Kapitel 48

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Als ich gerade dabei bin, mir Puderzucker auf meinen letzten Pancake zu streuen, höre ich einen Schlüssel, der sich ins Haustürschloss schiebt. Keine Sekunde später steckt Sammy den Kopf durch die Tür.
"Hi", sagt er aufgeregt. Seine funkelnden Augen, die Michi anstarren, entgehen mir nicht. Er kann die Tatsache, dass Michi Millionen an Fans hat und eine kleine Berühmtheit ist, noch weniger ausblenden als ich.
Unauffällig schiele ich zu Michi. Der scheint jedoch nicht im geringsten stutzig zu sein. Er grinst Sammy an.
Meine Mum betritt das Haus und schließt laut aufatmend die Tür hinter sich.
Als sie Michi sieht, erhellt sich ihre Miene. "Guten Morgen, Michi."
"Guten Morgen", erwidert der lächelnd.
"Na, ihr zwei Hübschen, was habt ihr heute so geplant?"
Meine Mum kommt auf uns zu und räumt das schmutzige Geschirr vom Tisch.
Ich rolle mit den Augen. Meine Mum kann echt peinlich sein.
"Keine Ahnung", antworte ich knapp.
Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, zieht eine Augenbraue hoch, sagt aber nichts.
"Es ist schönes Wetter draußen, die Sonne scheint. Ihr könntet doch einen Spaziergang machen", schlägt sie vor.
"Ja", stimme ich sofort zu und springe auf.
Nicht, dass ich spazierengehen mag. Ehrlich gesagt steht es ziemlich weit unten auf der Liste der Dinge, die mir Spaß machen. Aber Hauptsache, meine Mum verwickelt Michi nicht wieder in ein endloses Gespräch.
Ich schnappe mir meine dünne Jeansjacke, schlüpfe in meine Turnschuhe und trete aus der Haustür.
Mum hatte recht. Es ist wirklich schön. Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht und lässt die Blätter in den Bäumen rauschen wie kleine Wellen im Meer.
Jemand berührt meine Hand. Ich zucke zusammen.
"Gehen wir?" Michi steht neben mir.
Ich nicke lächelnd.
Wir gehen in den Park unserer Kleinstadt, der eigentlich nur aus einem Kiesweg und einer langweiligen Wiese besteht. Aber ganz weit hinten, verdeckt von hohen Sträuchern, liegt ein kleiner See. Eigentlich kann man es nicht einmal als See bezeichnen. Es ist eher ein Tümpel. Aber nicht einer dieser Tümpel, bei denen das Wasser aussieht wie zähflüssiger Schleim und in deren Nähe man sich die Nase zuhalten muss, um keine Würgreize zu bekommen.
Eher ein schöner Tümpel, mit klarem Wasser und sogar mit vereinzelten Fischen, die man entdeckte wenn man nur lang genug still vor dem Wasser saß und es konzentriert beobachtete.
Ich kenne diesen versteckten Ort, weil wir als Kinder oft hier waren. Es war lustig und spannend, sich hier zu verstecken, an einem Ort, von dessen Existenz die meisten Erwachsenen nicht einmal wussten.
Und als wir an den hohen Sträuchern vorbeilaufen, erinnere ich mich daran.
Ich ziehe leicht an Michis Hand, um ihm zu signalisieren, dass er mitkommen soll. Vorsichtig und gebückt laufen wir durch das Gestrüpp und stehen wenig später vor dem Tümpel.
Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Dieser Ort trägt so viele Erinnerungen.
Ich setze mich ins Gras. Michi setzt sich neben mich.
"Wow." Er sieht sich um. "Es ist toll hier."
Ich nicke. "Ich war hier oft als Kind."
Er lächelt. "Und, hat sich etwas verändert?"
Verwundert über die Frage lasse ich meinen Blick schweifen.
Dann schaue ich ihn an. "Ja. Aber es liegt nicht an dem Ort, hier ist alles noch gleich. Ich bin diejenige, die sich verändert hat."
Er sieht mich nachdenklich an, dann nickt er.
Wir sagen beide nichts. Es ist eine ziemlich angenehme, bedächtige Stille.
Ich denke über meine Worte nach.
Erinnerungen.
Plötzlich sehe ich Michi vor mir. Ich, mit Tränen in den Augen, wie ich ihm erkläre, dass ich es von Anfang an wusste. Seinen verletzten, wütenden Blick.
"Und ich dachte, ich hätte einmal jemanden gefunden, der mich nicht nur wegen Youtube mag." Seine Worte von jenem Abend spuken mir durch den Kopf.
Immer und immer wieder. Ich beiße mir auf die Lippen
Ich muss es ihm sagen. Jetzt.
"Michi..." Meine Stimme versagt früher, als ich gedacht hätte. Plötzlich ist mir kotzübel.
Er dreht sich zu mir.
Mein Herz fängt an, zu rasen.
Ich schlucke.
"Mir geht's grad nicht so gut, mir ist irgendwie schlecht. Können wir nachhause gehen?", frage ich zitternd. Er sieht mich besorgt an, dann nickt er hastig.
Er hilft mir aufzustehen, hält meine Hand fest in seiner und bringt mich nachhause.
Den ganzen Rückweg lang ist mir schlecht und ich hoffe nur, dass ich mich nicht doch noch übergeben muss.
Aber vor allem fühle ich mich elend, weil ich es ihm wieder nicht gesagt habe.
Als wir daheim angekommen, geht es meinem Magen wieder einigermaßen gut.
Michi setzt mich vorsichtig auf mein Bett und betrachtet mich mit gerunzelter Stirn.
"Mir geht's wieder besser." Ich lächle und drücke seine Hand. "Danke." Ich lehne mich vor und drücke ihm einen sanften Kuss auf den Mund.
Als ich mich wieder löse, grinst auch er. "Gern geschehen."
Wie so oft lässt er seinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Diesmal bleibt er an etwas hängen. Interessiert schaue ich in die Richtung, in die er schaut und sehe die rote Zeichenmappe in meinem Regal liegen, die ich schon auf der Gamescom dabei hatte.
Er lächelt. "Sind da Zeichnungen drin?" Er steht auf und geht auf das Regal zu.
Mir wird kalt und meine Hände werden feucht. In dieser Mappe sind noch zwei Bilder, die ich nicht losgeworden bin. Auf einem davon ist unter anderem Gomme angebildet.
Ich springe auf. "Eh, das ist nichts besonderes. Die sind schon alt und wirklich überhaupt nicht schön!" Ich stelle mich zwischen ihn und das Regal und verdecke die Mappe. Er zieht eine Augenbraue hoch.
Dann legt er seine Hände an meine Taille und schiebt mich sanft zur Seite, um die Mappe zu nehmen und sie bedächtig zu betrachten.
Mein Herz rast.
"Wirklich, Michi,..." Ich stottere und beobachte mit aufgerissenen Augen, wie er ganz langsam die Schleife öffnet und die Mappe aufschlägt.
Ich atme aus. Obenauf liegt ein Bild von Simon. Er betrachtet es lächelnd.
"Emma, das ist voll cool! Von wegen, überhaupt nicht schön."
Ich zwinge mich zu einem Lächeln.
'Bitte nimm' es nicht heraus' Diese Gedanken spuken mir unaufhörlich durch den Kopf. "Sind da noch mehr Bilder?"
Neugierig hebt er das Bild leicht an.
"Nei-"
Als ich gerade die Mappe zuklappen will, hat er schon das zweite Bild entdeckt. Ich schließe für einen Moment die Augen.
Er starrt verwirrt auf das Blatt. Ich werfe einen Blick darauf. Ich hatte das Bild während dem Hero-Projekt gemalt. Gomme prangt genau in der Mitte, hinter ihm die anderen Bewohner von Stadt Rot.
Er sieht mich geschockt und zugleich fragend an.
"Diese Bilder sind also alt, ja?" Seine Stimme ist kalt und ernst.
Ich schlucke. Ich mache meinen Mund auf, um etwas zu sagen, aber es kommt nichts heraus.
Seine Augen weiten sich. "Du wusstest es", flüstert er.
"Ich-", krächze ich.
"Du hast es gewusst, und hast nie etwas gesagt?" Er lässt mich nicht ausreden. Verzweifelt rauft er sich die Haare und geht einen Schritt zurück.
"Ich wollte es dir ja sagen. Wirklich. Aber ich wollte dich nicht verlieren." Meine Sicht verschwimmt langsam aber ich zwinge mich dazu, nicht zu weinen.
"Michi, ich liebe dich. Und das hat nichts damit zu tun, dass du Youtuber bist." Flehend sehe ich ihn an.
Sein Blick streift meinen, aber er wendet ihn sofort wieder ab.
"Und das soll ich dir glauben?"
Er geht nervös durch mein Zimmer.
"Seit wann?" Ich zucke zusammen, seine Stimme ist laut geworden. Ich schlucke.
"Seit wann?", wiederholt er die Frage ungeduldig.
"Seit der Gamescom", presse ich hervor. Er stöhnt laut auf.
"Und es war dir also total egal, wer ich war?", meint er höhnisch. "Schwer zu glauben. Wenn du sogar Bilder für mich gemalt hast, musst du ja ein ganz schöner Fan von mir gewesen sein!" Er atmet laut aus.
Mittlerweile kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und sie bahnen sich langsam einen Weg über meine Wangen. Mein Hals ist wie zugeschnürt.
"Und wann, hattest du bitte vor, es mir zu sagen?" Michis vorwurfsvoller Blick versetzt mir einen Stich ins Herz.
"Denkst du denn, ich hätte es nie versucht?" Jetzt kann ich es nicht mehr zurückhalten, ich schluchze laut los.
"Verdammt, jeden Tag musste ich daran denken und wollte es dir erzählen! Natürlich wollte ich das. Es ist scheiße, jemanden zu belügen." Meine Stimme ist schrill geworden und ich fahre mir durch die Haare. "Aber weißt du, wie schwer das ist?" Ich hebe den Blick und schaue direkt in seine Augen. Sein Blick ist weicher geworden, gespannt hört er mir zu.
"Wenn du damit riskierst, den für dich wichtigsten Menschen zu verlieren?"
Niedergeschlagen sehe ich ihn an.
Seine Augen zeigen Enttäuschung, aber auch Mitleid. Für einen Moment glaube ich, dass alles wieder gut wird.
Aber dann schüttelt er den Kopf.
"Emma, ich weiß nicht, wie du dir das vorgestellt hast. Aber du hast mich die ganze Zeit belogen. Das kann ich nicht einfach vergessen." Geknickt sieht er mich an, dann wendet er sich ab, um seine Tasche zu nehmen.
Ich reiße die Augen auf.
"Michi, warte!"
Er dreht sich noch einmal um. Seine ozeanblauen Augen schauen in Meine, aber meine Sicht ist noch immer verschwommen durch die Tränen und so sehe ich nicht die Sterne in ihnen oder die Wellen, die sich normalerweise in ihnen wiegen. Ich will etwas sagen, öffne meinen Mund, aber bekomme keinen Ton heraus. Ich presse die Lippen zusammen.
Michi schüttelt langsam den Kopf, dann dreht er sich um, öffnet die Tür und verschwindet im dunklen Flur.

Hey!

Erstmal danke für euer Feedback in den Kommentaren vom letzten Kapitel! :) Da meine Vorstellungen ursprünglich in die komplett andere Richtungen gingen als eure, hab ich mich für einen Kompromiss entschieden und hoffe, ihr seid damit zufrieden! ;)

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, auch wenn es nicht das fröhlichste war. ^^

Hättet ihr Michis Reaktion denn so erwartet? Schreibt's mir doch mal in die Kommentare, würd mich echt interessieren! :)

Lg Youdid

Von Spielemessen und Radiergummis- GommeHD FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt