mögliches Vorhaben viel zu präsent...
"Dann was anderes!" Angie wollte noch nicht aufgeben, obwohl sich ihr Schwager bereits von ihr abwandte. "Dann... Science-Fiction?" Er hatte ihr den Rücken zugekehrt. "Nein, nein, lassen wir es. Gib lieber auf, Angie." "Dann vielleicht ein französischer Film?", rief sie ihm noch verzweifelt hinterher, während er sich auf den Weg in sein Büro begab. "Nein, danke, Angie. Danke."
Frustriert sah die junge Frau zu, wie ihr Schwager nach einem letztem kurzen Blick in ihre Richtung in sein Arbeitszimmer verschwand. Sie fuhr sich einmal durch die lockigen Haare und stöhnte enttäuscht auf. Das hatte sie wieder super hinbekommen!
Nachdem sich Angie mit der Entscheidung ihres Schwager abgefunden hatte, galt nun die Frage zu beantworten, was sie mit sich selbst anfangen sollte. Geplant hatte die junge Frau für diesen Abend mit Absicht nichts, da sie sich schon vor Tagen hatte denken können, wie oft sie Germán heute noch zu Gesicht bekommen würde, weil er Violetta früher abholen wollte.
So machte sie es sich mit einem Magazin, einer Schale Obst sowie einem vollen Glas Orangensaft auf dem Sofa bequem und begann zu lesen. Lange hielt die angenehme Ruhe allerdings nicht an, denn schon bald hörte Angie leise Schritte, die die Treppe hinunterhuschten. "Germán? Hast du etwa vor, Violetta abzuholen?", konfrontierte sie ihn sogleich. Der Angesprochene zuckte leicht zusammen und blieb wie angewurzelt mitten auf der Treppe stehen. "Nein?" Er fühlte sich sichtlich ertappt.