Kapitel 21

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»Haymitch?«, vernehme ich ihre überraschte Stimme und höre anschließend laute Fußstapfen, die den Flur betreten.

Verwirrt lege ich das Messer beiseite und erblicke einen aufgebrachten, finster drein schauenden Haymitch der durch die Türschwelle tritt. Katniss folgt ihm zögernd.
»Ich brauche Alkohol.«, brummt er und sieht mich an.
Ich lache auf. »Und deswegen klingelst du bei uns? War natürlich klar.«
»Du bist auf Entzug, Haymitch.«, wirft Katniss ein.

Er grummelt irgendetwas in sich hinein, umrundet den Küchentisch und reißt den Kühlschrank auf.
Ich mustere seine langen blonden Haare, die in fettigen Strähnen an ihm herab hängen und die rot unterlaufenen Augen.

Er wirkt alles andere als gesund.

»Im Kühlschrank wirst du keinen Alkohol finden.«, seufzt Katniss und wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu.
»Ich bin nicht nur wegen dem Alkohol hier.« Er dreht sich zu uns um, mustert uns für einen kurzen Augenblick und setzt sich widerstrebend auf einen der Küchenstühle.
»Wegen was dann?«, frage ich und widme mich wieder dem Salat.
Katniss kümmert sich derzeitig um die Nudeln und dreht den Herd aus.

»Ich brauche jemanden zum reden.«
, seufzt er und weicht meinem Blick aus.
Ich versuche meine Überraschung zu überspielen. »Wir hören?«
»Ihr müsst mir helfen.« Seine grauen, von leichten Falten gekennzeichneten Augen, huschen im Raum umher, als suche er nach irgendetwas.
»Wobei?«, mischt sich Katniss ein.
»Ich brauche Helfer für meine Gänse.«

Fassungslos starre ich ihn an.
Ganz Panem ist in Aufruhr und er kümmert sich bloß um seine Gänse?
Haymitch scheint seine Worte wirklich ernst gemeint zu haben, denn kein Lächeln ziert seine Lippen.

»Helfer? Für Gänse?«

»Wenn ich irgendwann mal nicht da bin brauche ich jemanden auf den ich mich verlassen kann. Jemand, der meine Gänse weiterhin füttert und ihnen Wasser hinstellt.«, erklärt er mit einer Autorität in der Stimme, die mich leicht Schmunzeln lässt.
»Nun ja, noch hast du ja keine Gänse.«, entgegne ich und werfe einen kurzen Blick zu Katniss, die angefangen hat den Tisch zu decken.
Haymitch stellt sie ebenfalls einen Teller hin.

»Aber bald.« Er seufzt frustriert. »Ich brauche Alkohol. Ohne Alkohol halte ich es nicht aus.«
»Iss lieber was.« Ich schaufele jedem von uns eine Portion Nudeln auf den Teller und richte kleine Schüsseln an, für den Salat.
Die Soße stelle ich auf den Tisch, damit sich jeder selbst nehmen kann.
Das Essen hin verläuft schweigend. Jeder ist in seinen eigenen Gedanken versunken.

Auch wenn ich mir vorgenommen habe nicht daran zu denken, so kommen die Sorgen immer wieder in mir auf.
Die Angst, was wohl als nächstes passieren wird.
Wer für die Morde verantwortlich ist.
Warum fangen die Menschen, jetzt wo Frieden herrscht, wieder neuen Krieg an?
Wer ist so grausam solche Taten zu vollführen?
Ich weiß es nicht. Und während meine Fragen unbeantwortet bleiben, sehne ich mich nach Antworten. Aber ich weiß dass momentan niemand diese Fragen beantworten kann. Wir können nur stumm zusehen. Warten, bis etwas passiert.
Selbst etwas dagegen ausrichten können wir nicht. Nein. Aber wir können hoffen.
Solange es noch Hoffnung gibt.

Haymitch bleibt nicht lange. Gleich nach dem Essen verschwindet er, ohne dass er irgendetwas sagt. Er verhält sich komisch. Angeschlagen. Vielleicht liegt es an den Umständen. Schließlich gelten sie für jeden von uns als eine Last.
Wahrscheinlich ist es besser ihn vorerst in Ruhe zu lassen.

Ich habe meine Augen geschlossen, lausche, wie so oft, Katniss' Atem. Ruhig und gleichmäßig.
Aber ich weiß, dass sie wach ist. Langsam wende ich meinen Kopf zur Seite, erkenne ihre schemenhafte Gestalt, wie sie zusammengekauert unter der Decke liegt. Den Rücken zu mir gekehrt.

»Katniss?«

Nichts.

Das Schlafzimmer liegt in dunklen Schatten, einzig und allein der Mond der durch das Fenster scheint, spendet uns ein wenig Licht.
Unsicher rutsche ich an sie heran und lege meinen Arm von hinten um sie.
Doch sie zuckt zusammen, zögert und windet sich wieder aus meinen Armen.
Es versetzt mir einen kleinen Stich ins Herz.
Habe ich etwas falsch gemacht?

»Peeta, ich-«, sie bricht ab, noch ehe sie den Satz zu Ende bringen kann.
»Was ist los?«, frage ich kleinlaut und richte mich auf.
Sie dreht sich zu mir um, blickt mich schweigsam an und kneift die Lippen angespannt aufeinander.
»Ich kann nicht.«
Verwirrt sehe ich sie an. »Wie meinst du das?«
»Ich ... wir ... machst du dir denn gar keine Gedanken?«

Ein kleines, trauriges Lächeln breitet sich auf ihren Lippen aus, als sie meinen perplexen Gesichtsausdruck sieht. Doch so schnell es auch gekommen ist, verschwindet es auch wieder.
»Ich meine das mit uns zwei.«
Ich schlucke schwer. Natürlich weiß ich was sie damit ein.
Was ist da zwischen uns?
Doch die wichtigste Frage, die ich mir stelle ist:

Liebe ich sie?

Auch wenn es sich dämlich anhört, so bin ich überfordert. Am Anfang habe ich sie weitgehend ignoriert. Da waren keine Gefühle. Keine nähere Bindung. Keine Küsse. Keine Freude die in mir aufkommt, wenn ich sie sehe. Kein Kribbeln. Nichts.

Und jetzt?

Die Dinge haben sich verändert.
Ich habe mich verändert.
Die Anfälle werden mit der Zeit weniger.
Ich kann mich wieder kontrollieren, wenn ich in ihrer Nähe bin.
Ich genieße ihre Nähe.

Aber gleichzeitig ist da auch noch diese Wut. Dieser Hass der immer dann aufkommt, wenn das Gift die Kontrolle über meinen Körper hat.
Hass, anstatt Liebe. Mutation, anstatt Geliebte.
Aber die Sehnsucht nach ihr ist viel stärker. Mächtiger. Mittlerweile kann ich mir nicht mehr vorstellen sie jemals zu verlieren.
Für mich ist es Antwort genug. Es fällt mir schwer es zuzugeben und ich habe Angst, dass ich ihr noch immer weh tun könnte.
Denn ich bin die Mutation. Das Monster.

Ich habe mich in Katniss verliebt.

Ich kann es nicht abstreiten. Und es fühlt sich komisch an, aber auf eine eigene Art und Weise auch vertraut.

»Peeta?« Katniss sieht mich fragend an.
Ich vertreibe die Gedanken aus meinen Kopf und konzentriere mich wieder auf ihre Frage.
»Ich weiß es nicht.«, seufze ich.
Sie nickt trübsehlig. »Ich weiß nicht wie du es empfindest, Peeta. Aber für mich war es mehr anstatt nur ein paar Küsse.«
Stumm sehen wir uns an. Soll ich es wirklich riskieren?
Ich schlucke schwer, hebe meine Hand und berühre vorsichtig ihre Wange. Ihr Atem geht ein wenig schneller, als ich ihr behutsam eine entfallene Haarsträhne hinters Ohr schiebe.
»Ich weiß.«, seufze ich und lasse meine Hand wieder sinken.

Sie wartet auf eine weitere Antwort von mir, doch als nichts kommt, nickt sie sachte.
»Ich verstehe.« Auch wenn sie es versucht zu überspielen, so höre ich dennoch den enttäuschen Unterton in ihrer Stimme.
Ich lächle und hebe ihr Kinn an, damit sie mir wieder in die Augen sieht.
»Für mich waren es auch mehr als nur ein paar Küsse.«, sage ich und entlocke ihr ein erleichtertes Lächeln.
Langsam beugt sie sich zu mir herüber und berührt, ganz sachte, meine Lippen. Ich spüre ihren Atem. Rieche ihren vertrauten Duft, den ich überall wieder erkennen würde.

»Ich liebe dich.«

Ihre eisgrauen Augen sehen mich eindringlich an.
Ich schließe meine Augen. Unterdrücke das Wirr von Gefühlen, dass in mir aufkommt.
Ich lausche meinem eigenen Herzschlag, warte die Sekunden ab, bevor ich meine Augen wieder aufschlage und mein Herzschlag sich beruhigt hat.
Sie sieht mich noch immer an, lächelt, wenn auch nur ganz sanft.

»Du liebst mich Peeta, wahr oder nicht wahr?«

Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Und ohne zu zögern, antworte ich:

»Wahr.«





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