Abschied für immer?

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Nun war der Moment gekommen. Die blonde Frau würde ihre Arbeit, ihre Kollegen, ihre Freunde, ihre Familie und ihre Heimat verlassen, um in Frankreich als Komponistin zu arbeiten. So oft hatte Angie sich gefragt, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Auch wenn sie wusste, dass sie alle schrecklich vermissen würde, war sie zuversichtlich, sich richtig entschieden zu haben. Es war nicht einfach, alles hinter sich zu lassen, aber sie hielt es schlichtweg nicht mehr aus. Angie hatte das Gefühl, eine Veränderung zu brauchen. Zum einen in der Arbeit und zum anderen von den Personen, die sie umgaben.

Augenblicklich tauchte ein einziger Name vor ihrem inneren Auge auf. Germán. Sie liebte ihn, ja. Wenn sie ehrlich zu sich war, hatte Angie gehofft, dass sie sich, nachdem Esmeralda verschwunden war, wieder annähern könnten. Doch dann hatte Angie herausgefunden, dass ihr Schwager und der Pianist des Studios Jeremías ein und dieselbe Person waren.

Sie hatte sich schrecklich gefühlt. Verletzt, hintergangen, verraten, ausgenutzt. Das waren nur wenige Wörter, die ihre damalige Gefühlslage beschrieben haben. Angie hatte sich Jeremías vollkommen anvertraut, hatte ihm offen ihre Gefühle für ihren Schwager dargelegt. Sie hatte es Germán erzählt!Dieser Umstand hatte ihr in ihrer Entscheidung zu gehen, den letzten, wichtigen Stoß gebracht.

Zu allem Überfluss weigerte sich Germán aber, seiner Tochter die Wahrheit zu erzählen und daher würden Angie und er wohl oder übel im Streit auseinandergehen...

Angie befand sich gerade in einer innigen Umarmung mit Pablo. Nachdem sie ihre Koffer in das Taxi geladen hatte, kam er vorbei. Sie war darauf vorbereitet gewesen und freute sich auch darüber, dass er noch einmal kam, um sich zu verabschieden. Von Violetta hatte sie sich bereits davor verabschiedet. Sie stand ein wenig Abseits und sah der Szenerie zu.

Als die zwei sich wieder voneinander lösten, bemerkte Angie Pablos Blick auf etwas Unbekanntes hinter ihr und sie drehte sich um. Vor ihr stand Germán. Sie trat auf ihn zu. "Germán. Dass du kommen würdest, damit hatte ich nicht gerechnet." Er lächelte sie an. "Doch. Doch, natürlich. Ich möchte mich von dir verabschieden und dir sagen, dass du Recht hattest. Ich sehe meinen Fehler ein. Ich werde alles dafür tun, dass es keine Lügen mehr gibt und ich sage Violetta die Wahrheit." Er hatte so leise gesprochen, dass Vilu die Worte nicht hören konnte.

Angie staunte nicht schlecht. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. "Jetzt glaube ich dir. Jetzt ja." Germán schien tatsächlich manche Sachen loswerden zu wollen, bevor Angie das Land verlassen würde. "Ich.. ich möchte nicht, dass wir das mit uns als das betrachten, was es hätte sein können, sondern als das, was es war." Angie musste leicht lächeln. Sie erinnerte sich zu gerne an diese Zeit.

"Das was war, das war einfach wundervoll. Ich hab dich kennengelernt und gemerkt, dass ich falsch lag. Du bist kein so furchtbarer oder strenger Vater, wie ich dachte. Jetzt weiß ich, ich hab mich geirrt und ich bin glücklich, dich zu kennen. Und zu wissen, dass du das alles nur aus Liebe zu Violetta getan hast. Ich bin sehr stolz darauf, wie du meine Nichte großgezogen hast. Ich finde, auch du solltest stolz darauf sein und ich werde beruhigt von hier fortgehen, weil ich weiß, dass Violetta bei dir in guten Händen ist." Diese Worte hatte Angie ihrerseits noch loswerden müssen.

Germán lächelte sie liebevoll an und schloss sie in eine herzliche Umarmung. "Danke.", endete Angie. Sie hielten sich fest in den Armen. Angie genoss diese Nähe mehr, als sie sollte und gegen ihren Willen wünschte sie sich, dass Germán sie nie wieder loslassen würde. Auch die Tatsache, dass sie bis gerade eben noch sauer auf ihn gewesen war, änderte nichts an ihren Gefühlen für ihn. Das musste Angie einsehen und versuchen, damit zu leben.

Egal, wie sehr sich die blonde Frau wünschte, dass es anders ist, er wird auf ewig der Mann ihrer toten Schwester bleiben. Vielleicht würde ihnen diese Auszeit ganz gut tun. Sie hätten beide genügend Abstand voneinander und Angie würde in der Zeit ihre Gedanken und hoffentlich auch ihre Gefühle ordnen können.

Langsam lösten sie sich wieder ein wenig voneinander. Germán stand dicht vor ihr. Sie lächelte ein wenig mehr, als Germán seine Hand sanft auf ihre Wange legte. Allein diese kleine Berührung löste ein Sturm in ihrem Innern aus und sie sehnte sich, wie so oft, nach seiner Nähe, seinen Berührungen. Der Kuss in der Küche schien Jahre zurückzuliegen.

Germán kam näher und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Angie erstarrte. Die Stelle fing augenblicklich an wie wild zu kribbeln und ein Feuer schien sich von der Wange aus, in ihrem ganzen Körper auszubreiten.

Ihr Schwager sah sie nach dem kurzen Kuss mit geweiteten Augen an und auch er rührte sich nicht von der Stelle. Seine Hand lag noch immer auf ihrer anderen Wange. Hatte er etwa das gleiche gespürt? Diese unbändige Liebe für den anderen? Die wahren und aufrichtigen Gefühle füreinander? Den tiefen Wunsch für immer mit dem anderen zusammen sein zu können?

Beide blickten sich gebannt an, versanken in den Augen des Gegenübers. Braun traf auf Blau. Wie in Trance legten sich Angies Hände auf sein Gesicht, während er erneut auf sie zutrat. Sie waren sich so nah, viel zu nah. Einen Moment schienen beide auf eine Reaktion des anderen zu warten, dann beugten sie sich gleichzeitig vor. Ihre Lippen trafen ganz zaghaft aufeinander. Dieses überwältigende Gefühl wieder zu spüren, darauf hatten die zwei mittlerweile so lange gewartet. Gleichzeit riss sie es in die Realität zurück und erschrocken fuhren sie auseinander.

Die Augen beider waren weit aufgerissen, diesmal jedoch aus anderen Gründen. Angie nahm ihre Hände vorsichtig weg, doch sie schafften es nicht, sich gänzlich voneinander zu trennen. Sie schafften es nicht, den intensiven Blickkontakt abzubrechen. Angie konnte nicht mehr klar denken, ihre Gedanken waren völlig vernebelt.

Germán schien es ähnlich zu gehen, er strich ihr mit seinem Daumen geistig abwesend über die Wange. "Ach, verdammt.", flüsterte er dann auf einmal und legte seine andere Hand entschieden um ihre Hüfte, um sie erneut zu sich zu ziehen. Angie konnte nicht sagen, ob es richtig oder falsch war. Sie wusste in diesem Moment nur eine Sache. Sie wollte ihn, unbedingt.

Während er sie also zu sich zog, legte sie ihre Hände automatisch auf seine Schulter und ihre Lippen verschlossen sich endlich zu einem richtigen Kuss. Es fühlte sich wundervoll an. Seine weichen Lippen auf ihren zu spüren. Sie bewegten sich in perfekter Harmonie mit ihren. Angie fühlte nur noch und legte all die Liebe, die sie für diesen Mann empfand, in den Kuss hinein.

Sie waren vollkommen versunken in ihrer Welt, nahmen nichts, außer dem anderen, wahr. Die Zeit blieb für die beiden in diesem Moment stehen und keiner wollte, dass der Augenblick je endete.

Nach einer kleinen Weile waren sie aufgrund des Luftmangels jedoch gezwungen, sich voneinander zu lösen. Sie lächelten sich gegenseitig vorsichtig an. Was hätten sie sonst tun sollen? Keiner der beiden brachte es übers Herz, sich wegzudrehen und den anderen abzuweisen. Sie standen einfach da und blickten sich in die Augen. Worte waren überflüssig. Die zwei wussten, dass es falsch war, was sie getan hatten und es sich gleichzeitig doch so richtig angefühlte.

Angie griff nach seinen Händen und drückte sie leicht. "Mach's gut." Germán lächelte sie wehmütig an. "Bis bald.", flüsterte er. Angie wandte sich ab und stieg in das Taxi ein. Es fuhr los und sie warf einen aller letzten Blick auf die wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Pablo, Violetta und Germán.



Germangie - OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt