Kapitel 29

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  »Katniss!«
Mein Herz scheint für einen kurzen Moment stehen zu bleiben, ehe die blanke Panik über mich fällt und mein Pulz zu rasen beginnt.
Überall würde ich diese Stimme wiedererkennen. Dabei ist es so lange her, seit ich sie dass letzte Mal gehört habe.
  »Prim!«, schreie ich.
Ich befinde mich in einem dunklen, schwach beleuchteten Flur. Am Ende erkenne ich eine verschlossene Tür, durch die grelles Licht hervor dringt.
Wie in Trance laufe ich auf sie zu und strecke meinen rechten Arm nach der Türklinke aus.
  »Katniss, hilf mir!«
  »Prim!«
Meine Finger umklammern die Klinke und ich reiße die Tür nach innen auf.
Plötzlich überkommt mich eine Welle der Hitze.
Schützend halte ich mir die Hände vor das Gesicht und starre in die hellen, lodernen Flammen. Ich erkenne diesen Raum.
Es ist Prim's Zimmer.
  »Hilf mir, Katniss!«
Panisch blicke ich mich um und erkenne, ein paar Meter weiter weg, eine sich vor Schmerz windende Gestalt.
  »Prim!«
Verzweifelt versuche ich zu ihr zu gelangen, doch ich komme nicht weit. Die Flammen versperren mir den Weg.
  »Es tut weh!«
Ich erkenne ihren blonden, vertrauten Haarschopf.
Tränen laufen über meine Wangen. Wie kann ich ihr helfen?
  »Katniss.« Ihre Stimme klingt nicht mehr als ein schmerzvolles Stöhnen.
Entschlossen setze ich einen Fuß ins Feuer. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckt mein Bein, aber ich gehe weiter. Ich strecke meine Hände nach ihr aus, doch ich bekomme sie nicht zu fassen.
  »Prim, komm zu mir!«
Mittlerweile stehe ich komplett in Flammen. Der Schmerz zwingt mich dazu, in die Knie zu gehen.
Ich verbrenne.
Und plötzlich, wie aus dem nichts, spüre ich Hände, die meinen brennenden Körper liebkosen.
  »Katniss.«
  »Lass mich los, Prim! Rette dich, lass mich alleine, geh!«
  »Katniss!«

Schwer keuchend reiße ich meine Augen auf.
Flammen. Feuer. Hitze. Prim.
  »Katniss, ich bin es!«
Erst jetzt spüre ich Hände, die mich umfassen und Lippen, die sich sehnlichst auf meine drücken.
  »Peeta.«, keuche ich und löse mich von ihm. »Wieviel Uhr haben wir?«
Ich befinde mich auf dem Sofa, die Decke zur Seite gestrampelt. Schweiß bedeckt meine Stirn und ich sehne mich nach einer eiskalten Dusche.
  »Kurz nach vier.«, antwortet er und streicht mir behutsam die schweißnassen Haare aus dem Gesicht. »Du hast geschlafen als ich zurückgekommen bin.«
Ich nicke schwach und mustere sein Gesicht. Er wirkt besorgt.
  »Ich fühle mich irgendwie komisch.«, hauche ich und fasse mir an die Stirn. »Es ist so warm.«
Sanft berührt er meine Wange, wobei seine Berührung ein Kribbeln in mir auslöst. »Du hast Fieber.«
Erschöpft schließe ich meine Augen und schmiege mich an seine Brust.
  »Komm, ich lege dich ins Bett.«
Nur am Rande nehme ich wahr, wie er seine Arme elegant um meinen Körper legt und mich mit Leichtigkeit, wie eine Feder, hochhebt.
  »Peeta, ich bin viel zu schwer.«, murmele ich gegen sein Schlüsselbein.
Hmm. Er riecht gut. Sehr gut.
  »Ich habe jahrelang schwere Mehlsäcke gehoben, also sage ja nicht, ich bin zu schwach um dich zu tragen.«, entgegnet er und lacht leise vor sich hin.
Schweigend lausche ich seinem Herzschlag.
Immer wieder spüre ich, wie ich ins Land der Träume versinke, tauche aber nach ein paar Momenten trotzdem auf und befinde mich wieder an der Oberfläche.
Auf einmal spüre ich etwas weiches, flauschiges unter mir. Peeta hat mich in unser Bett gelegt. Ich kann mir ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken.
  »Schlaf gut, Katniss.«, höre ich Peeta flüstern.
Er geht doch nicht etwa, oder?
  »Bitte ...«, krächze ich und zwinge mich, die Augen zu öffnen. »Bleib bei mir.«
Er sieht mich nachdenklich an, nickt jedoch und legt sich vorsichtig neben mich.
Lächelnd kuschel ich mich in seine starken Arme und atme seinen Duft nach Zimt und Kiefernnadeln ein.
Auf einmal verspüre ich nicht die altbekannte Müdigkeit, sondern etwas völlig anderes. Etwas seltsam vertrautes.
Langsam fahre ich mit meiner Hand unter seinen Pullover und spüre seine warme, weiche Haut unter mir. Fasziniert male ich die Konturen seiner Muskeln nach und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Wieder spüre ich eine aufkommende Hitze. Doch diesmal fühlt sie sich angenehm an. Seltsam befriedigend.
  »Katniss?«, höre ich ihn leise flüstern.
  »Küss mich.«
Eine Weile lang verharrt er in seiner Position, bis er sich ganz langsam aufrichtet und seine federleichten Lippen auf meine legt. Er ist gewiss vorsichtig.
Doch diesmal presse ich meine Lippen fester auf seine. Zwinge ihn, meinen Kuss zu erwidern und verkrabe meine Finger in sein blondes Haar.
Ich spüre, wie überrascht er ist, höre aber trotzdem nicht auf, ihn leidenschaftlich zu küssen.
Ich spüre ein Verlangen. Eine hinreißende, seltsame Begierde, die nach seiner Nähe verlangt.
  »Herr Gott, Katniss.«, keucht Peeta und löst sich augenblicklich von mir.
Seine Augen ruhen auf mir, als würde er herausfinden wollen, was mich dazu treibt ihn so heftig zu küssen.
Ich weiß es selbst nicht einmal.
Vermutlich wird mir die ganze Aktion morgen unendlich peinlich sein.
Aber das ist mir, jetzt, in diesem Moment, herzlich egal. Ich will nicht aufhören.
  »Bitte, hör nicht auf.«, flehe ich und nähere mich verzweifelt seinen Lippen.
  »So kenne ich dich gar nicht.«, kichert er leise. »Seit wann überfällst du mich?«
  »Seit heute.«, knurre ich und schlinge meine Arme um seinen Nacken.
Grinsend legt er sich auf mich, platziert seine linke Hand auf meinem Schenkel und fängt an, sie langsam nach oben wandern zu lassen.
Ein Stöhnen entfährt meinen Lippen. Noch nie hat er mich so intensiv berührt. Es ist ein seltsames Gefühl.
Aber es gefällt mir.
Diesmal ist er es, der seine Lippen verlangend auf meine presst.
Ich berühre mit meinen Händen den Saum seines Pullovers und ziehe ihn ihm langsam über den Kopf.
Fassungslos starre ich auf seinen muskulösen Oberkörper.
Sah er schon immer so aus?
Peeta scheint mein Zögern bemerkt zu haben, sagt jedoch nichts.
Beschämt richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf sein Gesicht und merke, wie er mich mit nachdenklichem Blick mustert.
  »Was ist?«, frage ich besorgt und ziere seine Haut mit federleichten Küssen.
  »Nicht heute.« Seine Worte klingen gefasst.
Sofort halte ich inne. »Was?«
  »Nicht heute, Katniss.«, wiederholt er und stößt einen frustrierten Seufzer aus.
Enttäuscht sehe ich ihm dabei zu, wie er sich seinen Pullover überstreift.
Gerade eben war er noch voll bei der Sache und jetzt hört er plötzlich auf?
  »Warum?« So leicht gebe ich nicht auf.
  »Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.« Er sieht mich nicht an, während er spricht.
  »Finde ich aber schon.«
  »Katniss.«
  »Was?«
  »Bitte.« Diesmal wendet er sich flehend an mich. »Nicht heute.«
So schnell das Verlangen auch gekommen ist, ist es auch schon wieder verschwunden.
  »Schön.«, erwidere ich bissig und wende mich von ihm ab.
Warum bin ich plötzlich so eingeschnappt?
Sein Lachen hallt durchs leere Zimmer und ehe ich mich versehe, zieht er mich wieder an seine Brust.
  »Sag bloß du bist jetzt beleidigt weil ich nicht mit dir schlafen möchte.«
  »Doch.«
Sanft berührt er mit seinen Lippen mein Ohr und flüstert: »Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich möchte unfassbar gerne mit dir schlafen, aber wenn, dann möchte ich auch einen passenderen Zeitpunkt auswählen. Du solltest lieber erst einmal ein wenig schlafen.«
Ich seufze ergeben. »Okay.«
Abermals schließe ich meine Augen, obwohl ich viel zu aufgedreht bin, um schlafen zu können.
Als hätte Peeta meine Gedanken gelesen, fängt er leise an zu singen.
Gespannt lausche ich seiner schönen, hypnotisierenden Stimme und spüre, wie meine Lider immer schwerer werden und ich irgendwann in einen traumlosen Schlaf sinke.


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