17. Akt - Die Verletzung

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In dieser Nacht schlief ich seit langem endlich wieder gut. Im Traum spielte ich in einem Hollywood-Film an der Seite von Emma Watson. Doch dann hörte ich eine Tür knallen, die mich viel zu schnell aus diesem tollen Traum riss. Eine weitere Tür knallte und ich öffnete widerwillig die Augen. Türen haben auch Griffe, dachte ich und rollte mich auf die Seite. Unter dem Türspalt des Badezimmers schien Licht. Lewis lag neben mir im Bett und schnarchte leise. Wie immer wurde er durch so etwas nicht wach. Der Junge hatte einen wirklich tiefen Schlaf, um den ich ihn beneidete.

Ich kam zu dem Entschluss, dass Riley zurückkehrt war und kuschelte mich in die Decke. Aus dem Badezimmer drangen gedämpfte Laute. Unteranderem der laufende Wasserhahn und ein paar Schimpfwörter. Was hatte er denn bloß angestellt? Langsam richtete ich mich auf und klopfte an die Badtür. Das Rauschen des Wasserhahns verstummte und ein paar Sekunden später stand Riley vor mir. Er hielt sich einen Klumpen aus Toilettenpapier an die Nase und seine Sweatjacke hing schief an ihm herunter. „Hast du dich geprügelt?", fragte ich flüsternd, aber dennoch vorwurfsvoll. Riley zog mich mit seiner freien Hand wortlos ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Er entfernte das Toilettenpapier aus seinem Gesicht und verzog schmerzerfüllt das Gesicht. „Es war nicht meine Schuld", meinte er. Unter seiner Nase klebte Blut und auch sein Kinn war stellenweise damit bedeckt. „Du solltest zum Sanitäter gehen", schlug ich vor, diesmal etwas sanfter. „Nein, ich will nicht rausgeworfen werden", sagte Riley. „Was ist denn überhaupt passiert?" „Nick ist passiert." Ich riss entsetzt die Augen auf. „Dieser Vollidiot! Ich werde ihn umbringen", presste ich wütend hervor. Riley musste schmunzeln, ließ es aber schnell wieder bleiben, weil es offenbar zu schmerzhaft war. „Das wird dir nicht gelingen." „Wieso habt ihr euch geprügelt?", hakte ich nach. Riley ließ sich auf dem geschlossenen Klodeckel nieder und hielt sich das feuchte Toilettenpapier wieder an die Nase. „Keine Ahnung wieso der Typ nachts allein durch die Gegend streift. Vermutlich ist er psychisch gestört." „Das weiß ich schon lange. Jetzt komm zum Punkt, Riley", sagte ich ungeduldig. Er sah auf und um seine Augen bildeten sich leichte Lachfältchen. „Ganz ruhig, Kleines." Mir schoss die Röte in die Wangen. Zum Glück fuhr er fort, ohne es zu bemerken. „Jedenfalls hat er Tess und mich auf der Veranda erwischt. Und ja ich weiß, dass das kein guter Ort ist, um sich mit einem Mädchen zu treffen. Aber in den Zimmern wurden wir ja auch schon erwischt."

Er und Tess. Aber ich dachte, er will nichts mehr von ihr. „Nick wollte uns verpetzten und da habe ich angefangen mit ihm zu diskutieren. Immerhin hat er selbst viel schlimmere Dinge getan. Und irgendwann hat er mich einfach geschlagen. Vermutlich weil ihm keine Argumente mehr einfielen." Riley seufzte. „Ich wollte nicht zurückschlagen, aber er ließ mir keine Wahl. Er war kurz davor, auch auf Tess loszugehen. Na ja, so wie bei Julie." Auch wenn ich Tess nicht leiden konnte. Wenn ich zwischen Nick und ihr entscheiden müsste, wäre sie mir definitiv sympathischer. Aber auch nur, weil sie niemanden körperlich angreift.

„Hast du ihn wenigstens auch verletzt?", fragte ich. „Glaub schon. Aber ich will wie gesagt, nicht rausfliegen. Deshalb habe ich mich zurückgenommen und bin irgendwann einfach mit Tess abgehauen." Ich seufzte und lehnte mich gegenüber von ihm an das Waschbecken. „Was wolltest du denn schon wieder von Tess?", fragte ich. Riley zuckte mit den Schultern. „Ich hab' doch gesagt, dass sie eine gute Ablenkung sind. Hier ist Tess beinah die Einzige, die das mit sich machen lässt." Er nahm seine Hand wieder von der Nase und grinste. „Du wolltest ja nicht." Erneut fingen meine Wangen an zu glühen. Ich bekam aber kein Wort heraus. Natürlich bin ich nicht so ein Mädchen. So etwas würde ich niemals tun. Nicht einmal für Riley.

Schließlich nahm ich ihm den feuchten Klumpen ab, nur um etwas zu tun, und betrachtete seine Nase. „Sieht nicht so schlimm aus. Tut es sehr weh?" „Seit wann bist du Krankenschwester?", fragte er grinsend. Ich jagte ihm von dem Klodeckel herunter und schmiss das Papier hinein. Dann reichte ich ihm neues feuchtes Toilettenpapier, um die Nase weiterhin ein wenig zu kühlen. „Geh schonmal ins Bett. Ich suche noch eine Salbe, die dagegen helfen müsste. Frauen haben ja immer einen halben Apothekerschrank dabei." Riley lachte und verließ das Bad.

Als ich die Salbe gefunden hatte, schnappte ich mir ein Taschentuch und befeuchtetes ebenfalls. „Du musst noch die restlichen Blutflecken abwischen", sagte ich leise, als ich wieder im Zimmer stand. Doch Riley lag nicht in seinem Bett. Verwirrt sah ich mich im Raum um und entdeckte ihn auf meinem Bett. Er zog sich gerade die Schuhe aus, während er das Toilettenpapier noch an die Nase drückte. „Was soll das denn?", fragte ich flüsternd. Riley sah auf. „Du musst mich doch noch versorgen." Ich stöhnte genervt und ignorierte die Schmetterlinge im Bauch. Ich bin nicht so ein Mädchen und Rileys Einstellung zu Frauen ist falsch. Das wiederholte ich ständig in Gedanken, während ich mich neben ihn setzte. Er ließ das Tuch sinken und sah mich abwartend an. Ich achtete nicht auf seine blauen Augen, die im Dunklen noch immer zu leuchten schienen. Dann reichte ich ihm das Taschentuch, doch er schüttelte grinsend den Kopf. „Ich sehe doch gar nichts." „Riley, ich bin nicht deine Mutter." Seine Miene wurde einen Moment ernst, doch er entspannte sich schnell wieder. „Das bist du in der Tat nicht. Aber ich sehe trotzdem nichts." „Dann geh doch ins Bad", keifte ich. „Na schön." Riley nahm mir das Taschentuch ab und verschwand im Bad. Ich war ein wenig enttäuscht, obwohl ich mich eigentlich durchgesetzt hatte. Ich wusste offenbar auch nicht, was ich wollte.

Riley kam wieder und hatte alle Blutspuren erfolgreich beseitigt. Schweigend drehte ich den Deckel der Salbe ab und nahm ein wenig davon auf meinen Zeigefinger. Dann fing ich an, seinen Nasenrücken damit einzuschmieren. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, weil ich mir irgendwie schon ein wenig albern vorkam. Riley war nicht mein Freund und hätte das auch gut allein geschafft. Er fing auch an zu grinsen und plötzlich mussten wir beide lachen. Ich legte jedoch den Finger an den Mund. „Lewis schläft noch", sagte ich halb lachend. Riley drehte sich weg und versuchte vergeblich sein Lachen zu unterdrücken. Schließlich sah er mir wieder in die Augen. „Das tut echt weh. Bring mich gefälligst nicht mehr zum Lachen." „Die Salbe wird ein wenig kühlen", erklärte ich, um mich selbst auch zu beruhigen. „Morgen früh kannst du noch etwas davon auftragen." Riley bedankte sich lächelnd und zog sich langsam die Sweatjacke aus. Er warf sie auf sein Bett. Dann stand er seufzend auf und zog sich sein T-Shirt aus, das ebenfalls auf seinem Bett landete. Ich konnte nicht anders, als ihn ständig anzustarren. Erst als er nur noch in Boxershorts vor mir stand und mich belustigt ansah, erwachte ich aus meiner Erstarrung. „Gute Nacht", sagte ich schnell und legte mich ins Bett. Riley lachte leise und dann hörte ich sein Bett rascheln. „Schlaf gut", murmelte er. Ich schloss lächelnd die Augen.


If I Were A BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt