15. Akt - Die Klärung

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Jetzt war es soweit. Ich saß vor der Chefin und ein paar weiteren Lehrern des Projektes. Mein Poolunfall und die Überraschung, die darauf folgte, hatten sich natürlich herumgesprochen. Und so wurde ich einen Tag später in das Büro der Chefin geordert. Nervös kaute ich an meinen Nägeln, während ich auf mein Urteil wartete. „So, der Name ist Robin Peters. Ist das richtig?", wollte die Chefin Frau Fischer von mir wissen. Ich nickte. „Und du hast dich als Junge verkleidet, um einen Platz in diesem Projekt zu bekommen?" Ich nickte erneut. Frau Fischer seufzte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „So etwas ist mir in zwanzig Jahren Berufserfahrung noch nie untergekommen." „Aber sie hat das ziemlich gut gemeistert", meinte Sven und warf mir einen belustigenden Blick zu. Ich verspürte Dankbarkeit und Sympathie für ihn. „Aber das können wir doch nicht durchgehen lassen", meinte Frau Fischer. „Ich verstehe das", meinte ich ein wenig geknickt. „Aber dann müssten wir seine Rolle...äh ihre Rolle noch einmal neu besetzen", sagte Sven. „Und ich weiß nicht, ob das in nicht einmal zwei Wochen noch machbar ist." Frau Fischer seufzte erneut. Zwei weitere Kollegen, die sich im Zimmer aufhielten, tuschelten miteinander und warfen mir ab und zu einen Blick zu. Ich traute mich nicht, irgendetwas zu sagen. Am liebsten würde ich Sven zustimmen, doch mir war klar, dass mein Verhalten falsch war. Mich nach Hause zu schicken, wäre auch eine faire Option.

„Wenn der Rest der Teilnehmer damit einverstanden wäre, dass sie bleibt und weiterhin die Rolle des Zack übernimmt, gibt es da nichts einzuwenden." Frau Fischers Worte lösten in mir ein unheimliches Glücksgefühl aus. „Das wäre wirklich toll", sagte ich strahlend. „Aber noch einmal solltest so etwas nicht tun. Meistens gehen solche Betrugsversuche nicht gut aus", warnte Frau Fischer. „Ich weiß", sagte ich reuevoll. Frau Fischer schmunzelte leicht. „Na gut. Dann war's das erstmal." „Moment, was ist mit ihrem Zimmer?", warf Sven ein und sah fragend zu Frau Fischer. „Wir haben kein freies Zimmer mehr. Wir müssten alles umwerfen." Frau Fischer sah mich an. „Wenn du nichts dagegen hast, kannst du auch weiterhin bei den Jungs bleiben. Immerhin gibt es ein Bad, wo du dich umziehen kannst. Aber, wenn nicht ..." „Schon okay. Ich mach's", sagte ich und konnte nicht fassen, dass ich schon wieder so ein Glück hatte. Offenbar war es mein Schicksal, eine Schauspielerin zu werden und jedes Hindernis, wurde einfach so beseitigt. Zuerst das Projekt, wo keine freie Stelle für Mädchen mehr frei war. Ich verkleidete mich einfach als Junge. Dann Nick, der mich beinah verraten hätte und nun ist meine Tarnung aufgeflogen und ich darf trotzdem bleiben.

Auch Riley und Lewis staunten nicht schlecht, als ich ihnen die Neuigkeiten berichtete. „Sie lassen dich ernsthaft bei uns schlafen?", fragte Riley verblüfft. „Und was ist, wenn ich nachts über dich herfalle?" Er grinste frech, während mir die Röte ins Gesicht schoss. „Dann werde ich mich schon wehren können", konterte ich. Riley lachte. „Mit Worten vielleicht, aber an körperlicher Verteidigung musste du noch arbeiten." Unsere ausgelassene Stimmung wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Lewis öffnete die Tür und zum Vorschein kam Julie, die ziemlich eingeschüchtert wirkte. Schnell hastete ich zur Tür. „Julie! Bin ich froh, dich zu sehen. Wir müssen unbedingt reden."

Schweigend folgte sie mir nach draußen in den Garten, wo wir uns auf einer Bank niederließen. Es war schon fünf Uhr am Abend, doch bedingt der Jahreszeit noch immer schön warm. „Lewis hat mir erzählt, wieso du das getan hast", fing Julie an. Ich sah lächelnd zu ihr, doch ihr Gesichtsausdruck führt dazu, dass ich ernst wurde. „Und verstehst du es?" „Ich komme mir ziemlich bescheuert vor", antwortete sie. „Das kann ich nachvollziehen, aber ich habe wirklich versucht, zu verhindern, dass du Gefühle für mich entwickelst", erklärte ich. „Und ich fände es cool, wenn wir weiterhin befreundet bleiben." „Aber das ist alles furchtbar peinlich", fuhr Julie fort. „Dir muss gar nichts peinlich sein. Ich bin diejenige, die sich als Junge verkleidet hat." Nun musste Julie lachen und mir fiel ein Stein vom Herzen. „Verzeihst du mir also?", fragte ich hoffnungsvoll. Julie nickte zaghaft, lächelte jedoch. Ich hätte am liebsten Freudensprünge gemacht. Da ich nun endlich wieder ein Mädchen war, gab ich stattdessen ein hohes Quieken von mir und umarmte sie. Es fühlte sich gut an, ein wenig übertrieben mädchenhaft zu sein. Ich hatte wirklich vermisst.

„Du wolltest Julie also für dich allein?" Julie und ich zuckten zusammen und fuhren auseinander. Vor uns stand Nick, der uns grinsend musterte. Ich war kurz davor, mich auf seine Schuhe zu übergeben. Ich richtete mich selbstsicher auf und sah ihm in die Augen. „Dein Plan, mich aus dem Projekt zu befördern, hat wohl nicht funktioniert", meinte ich triumphierend. „Und keiner meiner Freunde ist sauer auf mich." „Es sind ja noch fast zwei Wochen, in denen ich es versuchen kann", meinte Nick. Julie stand nun neben mir. „Lass uns gehen", raunte sie mir zu. Ich war damit mehr als einverstanden und folgte ihr mit zügigen Schritten ins Gebäude. Schnell rannten wir zum Mädchenklo, in dem wir lachend zum Stehen kamen. „Ich bin so froh, wenn ich den nicht mehr sehen muss", brachte ich hervor. „Was hast du nach dem Projekt vor? Schauspiel studieren?", erkundigte sich Julie. „Ja und du?" „Ich schätze auch", meinte sie lächelnd. „Vielleicht sehen wir uns dann wieder", fügte sie hinzu. Ich betrachte mich im Spiegel und zupfte meine Locken ein wenig zurecht. Es wäre toll, wenn ich nicht nur Julie wiedersehen würde.

Am Nachmittag hatten wir wie üblich Praxisstunden. Während dieser Stunden trug ich meine Perücke, um weiterhin Zack zu verkörpern. Am Ende der Probe wurde ich von Sven für meine Schauspielkünste gelobt. So glücklich wie schon lange nicht mehr, verließ ich mit Riley und Lewis, die Aula. Ich fragte die beiden ebenfalls über ihre Zukunftspläne aus. Lewis hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon und als ich hörte, dass er sich an einer Schauspielschule in Berlin bewerben wollte, stieg meine Laune noch mehr. Vielleicht würde ich bald zusammen mit ihm und Julie die gleiche Schule besuchen. Riley war da noch etwas unentschlossen. „Mal sehen. Hab zuhause noch einiges zu klären", meinte er und vermied es dabei, mir in die Augen zu sehen. Das hätte ich wegen meiner eigenen Probleme fast vergessen. In der ersten Theoriestunde hatte Riley erzählt, dass er als Kind von seinem Vater geschlagen wurde und dadurch auch die Schauspielerei entdeckt hat. „Willst du nicht Schauspieler werden?", fragte ich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Riley zuckte mit den Achseln. Damit war das Gespräch für's Erste beendet. Er verabschiedete sich von uns, um noch zu rauchen. Aber statt mit Lewis ins Zimmer zu gehen, folgte ich Riley.

Er stand in dem offenen Wintergarten, in dem wir eines Nachts auch gesehen hatten und zündete sich gerade die Zigarette in seinem Mund an. Lässig lehnte er mit dem Rücken an einem Balken und blies den Rauch in den Wind. Ich war kurz davor, etwas zu sagen, doch da ertönte plötzlich Tess' nervige Stimme. Auch Riley zuckte zusammen, als sie auf einmal vor ihm stand. „Hey, du", sagte sie und lächelte. „Was sagst du zu Robins Enthüllung? Glaubst du auch, sie hat das getan, weil sie in Wirklichkeit ein Junge sein will?", fragte Tess und legte den Kopf schief. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! „Lass das, Tess", sagte Riley und blies ihr eine Rauchwolke ins Gesicht. „Du redest Schwachsinn. Und außerdem habe ich gerade keine Lust überhaupt mit dir zu reden." Tess biss sich auf die Unterlippe und legte ihre Hand auf seine Brust. „Ich auch nicht. Lass uns etwas anderes machen." Und schon hatte sie sich vorgebeugt und Riley auf den Mund geküsst. Riley stieß sie jedoch sofort zurück und im selben Moment stolperte ich ein paar Schritte nach hinten. Ich fiel über die erhöhte Kante am Boden und landete unsanft auf dem Hintern. „Ich sagte, lass ..." Riley unterbrach sich, als er meinen Aufprall vernahm. Er und Tess drehten sich zu mir um und starrten erschrocken auf mich herab. Mein Steißbein tat höllisch weh, als ich mich hastig aufrichtete. „Sorry", murmelte ich. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen davon.

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