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Ich wurde wie ein Hund an die Leine genommen und durch ein paar Seitenstraßen bis zu einem öffentlichen Platz geschleift, an dem ich die Guillotine vor mir stehen sah. Sofort schoss mir das Adrenalin durch den Körper und ich spielte eine Millisekunde mit dem Gedanken, einfach wegzulaufen, vielleicht würden sie mich nicht kriegen, doch ich verwarf ihn sofort wieder. Das würde nicht funktionieren, jede einzelne Person hier war gegen mich und würde alles dafür tun, dass ich endlich hingerichtet werden würde und wenn ich mich wehren würde, hatte sie mir ja angedroht, dass sie Jojen etwas antun würde, wie schon, als ich mich von Winter in meinen Körper verwandeln musste. Als ich meinen Kopf zu Boden gesenkt hatte, wurde er mir wieder nach oben gezogen, ich musste wohl sehen, was auf mich zukam, denn sonst würden es diesen Sadistenschweinen wohl nicht genug Spaß machen. Ich sah etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ und ich noch größere Angst bekam, als ich vorher noch hatte. Sie hatten ein paar Meter von der Guillotine entfernt etwas cremefarbiges, flauschiges auf den Boden gelegt, dass nichts anderes als Winter sein konnte. Ich konnte nicht schreien, ich riss zwar meinen Mund auf und spürte den Schrei, wie er in meiner Kehle steckte, doch er kaum einfach nichts heraus. Lediglich ein leises Wimmern gab ich von mir, vermischt von einem Schniefen wie bei einer Dreijährigen. Meine Beine drohten, unter mir nachzugaben, ich stolperte die nächsten Meter nur noch, dann landete ich schließlich vor Winter auf dem Boden und hatte gerade noch kurz Zeit, meinen Kopf für eine Sekunde in ihrem Fell zu vergraben. Dann wurde ich schon wieder brutal nach hinten gerissen und mein Kopf in Position gebracht, sodass ich Winter ansehen musste, ebenfalls wie ein Mann, der gerade auf sie zuschritt und sie gewaltsam an ihrer Leine neben sich zog. Nein! Er sollte sie in Frieden lassen, wenn sie schon mich hinrichten mussten, dann sollten sie wenigstens Winter in Ruhe lassen, sie hatte niemandem etwas angetan. „Nein, nein, nein. Bitte, ich flehe Sie an! Sie ist ein harmloses Tier, das niemandem etwas getan hat. Lassen Sie sie bitte in Ruhe, ich flehe Sie an. Sie hat noch nie einer Fliege etwas zuleide getan!" Der Mann grinste mich an, dabei kamen seine dreckigen Zähne, die schon sehr viele Löcher hatten, zum Vorschein. Er stank fürchterlich aus dem Mund, wie ich gerade mit Entsetzen feststellen musste. „Da hast du recht, kleines Mädchen, allerdings hat dein Schattenwolf eine Eigenschaft, die uns einen Grund liefert, sie zu töten. Denn, wenn wir sie am Leben lassen würden, wer würde mir dann versichern, dass dein hübscher kleiner Geist nicht einfach wieder in sie schlüpft und wir dann nur die leere Hülle eines Menschen töten? Niemand, und da wir dieses Risiko nicht eingehen können, muss sie aus dem Weg geschafft werden wie auch jedes weitere Tier in der Gegend, zu dem du schon mal eine Bezieung hättest aufbauen können oder in Kontakt getreten hättest sein können. Wir machen keine Fehler!" Er grinste weiter dreckig, während er ein großes, verrostetes Messer aus seiner Tasche holte und ihr an die Kehle hielt. Er zögert keien weitere Sekunde, ich hatte keine Zeit, mich in meinen Gedanken noch einmal von ihr zu verabschieden, als er die Klinge auch schon an ihre Kehl absetzte, Druck ausübte und sie längs über ihr Fell zog. Ich riss meinen Kopf schnell nach unten, als der erste Schwall Blut aus ihrer Kehle lief und sie für eine Millisekunde so kläglich zu jaulen anfing, wie ich es mir nie hätte erträumen können. Mein Kopf wurde wieder brutal nach oben gerissen, dass ich mir das alles mit ansehen musste. Ich konnte das nicht, es war das Grausamste, was mir auch nur widerfahren konnte, es war, als würde man mich schon genau in diesem Moment selbst umbringen, mein Herz schien zu platzen, es war, als schnitt mir jemand mitten hindurch und rammte dazu noch die Spitze mehrmals hintereinander mitten hinein. Tränen liefen mir wie Sturzbäche die Wange hinunter, während ich nun zur Guillotine geschleift wurde. Sie hatten meinen Schattenwolf vor meinen Augen umgebracht, einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken. Jojen hatte das zum Glück nicht miterleben müssen, ihm hatten sie nicht erlaubt, hier anwesend zu sein, was das Einzig positive war. Er konnte und durfte meien Hinrichtung nicht sehen. Ich könnte das nicht ertragen, wenn er das sehen müsste. Ich starb schon fast vor Angst und Trauer, dass ich ihn nie wieder sehen könnte. Ich hatte genau sein Gesicht vor Augen, ich roch seinen Duft, sah seine perfekten Körper, wie er aus einiger Entfernung auf mich zugerannt kam, mich in seine Arme schloss, mich hochhob, durch die Luft wirbelte und seine Lippen mit meinen versiegelte. Es war der schönste Gedanke, den es für mich auf der Welt gab, mein größter Wunsch, dass ich sowas mal erleben dürfte, das wünschte ich mir, seit ich mich damals in ihn verliebt hatte. Wir hatten so viele Pläne für die Zukunft gemacht, doch nun mussten sie alle ohne mich in Erfüllung gehen. Er musste alle weiteren Schritte seines Lebens ohne mich gehen, ohne mir in die Augen sehen zu können. Ohne mir von seinem Tag erzählen zu können, abends neben mir einschlafen zu können, eng an mich gekuschelt, sodass kein Blatt zwischen uns passen würde und mit dem Gedanken an mich und einem Lächeln auf den Lippen einschlafen könnte, ohne Angst haben zu müssen, dass ich morgens nicht mehr da sein könnte, denn ich wäre es. Ich hätte ihn niemals verlassen, wir hätten immer, tagtäglich, minütlich, jede Sekunde unsere Liebe gespürt, sie hätte uns durch unser Leben begleitet. Er war meine erste Liebe gewesen, die Liebe meines Lebens und niemand hätte mir eine schönere Zeit meines Lebens bescheren können als er. Ich bereute nicht, außer der Tatsache, dass ich ihn in der ersten Sekunde, als ich ihn das erste Mal sah, nicht sofort geküsst habe. Er hatte mir eine unvergessliche Zeit meines Lebens geschenkt, bedingunglose Liebe, wie man sie sich noch nicht einmal hätte erträumen können. Seine Lippen waren das letzte, an das ich dachte, als mein Kopf nach unten gedrückt und positioniert wurde. Das Metall wurde nach oben gezogen. Ich blickte noch einmal zu all den Menschen. Jojen war unter ihnen, er hatte sich durch sie gekämpft, obwohl ihm das verboten war. „Lealy!", schrie er und boxte sich durch die Menschenmasse, als das Metall über mir ein leises Klicken von sich gab. Ich schloss meine Augen, ein letztes Mal ...

Ich werde über dich wachen, Jojen ...

Fremde Augen (Game of Thrones/ Jojen Reed)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt