Um ehrlich zu sein, konnte ich mich nicht neutral gegenüber meinem Bruder verhalten... Vor allem aber fiel es mir schwer in seine Augen zu blicken.
Ich tat mich wirklich verdammt schwer damit so zu tun als wüsste ich von nichts.Die Familie saß gemeinsam am Tisch und aß zu Mittag. Mein Vater schlug vor am Wochenende mit uns raus zu fahren, vielleicht einen kurzen Trip nach Belgien zu unserer Verwandtschaft zu starten.
Nach langem hin und her, entschieden wir uns eine andere Richtung einzuschlagen. Verwandtschaft ja aber nicht in Belgien sondern in Dänemark. Ich sagte das ich das besprechen müsste, denn ich wusste nicht wie ich für die kommende Woche fürs arbeiten eingeteilt war. Als ich das sagte, spürte ich die Blicke meines Bruders auf mir. Ich sah ihn bewusst nicht an, denn ich wusste das bei dem Thema "arbeiten bei H&M" seine Gedanken bei Amina waren.
Meine Mutter und ich räumten das Geschirr ab, bereiteten marokkanischen Tee zu und setzten uns mit dem Rest der Bande ins Wohnzimmer.
Irgendwann klingelte es an der Tür, mein Bruder lief zum Flur und öffnete.
Erwartungsvoll blickten wir alle zur Tür bis mein Bruder gemeinsam mit dem Gast am Türrahmen erschien.
Der Gast war mein Onkel.
Er gesellte sich zu uns und mein Vater schüttete ihm ein Glas Tee ein.
Der Nachmittag verlief relativ ruhig. Am Abend verabschiedete sich mein Onkel von uns und jeder verkroch sich sofort in das jeweilige Zimmer. Ich schaltete meinen Fernseher an und kuschelte mich mit einem seufzen ins Bett.
Irgendwann rief Youssef an und fragte ob ich nicht Lust hätte einen kleinen Abendspaziergang zu machen.
"Wir haben halb neun, meine Eltern lassen mich ganz sicher nicht raus!"
"Sag das du mit mir bist! Dann darfst du bestimmt."
"Irgendwann komme ich nach Hause und meine Sachen liegen alle vor der Türe, weil meine Eltern wahrscheinlich der Meinung sind das ich direkt bei dir einziehen könnte!"
Er lachte
"Ich heirate dich einfach, dann hat sich die Sache"
"Ja genau, heirate mich bitte. Ich wünsche mir nichts sehnlicheres als den Rest meines Lebens mit dir zu verbringen"
"Auch wenn es keine Geräusche macht und man sowas eigentlich nicht wissen kann, habe ich dein Augenrollen bei diesen Worten gehört du Hexe"
Ich lachte auf.
"Komm wir fahren morgen raus, ich habe gerade das Bedürfnis spazieren zu gehen, ganz gaaaaanz gaaaaaaaaaanz lange Sofia! Tu mir den Gefallen"
"Auch wenn es keine Geräusche macht und man sowas nicht wissen kann" äffte ich ihn nach "höre ich das du deine Lippen extra bei diesen Worten lang gezogen hast"
"Du rollst gerade wieder die Augen oder starrst an die Decke, hab ich recht?" Ja er hatte recht.
"Voll nicht" log ich.
"Okay super, ich hole dich morgen Nachmittag ab Prinzessin. Yallah, schlaf gut und träum was schönes" sagte er
"Dankeschön stinker, du auch"
"Und Sofia" sagte er hastig bevor ich auflegen wollte
"Jaahaaa"
"Vergiss die Shahada* nicht bevor du deine Augen schließt" ich lächelte, normalerweise war ich diejenige die ihn daran erinnerte, doch diesmal war er es. Ich fand es schön wenn er sich Kleinigkeiten merkte und irgendwann von sich gab.
"Vergiss du sie nicht" sagte ich und legte auf.-------
Ich schminkte mich etwas mehr als gewohnt, was bedeutete das ich den Fokus mehr auf meine Augen legte. Ich kramte meine Lidschatten Palette aus der Schublade und setzte mich vor den Spiegel. Da ich von Natur aus lange Wimpern hatte brauchte ich eigentlich nicht viel machen, eigentlich. Die Betonung liegt auf das verdammte eigentlich.
Ich habe mich wirklich lange mit dem Thema "Wimpern und Wimpern Tuschen" auseinandergesetzt gehabt. Den ersten Tipp hatte ich von einer Kosmetikerin die mich geschminkt hatte, bekommen. Ein Papiertuch hinters Auge halten damit 1. das Augenmakeup nicht ruiniert wurde und 2. man so die Wimpern besser Tuschen konnte. Doch ich entwickelte auch meine eigene Kreation, ich hielt meine Wimpern mit der Wimpernzange fest und föhnte diese ganz leicht. Klingt witzig und umständlich - ist es auch. Dann kämmte ich die Wimpern leicht mit der Wimpernbürste und anschließend machte ich mich mit dem Tuch daran zu schaffen.
Irgendwann waren meine Wimpern so extrem, das es fast unecht wirkte.
Egal, die Hauptsache war, sie waren mir gelungen. Ich betrachtete mein Werk im Spiegel. Nicht übel. Ich staunte über mich selbst, sollte ich eventuell noch meine Lippen nachziehen? Nein, das würde zu überfüllt wirken auf meinem schmalen Gesicht.
Ich wendete mich meinem Kleiderschrank zu und stemmte die Hände in die Hüfte.
Ich entschied mich für eine dunkle zerrissene Jeans, zog ein lockeres kariertes graues Hemd und krempelte diese an den Ärmeln etwas hoch.
Meine Haare ließ ich heute offen, ich glättete diese noch etwas nach und zog mir auch danach meine Schuhe an, ich entschloss mich, wie nannten es meine Grundschullehrer damals? Genau! Für ein festes Schuhwerk, sprich graue Vans. Ich betrachte mich noch kurz im Spiegel, cool und lässig. Ich sprühte noch etwas Parfüm und fertig. Ich blickte auf mein Handy, zwei verpasste Anrufe von Youssef. Ich rief zurück und er bat mich genervt raus zu kommen. Ich rief ein "Beslama*, bin weg!" Ins Haus lief raus und stieg zu Youssef ins Auto.
Wir unterhielten uns und die übliche Raproutine nahm ihren Lauf. Wir fuhren viel über Landstraßen. Bis ich stutzig wurde.
"Sag mal wohin bringst du mich? Überall Heidi-Landschaft!"
Er lachte und kratzte sich nachdenklich am Kinn.
"Lass dich überraschen" war seine Antwort.
Irgendwann hielt er an einem Parkplatz und wir stiegen aus. Wir liefen in einen Wald hinein und kamen irgendwann in einen riesigen Park, aber nicht irgendeinen Park, der hier sah verdammt edel und sehr gepflegt aus.
Ich staunte und blickte mit großen Augen durch den Park, ich bin zwar keine Biologin und wollte es auch nicht werden, aber ich denke das es hier alle Blumenarten der Welt gab. Leicht übertrieben, aber man hatte bei diesem Anblick einfach dieses Gefühl. Im Herzen dieses Parks, befand sich ganz kitschig ein, verzierter Brunnen. Systematisch bildeten sich schmale Wege zwischen den Blumen.
"Ich denke nicht das ich extrem traditionell heiraten würde, sprich in einer Halle und pompös, sondern ruhig und gelassen einfach hier. Ein Traum findest du nicht auch Sofia?"
Ich war völlig vertieft in diesen Anblick, ich liebte so etwas. Auch wenn ich frauenfeindliche Texte nach rappte und sehr pessimistisch bin und manchmal überhaupt nicht mädchenhaft war, zog mich dieser Garten, Park - nennt es wie ihr wollt, in den Bann.
"Sofia mach den Mund zu! Es zieht!" Sagte er und zog mich an der Hand entlang zu einer Bank. Wie setzten uns hin und genossen die Ruhe. Diese Stille. Wir waren alleine.
"Woher kennst du diesen Ort? Du hast mir noch nie davon erzählt oder mich hierhin gebracht!" Brach ich frustriert die Stille.
"Weil ich noch nicht bereit war.. Ich bin es immer noch nicht" er blickte zur Seite und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
"Bereit für was?"*Schahada= Glaubensbekennung
*beslama= Tschüss
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Ich liebte dich, ich habe dich wirklich geliebt..
RomanceWenn du den Menschen gefunden hast, der dir das Gefühl der Ruhe vermittelt, den Menschen der den Begriff "Zukunft" verkörpert.. Der Mensch, der dir zeigt was es wirklich bedeutet zu lieben .. Wenn du diesen einen gefunden hast, der jedoch nicht be...