Zauber der Mimik

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Liv führt mich in die Kapelle des Krankenhauses. Ein kleiner dunkler Raum mit einigen Kreuzen an den Wänden. „Hier ist nie jemand", flüstert sie, als wären wir in einer Bibliothek. Oder muss man in der Kapelle auch leise sein? Es ist schon länger her, als ich das letzte Mal ein Haus des Herren betreten habe. Noch immer ist meine Hand in Livs. Sie zieht mich hinter sich her, bis zum kleinen Flügel am Ende des Raumes.

Sie deutet auf den Hocker mit einem roten abgesessen Bezug und wir lassen uns nieder. Vor uns sind etwa drei Reihen, perfekt aufgestellte Stühle. „Du singst ganz gut", sagt sie leise und erst jetzt lässt sie meine Hand los.

Sofort merke ich, dass etwas fehlt und ich fasse mir an die Hand, in der bis gerade Liv ihre war. Wie ein Phantomschmerz fühlt es sich an.

Ich schaue sie verlegen an und weiß nicht was ich antworten soll. Ich bekomme kein Wort raus, so aufgeregt bin ich. Auch meine Hände zittern ein wenig.

Wie vor einem ersten Date. Obwohl ich weiß, dass es hier kein Date ist. Ich nicke nur stumm. „Es ist schwer dein Gefühle zu deuten", sagt sie. Weil ich nicht antworte, sondern sie nur still anglotze, redet sie weiter:" Ich kann Gefühle nicht so gut deuten. Du ziehst deine Augenbrauen hoch, als würdest du mir aufmerksam zu hören. Im gleichen Augenblick gehen deine Mundwinkel in die Höhe und kurz danach bilden sich Grübchen". Sie fährt mit den Fingern über meine Haut und drückt leicht dort, wo ich die Grübchen vermute. Wieder durchfährt mich ein warmes Gefühl.„Aber deine Nase passt nicht dazu!". Ich fasse mir schnell an die Nase. „Was ist mit ihr nicht richtig?". Ich weiß sie ist vielleicht etwas groß, aber sonst doch in Ordnung, oder? Sie hat ihre warmen weichen Hände wieder in den Schoß gelegt und antwortet fast emotionslos:" Gar nichts. Sie ist perfekt. Aber die Nasenlöcher bewegen sich und öffnen sich weit, als wärst du sauer". Sie senkt den Kopf. Ich habe gelesen, dass Betroffene des Asberger- Autismus, Emotionen im Gesicht nicht richtig deuten können. Sie achten oft nur auf ein Hinweis gebendes Detail, zum Beispiel den Mundwinkeln. Anstatt wie alle anderen Menschen, sehen sie jedes Detail Einzeln.
Und da die meisten Bewegungen bei der Mimik gleichzeitig ablaufen, ist es selbst für Trainierte schwer, sie einzuordnen. Und oft ist nicht nur eins ausschlaggebend, sondern alle zusammen ergeben die Emotion. Runter gezogene Augenbrauen können zum Beispiel Wut ausdrücken, aber auch Traurigkeit. Erst die Mundwinkel ergeben die komplette Mimik. In der Zeit, wo Liv auf meine Augenbrauen achtet und die analysiert, bewegen sich meine Mundwinkel synchron. Eine ziemlich verwirrende Angelegenheit, denke ich mir.

Was meine Nasenlöcher damit jedoch zutun haben, bleibt mir rätselhaft. „Ich bin alles andere als sauer, Liv". Sie schaut mich an, jedoch habe ich wieder das Gefühl, als blicke sie an mir vorbei. „Kannst du spielen?", ich deute auf den schwarzen Flügel und warte auf ihre Reaktion.

Ihre zarten Hände betätigen einige;Tasten und sofort erkenne ich die Melodie. „Critical", ein Lied aus unserem letzten Album. Es ist wie fast jedes andere von uns, ein Liebeslied. Es geht um einen Jungen der zu cool ist, seinem Traummädchen zu sagen, was er wirklich für sie fühlt. Sie wartet lange auf ihn, aber irgendwann ist die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen. Erst als er spürt, das sein Herzmädchen weg ist, vermisst er sie und will ihr seine Liebe gestehen. Aber es ist zu spät. Sie ist weg. Für immer.

Gleichzeitig beginnen wir den ersten Part zu singen. Dabei schaut sie ganz konzentriert vor sich hin.

Ich kann nicht anders und starre sie die ganze Zeit an. Ihre Stimme klingt in meinen Ohren wie die Harmonien von Meerjungfrauen in Filmen. Obwohl sie einige Töne nicht ganz trifft, bekomme ich eine Gänsehaut und möchte sie einfach nur berühren. Am Ende des Liedes, ich starre sie noch immer an, greift meine Hand nach ihre. Sie zuckt kurz zusammen und ich denke, sie springt auf und rennt weg. Langsam fahre ich mit meinem Daumen über ihre Finger und lächle sie an. Bemüht, meine Nasenlöcher nicht zu bewegen. Soweit man so etwas beeinflussen kann.

„Ich habe das noch nie gemacht", flüstert sie leise. Sie sitzt total versteift neben mir, den Blick auf die Tasten gerichtet. „Dafür singst und spielst du perfekt".
Wieder lächle ich sie an. Am liebsten würde ich sie jetzt küssen.
Aber ich denke, dann würde sie erst recht weg rennen.

„Ich meine jemanden richtig berühren", sie schaut erst in mein Gesicht und dann glücklich, so scheint es mir, auf unsere Hände. „Wenn ich jemanden berühre, durchfährt mich ein Schlag, der sich wie ein Stromschlag anfühlt".
Ich verstehe. Daher schaut sie immer so verletzt, als hätte jemand sie geschlagen, wenn man sie nur leicht berührt. Ich antworte nicht, sondern versinke in ihren grünen Augen. Sie glänzen und strahlen mehr, als die von Findra. Verdammt Nick, denk jetzt nicht an Findra.

„Bei dir war es eben irgendwie anders", flüstert sie wieder. Ich nicke wissend. Was soll ich bloß sagen? Das ist ein gutes Zeichen oder? „Du zeigst keine Reaktion. Laut meinem Psychologen schläfst du mit offenen Augen, bist erstarrt oder du träumst vor dir hin. Obwohl, alles irgendwie auf das selbe hinausläuft". Es scheint, als wäre heute ein Tag voller erster Male. Zuerst schaut sie mir zum ersten Mal tief in die Augen, dann kann ich sie zum ersten Mal berühren ohne das sie weg rennt, dann singt sie mit mir und zu aller Letzt, war das gerade glaube ich ein Versuch witzig zu sein. Noch immer wartet sie sehnsüchtig auf eine Reaktion. Ich lächle vorsichtig, woraufhin sie es erwidert. "Danke", flüstert sie und steht auf. Ich möchte sie am Arm greifen, sie zu mir ziehen und ihr über den gesamten Körper streicheln. Ihr zarter Körper zieht mich schamlos an und ich wilm mich direkt auf sie schmeißen, würde nicht immer noch die Chance bestehen, dass sie panisch weg rennt. „Ich habe zu Danken", sage ich fast schon schüchtern. Als würde ich jemand fremdes für Essen bedanken. Sie dreht sich fragend um. „Für die ganzen ersten Male", antworte ich. Sie nickt und dreht sich mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht um. „Jetzt weiß ich warum du Liv also das Leben heißt. Du schenkst anderen ein Leben". Sie dreht sich um und läuft zügig aber emotionslos zu mir. Das war zu kitschig Nick. Schreib einen Song darüber oder eine Poesie, wie die von Liv, aus ihrem Notizbuch. Aber sag nie wieder so etwas, zu einem Mädchen, das du erst seit einigen Wochen kennst, meldet sich mein Gewissen.

Liv aber scheint es nicht zu stören und plötzlich geht alles so schnell. Sie umarmt mich und ich drücke ihren schmalen Körper an meinen. Ich merke kein zusammenzucken. Wie gern würde ich sie küssen. Sie legt ihren Kopf in den Nacken und ich frage mich, ob sie bei diesen leichten und geübten Bewegungen, nicht doch schon Erfahrung damit hat.

Zumindest komme ich mir ziemlich idiotisch vor, wie ich ihr braunes Haar durch meine Finger gleiten lasse und sie wie ein Armleuchter anlächle.

„Dissimulieren sie hier gerade eine Liebesgeschichte?", höre ich hinter uns eine belustigte Stimme und wir schauen entsetzt hoch. Liv hüpft erschrocken nach hinten und fällt beinahe.

Im Eingang steht Nicole- nicht Kidman und überkreuzt amüsiert die Arme vor der Brust.

„Ach Kinder. Ich finde das fulminant!". Sie legt den Kopf schief und kommt fröhlich auf uns zu. „Eine Liebesgeschichte bei uns im Krankenhaus". Ist ja nicht so, das wir uns nur umarmt haben.

Liv flüchtet wortlos aus dem Raum, dabei hält sie ihre Arme um die Brust, als wäre ihr kalt. Ich möchte ihr hinterher laufen, aber Nicole hebt die Hand. „Lass sie", sagt sie. „Dein Vater ist auch da. Er redet von einem Song, den sie fertig haben wollen. Ich wollte sie persönlich holen, vielleicht brauchen sie jemanden, der den Song vorab einmal neutral bewertet". Sie greift einmal um die Ecke und hebt die alte, noch immer verstimmte Gitarre hoch und grinst.

Das kann doch wohl nicht wahr sein, diese Frau hat gerade mein weiteres erstes Mal mit Liv vermasselt.
Ich schüttle den Kopf und dränge mich an ihr vorbei. „Die Gitarre ist total verstimmt und nicht mehr zu retten", sage ich energisch.
„Ich werde eine neue besorgen, Superstar", lacht sie, als wäre es alles ein Spaß.

Hätte ich allerdings  gewusst, dass diese Freundschaft oder auch Beziehung sich einer sehr großen Herausforderung stellen muss, wäre ich ihr nicht hinter her gelaufen...

Be different (Nick JONAS) *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt