Kapitel 51

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Und so war es auch. Es war vorbei.

Ich hatte lange gebraucht, mir das einzugestehen. Die drei Wörter klangen für mich ziemlich schrecklich und machten mir Angst. Sie ließen mich in diese blöde Nostalgie verfallen, die ich eigentlich immer zu vermeiden versuchte. 

Aber selbst ich fand mich mit dieser Tatsache ab. Wie heißt es nicht immer so schön? Das Leben geht weiter. Und das tut es. 

Ich gewöhnte mich wieder daran, morgens unsanft von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden, mit Em am Wochenende die Laden leer zu kaufen, hin und wieder mit Sam Fußball zu spielen, lange Ausritte durch den Wald zu machen, und abends, wenn alle schon im Bett waren und ich noch nicht schlafen konnte, an meinem Schreibtisch zu sitzen und zu zeichnen. Mein Leben war nicht sonderlich spektakulär.

Was Michi machte, wusste ich nicht.

Mit Chris hatte ich durch Emily noch regelmäßigen Kontakt. Wir skypten oft zu dritt und lachten dabei noch genauso viel wie früher. Er verurteilte mich nicht dafür, was ich seinem Bruder angetan hatte. Allerdings redeten wir auch nie über Michi. Es hätte mich wirklich brennend interessiert, was er gerade trieb, aber er war nie in der Nähe, wenn wir mit Chris skypten und das Thema fiel - leider - auch nie auf ihn. Ich guckte ab und zu seine Videos, musste mich dann jedoch zwingen, sie wieder auszuschalten, um nicht wieder in einen Anfall von Traurigkeit und Sehnsucht zu verfallen.

An Weihnachten kam Chris uns sogar besuchen. Also eigentlich kam er Emily besuchen. Aber wir unternahmen jeden Tag etwas zu dritt, und es war das schönste Weihnachten seit Langem. Wir gingen zusammen auf den Weihnachtsmarkt, fuhren Schlittschuh und bauten einen Schneemann, der - ehrlich gesagt - nicht besonders schön war. Aber das lag ganz bestimmt an dem Mangel an Schnee.

Im Januar fing es endlich an, richtig zu schneien. Und das mit so einer Wucht, dass wir drei ganze Tage lang Schulfrei hatten, weil kein Bus und kein Auto mehr fahren konnte. Alles war weiß und Emily und ich bauten den größten Schneemann, den Deutschland je gesehen hatte und dann machten wir ein Bild und schickten es Chris.

Im Februar veranstaltete unsere Schule einen Faschingsball und anstatt Saft in die alkoholfreien Cocktails zu schenken, mischten die Neuntklässler an der Bar reichlich Alkohol dazu. Es endete damit, dass zwei Sechstklässlerinnen wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden mussten. 

Im März fuhr Emily nach Hamburg, um Chris zu besuchen. Drei ganze Wochen lang versuchte sie jeden Tag, mich zu überreden, mitzufahren. Aber ich wollte um keinen Preis Michi wiedersehen, geschweige denn in der gleichen Wohnung wie er wohnen. Ich sagte ihr immer, ich wolle ihm das nicht antun und dass er mich bestimmt nicht sehen wolle. Ehrlich gesagt glaube ich, dass ich es mir nicht antun wollte. Ich wollte nicht, dass alles wieder hochkam und dass ich mich unsterblich in ihn verlieben würde und deswegen die nächsten Monate wieder todtraurig wäre. Also fuhr Emily schließlich alleine - sie könnte mich ja schon verstehen, aber fände es trotzdem blöd - und schwärmte mir, als sie wieder zurück war, die ganze Zeit vor, wie toll Chris sei. Ich quittierte das immer nur mit einem Augenrollen, aber insgeheim freute ich mich für sie.

Im April bekam Emily einen Hund. Er war wirklich süß, gerade mal sechs Wochen alt und wir verbrachten die meiste Zeit damit, mit ihn zu spielen, spazieren zu gehen oder ihn zu streicheln. 

Im Mai gingen Em und ich auf eine Party eines Jungen aus unserer Klasse und ich lernte Tom kennen. Er war 18, hatte hellbraune Haare und braune Augen und ging in die Jahrgangsstufe über mir. Komischerweise war er mir in der Schule nie wirklich aufgefallen, aber an diesem Abend redeten wir lange miteinander und er war mir sympathisch und wir trafen uns öfters nach der Schule und unternahmen etwas zusammen und im Juni fragte er mich, ob ich mit ihm zusammen sein wolle und ich bejahte überglücklich. 

Mein Sommer war wirklich toll. Ich verbrachte meine freie Zeit entweder mit Emily oder mit Tom oder mit beiden zusammen und wir gingen schwimmen, in den Park, in die Eisdiele oder saßen einfach nur bei mir zuhause im Garten und redeten über alles Mögliche. 

Im Juli kam Chris Em besuchen und wir machten ein Lagerfeuer und Em kuschelte sich an Chris und ich an Tom und ich war glücklich, weil alles wieder perfekt schien.

Am Tag darauf ließ Tom mich sitzen. 

Er hätte mich ja wirklich gern und wäre eine tolle Freundin, aber da ist dieses Mädchen aus seiner Klasse, in die er sich verliebt hat. Ich musste mich fast übergeben, als ich sein Gestottere am Telefon hörte. Und so kam es, dass ich nach sechs Wochen wieder Single war. Ich bereute es nicht, die Zeit mit Tom war toll gewesen. Aber es ärgerte mich, dass es so schnell wieder vorbei war. Ja, ich weinte. Und ja, ich war sauer und habe mich die nächsten Tage in meinem Bett verkrochen, aber nach einer Woche war ich wieder ganz die Alte. Ich hatte Tom gemocht, und wenn er mich küsste, hatte ich Schmetterlinge im Bauch. Aber die Bindung war nie so stark gewesen wie zu Michi. Das musste ich mir eingestehen.

Und jetzt ist es August. Und wir haben endlich wieder Sommerferien. 

Em und ich haben uns zum Schwimmen verabredet. Ich schnappe mir meine fertig gepackte Tasche, klemme mir meine Sonnenbrille an mein T-Shirt und springe die Treppen herunter. In der Küche nehme ich mir einen Apfel aus der Obstschale und verlasse pfeifend das Haus. Ich werfe meine Tasche in den Fahrradkorb und schwinge mich auf mein - zugegeben nicht mehr in allzu gutem Zustand - blaues Fahrrad. Nach einigen Monaten fahre ich in die gepflasterte Auffahrt zu Ems Haus und warte ungeduldig. Zehn Minuten zu spät öffnet sich die Tür und Em tritt heraus. Sie beißt sich entschuldigend auf die Lippe. 

"Sorry Emma, ich musste mich noch schminken." Lächelnd umarmt sie mich.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Em, wir gehen schwimmen. Im Wasser."

Sie kichert. "Wozu gibt es wasserfeste Schminke?"

Nach weiteren zehn Minuten fahren wir auf die holprige Wiese, an die sich ein kleiner See anschließt. Die meisten Jugendlichen gehen zum Schwimmen ins Freibad, weshalb hier nie allzu viel los ist. Ich breite mein Handtuch aus, ziehe mir mein T-Shirt über den Kopf und lege mich in die Sonne. Em tut es mir gleich. 

"Diese Sommerferien werden toll!", meint sie euphorisch.

Ich nicke, auch wenn Emily das gar nicht sehen kann. 

Nachdem wir eine ganze Weile still dagelegen sind, räuspert Em sich.

"Du, Emma?", fragt sie gedehnt. 

Ich öffne meine Augen und drehe langsam den Kopf. Ich kenne diesen Tonfall. Ich ahne das Schlimmste.

"Was?", frage ich nervös.

Em grinst. "Kommst du mit zur Gamescom?" Emily war noch nie gut darin, Neuigkeiten vorsichtig mitzuteilen, aber so schnell ist sie noch nie mit der Tür ins Haus gefallen. Muss ihr ganz schön weh getan haben. 

Ich pruste los, doch als ich merke, dass sie mich verständnislos ansieht, räuspere ich mich.

"Ehm, ich denke nicht."

"Wieso denn nicht?" Emily setzt sich empört auf und sieht mich beleidigt an. 

Ich seufze. "Wieso wohl? Weil ich keine Lust habe, Mr. HD wiederzutreffen?"

Sie rollt mit den Augen. "Emma, das ist kein gutes Argument. Es gehen tausende Leute auf die Gamescom. Es wäre wirklich ein ziemlicher Zufall, wenn du ausgerechnet ihm begegnest. Aber selbst wenn schon, was wäre denn daran so schlimm? Ihr müsst ja nicht gleich den ganzen Tag miteinander verbringen." 

Ich sehe sie genervt an. Dann schließe ich die Augen und überlege. Eigentlich hat sie ja recht. Auf der Gamescom hat es mir letztes Jahr wirklich Spaß gemacht. Wieso sollte ich also nicht hinfahren, nur weil die Möglichkeit besteht, dass ich Michi treffe? Ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt hingeht.

Ich öffne die Augen und fange an, zu grinsen. "Na gut."

Emily quietscht vor Freude und springt auf. "Wer zuerst im Wasser ist!"

"Hey, das ist unfair, ich liege noch -"

Aber Em ist schon längst auf dem Weg ins Wasser.

Von Spielemessen und Radiergummis- GommeHD FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt