Kapitel 30

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Als ich aufwache, kann ich mich nur noch schlecht an die Geschehnisse von gestern erinnern. Mir schwirrt der Kopf, als ich meine Augen aufschlage und sofort von hellem Licht geblendet werde.
»Aufstehen.«, lächelt Peeta und drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.
Ich murre etwas unverständliches und verkrabe mein Gesicht in den Stoff meines Kopfkissens. Ich möchte weiterschlafen. Mir ist es egal wieviel Uhr wie haben.
»Es gibt Frühstück.«, versucht er es abermals.
Ich spüre seinen warmen Atem an meinen Lippen, da er sich tief über mich gebäugt hat. Im Gegensatz zu mir ist er fertig angezogen und geduscht. Beschämt fällt mir ein, dass ich auch mal wieder duschen müsste.
»Noch fünf Minuten?«, frage ich und blinzele ihn an.
Er seufzt. »Ich warte unten.«
Leise verschwindet er aus dem Schlafzimmer. Das Letzte was ich höre sind seine Schritte, die im Flur verklingen.
Eine Weile lang bleibe ich liegen, bis ich wieder dieses wiederliche Gefühl in meinem Magen verspüre. Kraftlos hieve ich mich aus dem Bett und laufe ins Bad.
Nachdem ich mich abermals übergeben habe, spüle ich mir den Mund aus um den wiederlichen Geschmack zu vertreiben und hüpfe anschließend in die Dusche. Obwohl mir unendlich warm ist, lasse ich heißes Wasser über meine Haut laufen.
Unten höre ich das Klirren von Besteck und beeile mich, schnell fertig zu werden.
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragt Peeta, als ich die Küche betrete.
Ich schüttele den Kopf. »Nein, mir geht es gut.«
»So siehst du aber nicht aus.«, entgegnet er und sieht mich prüfend an.
»Es geht schon.« Meine Stimme klingt kühler als beabsichtigt und als ich zu ihm aufschaue, erkenne ich den nachdenklichen Ausdruck in seinem Gesicht.
Schweigend setzen wir uns an den gedeckten Tisch. Mich überkommt ein schlechtes Gewissen, doch als ich mich entschuldigen möchte, schmecke ich den Geschmack nach Galle in meinem Mund.
»Tut mir ... « Weiter komme ich nicht.
Panisch stehe ich auf, doch diesmal schaffe ich es nicht rechtzeitig ins Bad. Geräuschvoll ergebe ich mich im Flur und muss mich an der Wand festhalten, da meine Knie sich seltsam weich anfühlen. Kraftlos.
»Katniss?«
Natürlich ist er mir gefolgt und hält mir die Haare aus dem Gesicht.
»Peeta, bitte geh weg.«
Ich möchte nicht dass er diesen wiederlichen Anblick sehen muss.
»Ich rufe einen Arzt.«, sagt er entschlossen und verschwindet ins Wohnzimmer.
Gleich darauf höre ich seine aufgebrachte Stimme am Telefon.
Nein. Keine Ärzte.
Angewidert wische ich mir über den Mund, greife nach einem Lappen und wische den Boden. Der Gestank nach Erbrochenem hat sich im Flur festgesetzt und weil ich es nicht ertragen kann, reiße ich die Haustüre auf und lasse frische Luft hereinströmen.
Nach wenigen Minuten kommt Peeta wieder zu mir, nimmt mich in seine Arme und streichelt behutsam meinen Rücken.
»In einer halben Stunde kommt der Arzt.«
»Ich hasse Ärzte.«
»Ich weiß.«
Ich habe das Gefühl mich jeden Moment wieder übergeben zu können, aber es ist eher der Schwindel, der mich so mitnimmt.
Na super. Ausgerechnet an Heiligabend habe ich die Grippe.
»Willst du dich setzen?«, fragt er leise.
Ich nicke schwach und lasse mich von ihm ins Wohnzimmer führen. Während er den Kamin anzündet, lasse ich mich auf der Couch nieder und beobachte ihn. Seine Haare sind länger geworden. Und auch leichte Bartstoppeln zieren sein Gesicht.
Warum ist mir dass nicht aufgefallen?
Ein Jahr ist seit Prim's Tod vergangen. Ich war so mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, dass ich gar nicht mitbekommen habe wie sehr uns die Zeit verändert hat.
In einem Monat werde ich achtzehn.
Aber ich fühle mich viel älter, als ich eigentlich bin.
Und Peeta ist nicht mehr der Junge mit dem Brot. Er ist zu einem Mann herangewachsen. All seine kindlichen Züge sind verblasst.
Vor mir steht ein junger Mann. Die Zeit hat uns altern lassen.
Und ich habe es nicht mitbekommen.
»Alles in Ordnung?«, reißt mich seine Stimme aus meinen Gedanken.
Verwirrt schaue ich zu ihm auf und blicke in vertraute, eisblaue Augen.
»Ich liebe dich, Peeta.« Die Worte kommen mir über die Lippen, ehe ich wirklich darüber nachgedacht habe.
Er lächelt glücklich. »Ich weiß. Und ich dich umso mehr.«

»Hmm, Sie sagen Sie leiden unter Übelkeit und müssen sich ständig erbrechen?«, fragt der ältere Herr, der sich als Doktor Woodley herausstellt.
Wir befinden uns auf dem Sofa, während er mich mit dem Stethoskop abhört.
Ich nicke. »Ja. Und ich bin müde. Obwohl ich geschlafen habe.«
Peeta sitzt neben mir und hält meine Hand.
Doktor Woodley seufzt, packt das Stethoskop ein und sieht mich eindringlich an.
»Dürfte ich mit Ihnen kurz alleine sprechen, Mrs Everdeen?«
Peeta möchte schon aufstehen, doch ich halte seine Hand krampfhaft fest und schüttele den Kopf. »Nein, Sie können es mir hier sagen.«
Doktor Woodley nickt. »In Ordnung. So wie ich dass sehe leiden Sie unter der Grippe. Ich kann Ihnen Medikamente verschreiben die die Übelkeit ein wenig lindern.«
Irgendetwas stimmt nicht. »Aber?«
»Nun ja, ich möchte nicht aufdringlich werden, aber haben Sie Ihre Menstruation schon bekommen?«
Verwirrt runzele ich die Stirn. »Nein.«
»Sind Sie überfällig?«
Ich merke wie Peeta sich neben mir anspannt.
Die Frage des Doktors hallt in meinem Kopf wieder. Ich bin überfällig. Seit einer Woche. Aber sie können sich auch verspätet haben.
»Ja, aber dass passiert bestimmt hin - und wieder mal.«, entgegne ich und lächele, auch wenn innerlich in mir die blanke Panik hochkommt.
»Ich an Ihrer Stelle würde sicherheitshalber einen Schwangerschaftstest machen. Auch wenn Sie krank sind, kann es sein dass die Übelkeit und die Symptome auf eine mögliche Schwangerschaft zuzuführen sind.«
Mein Herz scheint in diesem Moment stehen zu bleiben. Geschockt starre ich den Doktor an, merke gar nicht wie sich alle erheben und Peeta ihn zur Tür begleitet.
»Auf Wiedersehen, Mrs Everdeen.«
Ich höre Peeta's leise Stimme im Flur.
Das kann nicht sein. Ich bin nicht schwanger.
Wie ist dass möglich? Peeta und ich haben nicht ...
Meine Gedanken drehen sich im Kreis, während mir der Schock deutlich anzusehen ist.
Die Nacht, in der wir beide zu viel getrunken haben ...
Haben wir tatsächlich miteinander geschlafen? Und nicht verhütet?
Herr Gott, ich bin nicht schwanger! Ich will nicht schwanger sein.
»Katniss?« Peeta steht im Türrahmen und sieht mich unsicher an.
Der Doktor scheint fort zu sein.
Langsam blicke ich zu ihm auf. »Ich bin nicht schwanger, Peeta.«
Er nickt vorsichtig und kommt auf mich zu. »Ja, aber lass trotzdem einen Test machen. Nur um sicher zu gehen.«
Ich schüttele entschlossen den Kopf. »Ich bin nicht schwanger.«
Er stößt einen Seufzer aus, setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. »Okay. Vielleicht hat der Doktor auch Unrecht.«
Doch ich höre die Hoffnung aus Peeta's Stimme heraus, auch wenn er versucht sie zu verbergen.
Ich kann nicht schwanger sein. Ich kann nicht schwanger sein. Ich kann nicht schwanger sein.
Es ist alles bloß ein Irrtum.
Und trotz allem, habe ich Angst.
Angst, dass das Unmögliche doch wahr sein kann.

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