19

494 36 0
                                    

Ich huschte in so viele Seitenstraßen wie möglich, die so eng waren, dass ich beinahe Klaustrophobie erlitt, doch ich hatte keine andere Möglichkeit, wenn ich nicht zerfleischt werden würde. Nun musste ich es nur irgendwie schaffen, zu Jojen zu kommen, da ich gerade einen ziemlichen Umweg lief. Wieso musste Winter denn gerade jetzt so verspielt sein, dass sie mir unaufhörlich hinterherrannte? Sie war doch sonst auch nicht so besessen?! Mir fingen meine Pfoten mit der Zeit richtig an, wehzutun, so schnell rannte ich und mein Herz raste auch unheimlich schnell. Lange würde ich das echt nicht mehr aushalten. Doch was sollte ich denn nur tun? Ich konnte ja schlecht stehenbleiben! Ich zwängte meinen kleinen Körper nun einfach in die nächste Gasse und quetschte mich da hindurch, egal, was für eine Angst ich hatte, ich musste es tun. Nun schlüpfte ich durch ein Loch in der Wand in das nächstbeste Gebäude und ließ mich dort erst einmal für einige Sekunden auf dem Boden nieder, um wieder zu Luft zu kommen. Mein kleines Herz raste wie eine Maschine, während ich mich darauf zu konzentrieren versuchte, von wo der Krankheitsgeruch kam. Denn dort erwartete ich die ganzen Kranken, inklusive Jojen. Wenn er dort nicht war, wusste ich auch nicht weiter und dann müsste ich mich wohl damit abgeben, den Rest meines Lebens eine Ratte zu sein! Doch das durfte nicht geschehen! Strenge dich gefälligst an, Lealy! Ich schnüffelte und schnüffelte, konnte allerdings nur einen leichten Geruch von Verwesung und Krankheit ausmachen. Doch dieser musste es sein. Zielsicher folgte ich meiner Spur, immer weiter durch die dunklen Häuser, dem immer stärker werdenden Geruch nach. Nach einigen Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, hatte ich endlich mein Ziel erreicht. Hier in diesem großen Haus lagen überall Kranke und Verwundete, zusammengepfercht wie die Pferde im Stall. Keiner bewegte sich oder sprach auch nur ein Wort. Wie sollte ich hier denn nur Jojen ausmachen? Das war eine schiere Sache der Unmöglichkeit. Langsam setzte ich eine Pfote vor die andere und kletterte an den niedrigen Feldbetten hoch, um zu sehen, wer auf ihnen lag. Kein Jojen! Wo war er nur? Ich bekam schreckliche Angst um ihn. Was war, wenn er nicht mehr am Leben war und sie seine Leiche schon entsorgt hatten? Doch Lea hatte mir vor wenigen Stunden noch gesagt, dass er am Leben war, deshalb konnte das doch gar nicht möglich sein oder? Ich war am Verzweifeln, erfüllt von der panischen Angst um die Liebe meines Lebens. Ich wollte zu ihm, in meine Arme schließen und meine Lippen auf seine legen. Mein Herz war schwer wie ein Stück Blei und das hatte bei dem kleinen Herz einer Ratte schon etwas zu sagen. Immer noch kein Jojen- und ich hatte schon fast die gesamte Halle abgeklappert. Meine Pfoten rutschten auf dem Steinboden aus, sodass ich mit meinem Körper auf dem Boden aufschlug. Ein Stich voller Schmerz fuhr mir in die Seite, sodass ich nur noch taumelnd vorankam. Was ging an mir noch alles kaputt, bis ich Jojen endlich erreicht hatte? Das war doch nicht mehr normal. Diese Ratte brachte mir auf jeden Fall nur Unglück, deswegen musste ich hoffen, dass alles, was bei mir schief gelaufen war, wenigstens bei ihm gut laufen würde. Jojen, er tat mir so leid? Welche Albträume musste er denn nur haben? Er hatte sicherlich auch töten müssen, was ihn total mitnahm und jetzt auch noch ängstlich und verletzt im Bett zu liegen, machte es sicherlich auch nicht besser. Schluckend schleppte ich mich mit meiner letzten Kraft durch die letzten Reihen. Und tatsächlich- ich hatte doch einmal Glück! Ich erblickte Jojen auf einer Liege und bei seinem Anblick kippte ich fast um. Er sah völlig mitgenommen aus, als würde an der Schwelle des Todes stehen. Meine Angst um ihn stieg von einer Sekunde auf die andere ins Unermessliche. Wie als hätte ich gerade noch etwas in der Hand gehabt, ein Heilmittel, das ich so sicher geglaubt hatte und man hätte es mir einfach entwendet, sodass ich jetzt der Realität ins Auge blicken musste. Er war stark verletzt, der provisorische Verband, der um ihn gewickelt wurde, half auch nicht wirklich. Von seinem Bauch, bis über seine Hüfte zu seinem Unterleib hin, war alles voller Blut, die durch den Verband gestillt wurde. Es sah für mich aus, als hätte es sich entzündet, das konnte ich zwar nicht an der Verletzung erkennen, doch Jojen stand beinahe in seinem eigenen Schweiß. Sein Gesicht war gerötet, seine Haare klatschnass, als wäre er schwimmen gewesen. Das war Fieber und bedeutete gar nichts Gutes. Panisch erklomm ich den Anstieg, bis ich mich neben seinem Gesicht wiederfand. Es war heiß wie glühende Kohlen, er regte sich leicht bei meiner Bewegung, doch er war völlig kraftlos. Irgendetwas musste ich doch tun können, ich musste etwas schaffen, schließlich konnte ich ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Ich liebte ihn über alles auf der Welt. Jojen, bleibe bei mir, ich brauche dich. Ich brauchte ihn, ohne ihn wäre ich völlig verloren, er war ein Teil meiner Seele, ohne den ich nicht leben konnte. Mit einem Herz das schmerzte, wie wenn jemand Glassplitter hineingestochen hätte, legte ich mich an seine Seite. Ich würde über ihn wachen, damit ihm niemand etwas antun konnte. Niemand würde auch nur in seine Nähe kommen, außer die Ärzte natürlich. Ich würde mir etwas überlegen, wie ich ihm helfen könnte und wenn ich dann irgendwann wieder der Herr über meinen Körper wäre, dann müsste ich schnell reagieren. Neben mir bewegte sich auf einmal sein Kopf. „Wer ist da? Verschwinde, Stannis ... Tyrion, Cersei, sie werden ... gewinnen", stammelte er vor sich hin, während sein Blick ohne Halt durch die Gegend huschte. Ich kletterte schnell auf seine Brust und sah ihm in die Augen. „Jojen, ich bin es, Lealy. Ich bin hier bei dir!", wisperte ich, doch ich brachte wieder nur ein Fiepen zustande. Nun fixierte sich sein fiebriger Blick auf mich, er starrte mich ängstlich an, doch ich erwiderte den Blick, legte meine ganze Liebe zu ihm in den Blick und ließ mich auf seiner vor Husten rasselnden Brust nieder. Hoffentlich verstand er, dass ich es war, er musste einfach! Also entschied ich mich dazu, auf seiner Brust liegenzubleiben. So war ich wenigstens bei dem Jungen, den ich liebte. Nach einigen Stunden sah er mich wieder an, als würde er durch mich hindurchsehen. „Du verschwindest nicht wieder oder?" Als Antwort darauf kuschelte ich mich an ihn. Zumindest jagte er mich nicht weg.

Fremde Augen (Game of Thrones/ Jojen Reed)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt