18. Akt - Das Ende

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Die nächsten Tage flogen nur so dahin. Wir hatten in der letzten Woche noch intensiver Praxis und die Theorie fiel daher kürzer aus. Die Lehrer waren alle viel aufmerksamer und man vermutete, dass sie schon überlegten, wer die drei Stipendien bekommen würde. Ich war in jeder Probe extrem nervös, schaffte es aber, sobald ich in der Rolle war, völlig abzuschalten und einfach nur zu spielen. Mit Julie verstand ich mich wirklich immer besser und in den Pausen alberten wir meistens zusammen herum, wenn ich nicht gerade Riley ein wenig ärgerte. Im Gegenzug zog er mich natürlich auch auf. Ich wollte gar nicht an das Ende denken. Jedes Mal, wenn ich davon anfing, dass es bald vorbei ist, nahm Lewis mich in den Arm und versuchte mich von dem Thema abzubringen. Ich fand es mittlerweile so süß und gleichzeitig lustig, dass ich schon mit Absicht beinah jede Stunde über den Abschied sprach. Doch sobald ich es in Rileys Nähe tat, trat ein kühler Gesichtsausdruck auf sein Gesicht, den ich an ihm überhaupt nicht leiden konnte. Das einzig Positive war, dass ich Nick dann nicht mehr sehen würde, der mir in der letzten Woche zum Glück nicht mehr so oft unter die Augen getreten war. Vermutlich war ich ihm zu langweilig geworden. Von Riley hatte er sich erstaunlicherweise auch ferngehalten und deshalb hatten wir beziehungsweise Riley ihn auch nicht verpetzt. Es wäre kurz vor Ende für die Lehrer nicht so angenehm, noch einen anderen mit Nicks Rolle zu besetzen, falls er rausfliegen würde.

Der letzte Abend war gekommen und Riley, Lewis und ich waren auf dem Weg zur Aula, in der heute noch einmal eine Abschlussfeier stattfinden sollte. Morgen früh ging es nach Hause und morgen Abend führten wir das Stück in Berlin auf. Die Sachen waren schon gepackt und so langsam wurde ich wirklich melancholisch. Die vier Wochen waren wirklich sehr ereignisreich gewesen und würden vermutlich noch lange mein Leben prägen.

Als wir die Aula betraten kamen uns Tess und ihre Freundin Nicki entgegen, die uns aber geflissentlich ignorierten. „Was ...", fing ich an. „Frag nicht", unterbrach mich Riley seufzend. „Hat sie es aufgeben, deine Ablenkung zu sein?", fragte ich grinsend. „Ja, so in etwa", meinte Riley. Mit dem Rauchen hatte er wie erwartet nicht einmal annährend aufgehört. Er tat mir leid, aber ich wusste auch nicht richtig, wie ich ihm helfen sollte. Die Sache mit der Ablenkung war vielleicht doch eine dumme Idee. Es bringt nichts, sich mit Dingen abzulenken, nur um sich nicht mit den schlechten Dingen im Leben zu befassen. Man muss dafür sorgen, dass es nicht nötig ist, sich mit irgendetwas abzulenken. Aber andererseits wusste ich kaum etwas über Rileys Leben. Also stand es mir auch nicht zu, ihm zu sagen, was er tun soll.

„Hey!" Eine überschwängliche Julie zog mich in eine Umarmung. Ich erwiderte sie lachend. „Das Buffet ist echt lecker", sagte sie und deutete auf die Tische, die vor der Bühne standen. Julies Freundin Anna kam auf uns zu und begrüßte uns kurz. „Komm, Lewis", sagte Riley und machte sich schon auf den Weg zum Buffet. Lewis folgte ihm grinsend. Ich beobachtete, wie Riley sich einen Spieß mit Schokoladenfrüchten nahm und die erste Frucht mit seinem Mund vom Stiel zog. Mein Blick blieb an seinen Lippen hängen. „Was starrst du denn so?", fragte Julie plötzlich. Ich blinzelte ein paar Mal und riss den Blick von Riley los, der gerade Lewis einen zweiten Spieß reichte. „Gar nichts", sagte ich hastig. Julie zog vielsagend die Augenbrauen hoch, ging aber nicht weiter darauf ein.

Als ich mich auch am Buffet bedient und zusammen mit Julie zu ein paar Liedern getanzt hatte, erschien die Chefin des Projekts auf der Bühne. Sie verlangte mithilfe eines Mikrofons um Aufmerksamkeit und nach wenigen Sekunden herrschte in der Aula Stille. „Guten Abend! Ich begrüße euch noch ein letztes Mal hier in dieser Herberge an unserem letzten Abend vor dem großen Auftritt", begann sie lächelnd. „Ich danke allen Beteiligten, dass alles so gut funktioniert hat und wir gemeinsam ein tolles Stück auf die Beine gestellt haben." Beifall ertönte. Als er sich wieder gelegt hatte, fuhr sie fort. „Ich freue mich schon auf morgen Abend, wo ihr dann auch erfahren werdet, wer letztendlich die drei Stipendien gewonnen hat. Aber seid nicht enttäuscht, wenn ihr nicht dabei seid. Jeder von euch bekommt ein Empfehlungsschreiben und auch unsere Hilfe, wenn es um die Wahl der richtigen Schauspielschule geht." Sie berichtete noch über die Möglichkeiten, sich ein Studium zu finanzieren, wenn man es selber nicht bezahlen kann. Mein Blick fiel dabei auf Riley, der mit verschränkten Armen neben Lewis stand und den Blick nach unten gerichtet hatte. Ich schlängelte mich an Julie und Lewis vorbei und stellte mich neben ihn. Er hob den Kopf und lächelte kurz. Dann sah er wieder auf die Bühne. „Das hört sich doch gut an, nicht wahr?", sagte ich lächelnd. Riley wandte sich zu mir und zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, was ich mit meinem Leben anfangen soll." „Schauspielerei, oder nicht? Das ist deine Leidenschaft." Er zuckte erneut mit den Schultern. „Ja, vielleicht. Aber damit verdient doch kaum was. Ich brauche eine zuverlässige Einnahmequelle." Ich hatte das Gefühl, einen Schlag ins Gesicht bekommen zu haben. Damit hätte ich bei Riley niemals gerechnet. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass es ihm wichtig ist, einen soliden Job zu haben. Natürlich ist das manchmal wirklich besser, um sein Leben zu finanzieren. Aber was bringt es denn, einen Job zu haben, der einem keinen Spaß macht, nur damit man genug Geld verdient. Für mich stand schon immer fest, dass ich Schauspielerin werde. Etwas anderes kam für mich nie in Frage und meine Familie hatte auch nie etwas dagegen. Wir hatten allerdings auch genug Geld und bei Riley war das offensichtlich nicht der Fall.

If I Were A BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt