Kapitel 38

408 18 13
                                    

Die Zeit vergeht, meiner Meinung nach, viel zu langsam.
Ständig habe ich das Gefühl beobachtet zu werden und spüre die Bedrohung, die wie eine dunkle Gewitterwolke über uns liegt.
Ich warte auf ein Zeichen, irgendeine weitere Nachricht-, doch es passiert nichts.
Es ist eine unerträgliche Stille, die an meinen Nerven zerrt und mich all meine Ängste durchleben lässt, die ich im Grunde genommen so sehr verabscheue.
Wie die Ruhe vor dem Sturm.
Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendetwas passiert.

Zwar habe ich meinen Körper unter Kontrolle, aber noch immer spüre ich das Gift in meinen Adern, welches nur dann wieder zum Vorschein kommt, wenn die altbekannte Angst in den Vordergrund tritt und mich alte Erinnerungen wieder neu durchleben lässt.
Die Angst ist mein langjährigster und doch qualvollster Begleiter.
Ich kann versuchen sie zu kontrollieren, aber ich weiß nie wann das Gift als nächstes zuschlagen wird.
Und noch immer hasse ich Snow. Dafür, dass er mich zu einer Person gemacht hat, die ich in Wahrheit doch gar nicht bin.

»Peeta.«

Ich schließe meine Augen, spüre Katniss' Körper neben mir und genieße ihre Nähe, die mich ein Stück weit beruhigt.

»Du zitterst.« Stellt sie fest und als ich meine Augen langsam öffne, begegne ich ihrem liebevollen, aber dennoch besorgten Blick.
Ihre Hand schmiegt sich in meine, zart und zerbrechlich, und ich kann diesen Drang nicht unterdrücken sie beschützen zu wollen.
Vor allem jetzt, wo die Gefahr doch unser aller Schicksal bestimmen könnte.

»Mir geht es gut.«, flüstere ich zurück und lasse meinen Blick über ihre Lippen wandern.
Sie lächelt, doch die Besorgnis spiegelt sich noch immer in ihren Augen.
Anstatt mich weiter mit Fragen zu durchlöchern, schmiegt sie sich in meine Arme und lässt das Thema auf sich beruhen, weshalb ich ihr unendlich dankbar bin.
Schon jetzt habe ich Angst sie im Stich lassen zu müssen.
Wahrscheinlich werde ich es mir nie wirklich verzeihen können.
Aber noch weniger könnte ich es mir verzeihen, wenn ihr irgendetwas zustößt.

In den Hungerspielen hat sie unser Leben gerettet.
Nun werde ich versuchen sie zu beschützen, unser aller Leben zu retten.
Und gegen diesen Unruhestifter, wer auch immer er/sie ist, vorzugehen.

»Diese Augenblicke liebe ich.«, flüstert Katniss in die Stille hinein und gibt ein leises Seufzen von sich.
»Ja?«, frage ich und verschränke unsere Hände ineinander.
»Hmm.«, murmelt sie und schließt ihre Augen. »Zusammen mit dir. Alleine. Alles Schreckliche auf dieser Welt scheint für einen kurzen Moment vergessen zu sein.«

Gedankenverloren sehe ich aus der Fensterscheibe, kleine Regentropfen prasseln gegen das beschlagene Glas.
Vier Tage sind mittlerweile seit Gale's Ankunft vergangen und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.
In zwei Tagen ist Weihnachten.
Das Fest der Liebe und der Zweisamkeit, zusammen mit der Familie und den Menschen die wir lieben, die uns etwas bedeuten und die wir keineswegs verlieren möchten.
Es kommt mir seltsam vor, unter den jetzigen Umständen, Weihnachten zu feiern.
Anstatt Heiterkeit empfinde ich eine tiefe Trauer, nicht vergessen die Angst, die mich ständig verfolgt.
Ganz Panem ist in Schweigen verfallen, niemand denkt jetzt an Frohsinn oder Heiterkeit.
Wie Verurteilte, die auf ihr Unheil warten.

»Ich möchte es wissen, Peeta.«
Verwirrt wende ich mich von dem Fenster ab und blicke zu Katniss, die mich entschlossen ansieht.
»Was möchtest du wissen?« Stirnrunzelnd sehe ich sie an.
»Ich möchte ... ich ... ich bin bereit dazu es zu erfahren. Ob ich tatsächlich ... schwanger bin.« Sie stockt, als würde es ihr schwer fallen das Wort 'schwanger' auszusprechen.
Ohne das ich es beabsichtigt habe, schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen.
Ein glückliches Lächeln.
»Heißt dass wir können einen Arzt anrufen?«
Sie nickt, ein wenig unsicher, aber dennoch entschlossen.
»Ja, ich kann mich vor der Wahrheit nicht verstecken.«

Glücklich drücke ich meine Lippen auf ihre und schmecke ihren eigenen, süßlichen, aber dennoch vertrauten Geschmack.
»Können wir«, sie löst sich sanft von mir und richtet sich auf. »heute noch zu einem Arzt gehen?«
»Woher kommt diese plötzliche Ungeduld?«, schmunzele ich.
Doch in meinem Inneren spüre ich eine innige und tiefe Freude.
Und ich weiß nicht einmal genau woher sie kommt.
»Ich weiß es selbst nicht.«, gibt sie leise zu, die Lippen nachdenklich aufeinander gepresst.

Ich mustere sie, beobachte ihre Hand, die langsam über ihren Bauch wandert und ihn sanft streichelt. Ihre Augen sind auf etwas in der Ferne gerichtet, als wäre sie seelisch gar nicht anwesend und tief in das Dickicht ihrer Gedanken versunken.
Das Lächeln auf meinen Lippen verschwindet nicht, im Gegenteil. Ich genieße diesen Moment.
Er scheint so friedlich im Gegensatz zu den Gedanken, die mich manchmal plagen.
Meine Ängste. Meine Schwächen.
All dies rückt in den Hintergrund.
Zumindest für diesen Augenblick.

»Sollen wir einen Spaziergang machen?«, frage ich und reiße Katniss somit aus ihren Gedanken.
Sie blinzelt ein paar Mal, nickt und greift nach meiner Hand.
»Gerne.«
Glücklich stehe ich auf, ziehe sie sanft hinter mir her und schlüpfe in meine Jacke.
Während wir uns anziehen, lächelt sie.
Und es ist das erste Mal seit langem, dass ihre Augen wieder dabei strahlen.
Sie wirkt glücklich. Glücklicher als zuvor.
Und ich frage mich, ob sie ihre Angst abgelegt hat.
Ob die Hoffnung, sei es auch nur ein klitzekleiner Funken, bestehen bleibt.
Ob sie ihre Entscheidung womöglich geändert hat und der Gedanke gar nicht mehr so abwegig für sie ist, schwanger zu sein.

Ich weiß es nicht. Im Grunde genommen wird ein Teil ihrer Gedanken und ihrer Gefühle immer ein Rätsel für mich bleiben, auch wenn ich mittlerweile geübt darin bin sie zu durchschauen.
In diesem Moment bleibt mir nichts anderes übrig als zu hoffen.
Hoffen, dass sie vielleicht doch schwanger ist.
Hoffen, dass sie sich eines Tages, sei es auch in ferner Zukunft, dazu entscheidet, doch Kinder zu haben.
Hoffen, dass wir alle wieder glücklich werden und das Leid für immer ein Ende nimmt.
Hoffen, dass endlich wieder Frieden in Panem einkehrt und wir unser altes Leben wieder neu anfangen können, als wäre die Vergangenheit bloß ein kleiner Teil von uns.

AlwaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt