4

268 10 3
                                    

Auch Tage später, nach unserem Gespräch brannten die Worte meiner Mutter in meinem Herzen.
Sie hatte recht, doch momentan sah ich in Youssef nicht mehr als einen guten Freund. Einen besten Freund. Ich liebte ihn, doch ich liebte ihn nur in freundschaftlicher Hinsicht.
Die Tage und Wochen verflogen relativ schnell, die Abschlussprüfungen rückten immer näher. Der Druck wurde immer größer. Neben dem lernen, setzte ich mich auch an meine Bewerbungen. Ich war nicht sicher was ich beruflich machen wollte und sollte.. Architektur klang gut, BWL klang interessant und Jura klang cool. Medizin war ein bisschen übertrieben.. Oder vielleicht doch nur eine Ausbildung? Sollte ich diese im kaufmännischen Bereich machen?Oder doch lieber im sozialen Bereich?
Noch bin ich so unentschlossen gewesen..
Mal meldete ich mich an Universitäten für die unterschiedlichsten Fächer an, mal schickte ich Bewerbungen für die unterschiedlichsten Ausbildungsstellen und zwischen durch lernte mit Youssef für die Prüfungen.
Im Gegensatz zu mir, wusste You was er machen wollte. Er meldete sich an Verschiedenen Universitäten für ein Jura Studium an, lernte fleißig und intensiv für die Prüfungen und ging neben bei jobben.
Ich fing an mir Gedanken über ein Abigeschenk zu machen für You, schließlich haben wir drei anstrengende aber wundervolle Jahre miteinander verbracht. Was sollte ich ihm schenken? Jungs zu beschenken war schwierig, vor allem Youssef zu beschenken war sehr schwierig. Ich entschied mich ein Fotoalbum für ihn zu erstellen, schließlich hatten wir genug Bilder zusammen. Ich fuhr in die Stadt, kaufte ein Fotoalbum, druckte die von mir ausgesuchten Bilder aus und fuhr wieder nach Hause. Ich klebte die Fotos ein, schrieb diversen Texte zwischen manchen Fotos, lauter Insider und Flache Witze. Aber das war nicht alles was ich für ihn vorbereitet hatte. Er sollte noch etwas bekommen..
Eine Woche vor der Prüfung, lernten Youssef und ich fast täglich gemeinsam.
Mal lachten wir, mal waren wir kurz davor unser Leben aufzugeben.
Doch alles in einem, brachten wir ein gutes Ergebnis vor. Die Prüfungen bestanden wir und kurze Zeit später hielten wir gemeinsam grinsend unser Zeugnis in die Kamera.
Wir hatten es geschafft. WIR.

Zum Abschluss, hatte ich mir nicht viele Gedanken gemacht gehabt. Außerdem hatte meine Mutter ein Kleid für mich besorgt, welches ich jedoch noch nicht gesehen habe, da es eine "Überraschung" war. Ich fuhr also mit meiner Mutter in die Stadt zum Friseur, ließ mir die Haare hochstecken und mich bei MAC schminken.
Danach fuhren wir nach Hause und meine Mutter rief mich in ihr Zimmer. Ich lief hoch zu ihr und sah dass sie eine große Geschenkbox in der Hand hielt. "Ich bin sehr stolz auf dich Hobbi, du hast es verdient.", sie übergab mir die box und ich öffnete diese sofort. Ich schob das Seidenpapier zur Seite und zog ein Rosé Farbendes Chiffon-Kleid raus. Ich hielt es in die Luft, Trägerlos, es war Bodenlang und es hatte kein zu offenes Dekolleté. Bis zum Bauch war es eng geschnitten und war mit spitze und Steinen besetzt. Danach fiel es wie ein Wasserfall zu Boden. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Ich ließ es fallen und nahm meine Mutter in die Arme. "Schoukran, schoukran* ma. Ich liebe dich!"

Nachdem diverse Menschen uns zum Abitur gratuliert hatten, wendete sich jeder seiner eigenen Familie zu und verschwand. Auf den Abi-Ball hatte ich keine Lust, ich war erleichtert aber auch erschöpft. Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich suchte Youssef um mich von ihm zu verabschieden doch konnte ihn nicht finden. Ich gab die Suche irgendwann auf und fuhr mit meiner Familie heim.
Zu Hause angekommen, erwartete mich meine gesamte Familie. Ich wurde in den Arm genommen, mir wurden Geschenke in die Hand gedrückt und ich wurde mit Küsschen überhäuft.
Eigentlich hätte ich mich gerne abgeschminkt, wäre in eine Jogginghose und ein Oversize T-Shirt geschlüpft und anschließend hätte mich mit einer Tüte Chips in meinem Bett verkrochen. Ich war nicht der Typ Mensch, der gerne und vor allem lange im Mittelpunkt stand. Ich mochte diesen Trubel nicht. Ich wollte meine Ruhe ..
Zwischendurch schaute ich auf mein Handy, keine Nachricht von Youssef.
Ich konnte nicht einmal nach schauen wann er das letzte mal online war, denn er hatte die Sichtbarkeit dafür gesperrt.
Nach kurzem Zögern schrieb ich ihm dass ich daheim war und mich freuen würde wenn er kurz vorbei kommen könnte.
Ich legte mein Handy weg und widmete mich wieder meiner Familie zu.
Irgendwann gingen die ersten nach Hause. Ich schaute auf die Uhr, 23:33 Uhr
So spät? Ich schaute auf mein Handy, keine Antwort von Youssef aber er hatte meine Nachricht gelesen. Was stimmte nicht? Ob er wohl auch mit seiner Familie beschäftigt war, aber war er denn so sehr beschäftigt dass er nicht einmal kurz antworten konnte? Sollte ich noch etwas schreiben? Nein.
Gegen 3 Uhr morgens verabschiedete ich das letzte Familienmitglied. Ich schloss die Tür hinter mir ab und lehnte mich dran.
Ich atmete tief ein und wieder aus.
Ich ließ den gesamten Tag noch mal im Kopf durchlaufen.
Mühsam lief ich die Treppen hoch und ging ins Bad. Ich ließ die Badewanne volllaufen und schminkte mich in der Zwischenzeit ab. Irgendwann fiel mir Youssef wieder ein und ich schaute nach ob er mir vielleicht geantwortet hat.. Nein hatte er nicht..
Jetzt war ich genervt. Ich schickte eine weitere Nachricht und legte mein Handy endgültig weg.
Ich entkleidete mich, steckte meine Haare hoch und stieg langsam in die Badewanne.

------------

Ich wurde durch die Ruhe wach, unglaublich aber wahr. Es war unheimlich ruhig.
Ich begann mich zu strecken und gedankenverloren an die wand zu starren. Ich hatte mein Abitur in der Hand. Ich hatte es wirklich geschafft.
Mir fiel mein Handy auf und ich schaute nach ob Youssef mir geantwortet hatte.. immer noch keine Antwort.. Will der mich eigentlich komplett verarschen? Ich rief ihn an. -Mailbox.
Jetzt reichte es, noch nie hatte er mich ignoriert.
Ich rappelte mich hoch, lief ins Bad, machte mich schnell fertig und zog irgendetwas drüber.
Ich lief durch das Haus um nachzuschauen ob jemand daheim war, doch ich war allein. Ich schnappte mir einen Apfel aus der Küche und lief die Tür raus zum Auto.
Ich fuhr los und hielt kurz an der Tankstelle an und tankte, Diesel war auf 1,05€
Ich zögerte keineswegs!!
Ich fuhr weiter und kam irgendwann bei Youssef an. Ich fuhr auf die Einfahrt und sah das sein Wagen dort nicht stand. Wo war er? Ich stieg dennoch aus und lief zur Tür.
Ich klingelte.
Ruhe. Dann Schritte, die Tür öffnete sich und die Mutter von Youssef stand mit einem breiten Lächeln vor mir. "Sofia benti*, Glückwunsch zum Abitur! Wir hatten gestern gar nicht die Möglichkeit uns vernünftig zu unterhalten! Du warst so schnell weg!! Komm doch bitte rein, wir reden drin." Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Ich folgte ihr in die Küche und setzte mich an den Esstisch. "Du sahst wunderschön aus, mash'allah. Sobald du in mein Blickfeld geraten bist konnte ich meine Blicke kaum von dir nehmen! Youssef war ebenso begeistert." Während sie sprach schaute ich sie nur stumm lächelnd an. Was sollte ich schon großartiges sagen? Außer dass ihr Sohn der angeblich von mir begeistert war, sich nicht meldete? Mich ignorierte?
Mag sein, dass es vielleicht übertrieben gewesen ist sich darüber zu ärgern und bei ihm aufzutauchen, aber dieses Verhalten war nicht üblich für ihn.
Sie setzte das Wasser auf und holte Pfefferminze aus dem Kühlschrank. Während sie diese wusch sprach sie weiter, "außerdem habe ich noch eine Kleinigkeit für dich benti, ich hoffe du freust dich!" Sie trocknete die Minze, legte diese ab und lief aus der Küche.
Ich stand auf und bereitete den marokkanischen Pfefferminztee zu Ende. Ich stellte uns Gläser hin und schenkte uns ein. Irgendwann kam sie mit einer kleinen Tüte zurück. Sie setzte sich zu mir an den Tisch und übergab mir die Tüte. Ich schaute rein, ein kleines Päckchen von Tiffany & Co. Ich holte es raus und öffnete es. Mir stockte der Atem.
Kleine, silberne Runde Ohrringe, besetzt mit kleinen Steinen.
Sie waren wunderschön. Schlicht, elegant und wunderschön. Ich war hin und weg. Ich stellte das Päckchen ab, stand auf und nahm sie in den Arm.
"Wieso machst du sowas? Haben normale Ohrringe nicht gereicht? Das wäre doch nicht nötig gewesen!!" Sie winkte ab "und wie das nötig gewesen ist. Du machst dein Abitur nur einmal. Du hast es verdient mein Schatz." Wir unterhielten uns ein wenig und tranken unseren Tee.
"Sag mal Tante, wo ist You?"
"Der war die Nacht nicht zu Hause, er sagte er würde bei einem Freund übernachten und heute zurückkommen."
"War er feiern? Hat er gesagt mit welchem Freund er unterwegs ist?"
"Nein das hat er nicht gesagt, aber ich denke schon dass er gefeiert hat. Stimmt irgendwas nicht benti?"
"Alles gut, ich frage nur weil ich nichts von ihm gehört habe."
Sie nickte nachdenklich.

*Schoukran= Danke *Benti= meine Tochter

Ich liebte dich, ich habe dich wirklich geliebt..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt