Kapitel 37

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»Ich verstehe das nicht.«, murmelt Gale zum gefühlten eintausendsten Mal und wendet den Zettel in seinen Händen hin- und her, als hoffe er auf irgendeine verschlüsselte Nachricht.
»Ich verstehe es auch nicht.«, stöhne ich frustriert.

Nachdem mir nach und nach klar geworden ist, dass dies eine weitaus gefährlichere Drohung ist, habe ich Gale in die Sache mit eingeweiht. Er wusste noch nichts von dem ersten Brief, doch auch nachdem ich ihm die Lage erklärt hatte, wusste er keine passende Antwort darauf.
Nun belasten ihn ebenfalls die Fragen, die sich jeder von uns beiden stellt, und noch immer haben wir keine Antwort.
Wer steckt hinter all dem?
Wer ist so krank uns Drohungen zu schicken?
Was hat dass alles für einen Sinn?

»Was ist mit Katniss? Sollen wir ihr die Sache erzählen?«, fragt Gale leise und reißt mich somit aus dem Wirr meiner Gedanken.
Ich schüttele bestimmt den Kopf.  »Nein, ich möchte sie nicht zu sehr belasten.«

Er nickt verstehend, gibt ein leises Seufzen von sich und starrt aus der beschlagenen Fensterscheibe.
Wie kann es sein, dass sich der Unbekannte so leise im Hintergrund hält?
Irgendwie muss er es ja geschafft haben, den Brief vor unserer Haustüre abzulegen.

Ich habe nichts gemerkt. Nicht einmal das leiseste Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmen könnte.
Wir sind hier nicht länger sicher.
Und auch die Tatsache, dass dieser Unruhestifter schon einmal in unser Haus eingebrochen ist, beunruhigt mich.
Warum haben wir nicht schon früher die Initiative gegriffen?
Wir müssen hier fort.
Aber wo können wir hin?
Weder das Kapitol, noch die Distrikte sind noch länger sicher.

Im Grunde genommen ist es egal wo wir uns aufhalten.
Von überall aus droht Gefahr.
Und vertrauen, können wir erst recht niemandem.

»Wer immer auch diesen Brief geschrieben hat, er möchte euch einschüchtern. Er spielt mit euch, wie Schachfiguren die er hin- und her schieben kann.« Gale's Stimme klingt kühl, ohne jegliche Emotionen. Wie ein Jäger, der über seine Beute spricht.
»Du meinst wir sollen das Kapitol verständigen?«, frage ich skeptisch.
»Nein, auf keinen Fall.«, seufzt er, als würde ich etwas Offensichtliches nicht verstehen. »Denk nach, Peeta. Derjenige, der diesen Brief geschrieben hat, könnte genauso gut aus dem Kapitol stammen. Es ist jemand, der die Lage ganz genau im Blick hat und weiß was er tut.«

Seine Worte beunruhigen mich. So, wie er es sagt, klingt es, als wäre dieser Unruhestifter mächtiger als ich dachte.
Mächtiger, erhabener und skrupelloser als das Kapitol.
Aber wieso hat er es auf uns abgesehen?
Was haben wir mit der Sache zu tun?
Vielleicht weil Katniss einst das Symbol der Rebellion war?
Aber selbst wenn, dies gehört der Vergangenheit an.

»Wir haben nicht viele Optionen.«, fährt Gale fort und verschränkt die Arme vor der Brust. »Wenn wir diesen Brief ignorieren, wird er höchst wahrscheinlich zu drastischeren Maßnahmen greifen. Im schlimmsten Fall bringt er irgendeinen von uns um. Das Kapitol zu verständigen kommt nicht in Frage. Das einzige was uns bleibt ist, seinen Vorschlag anzunehmen.«

Verwirrt sehe ich ihn an. »Du meinst wir sollen uns mit ihm treffen?«
Er nickt. »Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.«

Ich denke über seine Worte nach und komme zu dem Entschluss, dass Gale Recht hat.
Wir haben keine andere Wahl, alles andere wäre zu gefährlich oder zu riskant.
Auch wenn es ebenfalls riskant ist, sich auf ein Treffen einzulassen.
Aber ich möchte Katniss nicht in Gefahr bringen.
Und ich lasse garantiert nicht zu, dass weitere Anschläge passieren werden.
Die Distrikte haben genug gelitten.
Und Präsidentin Paylor ist nicht hier, um uns zu helfen.

»In Ordnung.«, sage ich schließlich und sehe Gale an. »Ich werde mich mit ihm, wer immer er auch ist, alleine treffen.«
Gale's Augen weiten sich. »Alleine ist es zu gefährlich, Peeta. Ich werde mit dir kommen.«
»Nein. Ich bitte dich bei Katniss zu bleiben. Tu mir diesen Gefallen.«, sage ich entschlossen und spüre, wie Mut in mir aufsteigt.
Es ist Zeit diesem ganzen Wahnsinn ein Ende zu setzen.

Gale schweigt und sieht mich lange an, als wäre er unschlüssig mir zu widersprechen oder meinen Worten zuzustimmen.
»Für Katniss.«, erinnere ich ihn und sehe an seinen Augen, dass er einen Entschluss gefasst hat.

»Okay.«

Ich lächele ihn dankbar an, höre jedoch Schritte auf der Treppe und ehe ich mich versehe, erscheint Katniss im Türrahmen.
Ihre Augen sind verquollen, ihre Haare zu einem unordentlichen Zopf gebunden und ihre Augen, glasig und leer, blicken uns an.
»Über was habt ihr geredet?«, fragt sie mit brüchiger Stimme.
Gale starrt sie besorgt an.
»Über nichts wichtiges.«, lüge ich und sofort überkommt mich das schlechte Gewissen.
Ich werde ihr weh tun, wenn sie die Wahrheit erfährt.
Das weiß ich.
Aber wir haben keine andere Wahl.
Wann hatten wir überhaupt jemals die Chance dazu uns zu entscheiden?

Während Katniss sich leise seufzend auf dem Sofa niederlässt, werfe ich Gale einen raschen Blick zu.
Er nickt, als könne er meine Gedanken lesen.
Er wird ihr nichts verraten.
Und ich vertraue ihm.

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