Kapitel 2 - Die Ruhe vor dem Sturm

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Doch diese Ruhe blieb mir verwährt. Noch vor ein paar Sekunden trieb ich seelenruhig auf der schwarzen Welle, als mich plötzlich etwas hochzerrte. Ich wehrte mich mit allen Kräften, ich wollte hier bleiben, in dieser Ruhe. Das war mein einziger Wunsch, doch den würde man mir nicht erfüllen. Diese Kraft, zog und zerrte weiter an meinem Körper. Wo auch immer sie herkam, sie war stark, leider zu stark für mich. Also überließ ich mich dieser Kraft, ohne einen weiteren Kampf, da ich sowieso schon zu geschwächt war. 
Es kamen plötzlich Bilder auf mich zu. Ich sah eine Industriehalle, überall lagen Metallteile rum oder Holzbretter. Dort war ein Ein- und Ausgang aus welchem ich trat, völlig in schwarz gekleidet mit zwei Waffen in der Hand und einer weiteren an meinem Gürtel befestigt. Die Männer die da standen, kamen auf mich zu. Einen nach dem anderen machte ich kalt. Das Bild verschwamm, diesmal stand ich auf den Knien und zielte mit meiner Waffe auf einen Mann, der sich das Bein hielt. Ein lauter Knall ertönte, es trat Blut aus seinem Bauch. Kurz danach sank er zu Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Gerade wollte ich zum letzten Schuss ansetzten, als mir schwarz vor Augen wurde. Ich spürte weder die Schussverletzung an meinem Arm, noch den harten Aufprall mit dem kalten Betonboden. Dann war dort nichts mehr. Keine Bilder vor meinem inneren Auge, kein Schmerz. Nur diese schwarze Welle, die mich sanft hin und her wog.
Diese schwarze Welle war nicht der erlösende Tod gewesen, ich war nur bewusstlos gewesen und jetzt wollte mein Geist wieder sein Bewusstsein erlangen. Er wollte sich nicht Kampflos dem Tod stellen, also lies ich ihn. Ich bewegte mich solangsam wieder an die Oberfläche und plötzlich sah ich wieder etwas. 
Da war nicht mehr diese dunkle, schwarze, zähe Masse die mich runterzog. Es wurde schlagartig hell. Zuerst war da nur Licht, doch ich konnte nach wenigen Augenblicken einpaar Umrisse wahrnehmen. Ich versuchte mich auf die Seite zu drehen um mehr sehen zu können, doch es tat höllisch weh. Ich stöhnte laut auf, es tat so weh und dieser unerträgliche Schmerz wollte nicht weggehen. Etwas kam auf mich zu, eine schemenhafter Umriss und drückte mich wieder runter. Ich war vollkommen benommen und konnte keinen klaren Gedanken fassen, also gehorchte ich der Stimme die beruhigend auf mich einsprach. Ich versuchte wahrzunehmen, was sie sagte, doch ich vernahm nur ein tiefes Murmeln. Ich schloss die Augen, in der Hoffnung die schwarze Welle würde mich wieder überkommen, doch dem war nicht so. Ich konnte immernoch alles vernehmen, was um mich herum geschah. Ein paar minuten wartete ich ab, ehe ich meine Augen wieder öffnete.
Diesmal konnte ich alles ganz genau erkennen. Ich befand mich in einem Raum, ziemlich groß und hell. Ich sah mich um und erkannte eine sehr schicke Wohnung, vermütlich lag ich im Wohnzimmer auf der Couch. Ich sah an mir runter und erkannte das ich nur in Unterwäsche da lag. Was ist während all dieser Zeit passiert, in der ich auf dieser Welle trieb? Und was bitte mache ich hier, in dieser Wohnung, die ganz eindeutig NICHT meine ist?!
Hinter mir ertönte plötzlich eine tiefe Männerstimme: "Du solltest es lieber langsam angehen lassen, Elina." Ich erschrak und sah hinter mich. Da saß ein wirklich gutaussehender Mann mit dunkelblonden Haaren, er war verdammt groß und muskulös. Amüsiert schaute er mich an. Ich erkannte ihn von irgendwo her. Das taube Stechen in meinem Arm ignorierte ich vorerst.
Ich ließ mich nicht davon abbringen, was mich ablenkte war sein unglaublicher Körper. Er saß in Jeans auf einer Couch, ohne Shirt. Man sah seine Muskeln, die sich auf seinem gesamten Körper ausbreiteten, jedoch nicht so markant wie die Muskeln eines Bodybuilders. Ich spürte wie mein böser, abweisender Blick einem weichen und leichten Lächeln wich. Ich hörte wie er kurz auflachte, er hatte offenbar wahrgenommen wie beeindruckt ich von seinem Anblick war und es immernoch bin. Und plötzlich fiel mir auf, dass er mich mit meinem richtigen Namen, Elina, ansprach. Er dürfte nicht meinen richtigen Namen wissen! Mein offizieler Name war Scarlett, so etwas wie mein Deckname. Ich betrachtete ihn genauer und plötzlich erkannte ich wer er war. Ich versteifte mich mit einem Mal, was wieder ein taubes Stechen in meinem Arm verursachte. 
Es war mein Boss. Niklas Ivanov. Ich bewegte mich für bestimmt einpaar Minuten keinen Milimeter, so geschockt war ich. Was machte ich hier bei meinem Boss?! Ich durfte hier nicht sein, keiner aus dem Clan darf hier sein! Langsam setzte ich mich auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wie konnte das nur passieren? Und plötzlich wurde mir klar aus welchem Grund ich hier war. Ich habe den Auftrag vermasselt und wenn einer etwas nicht so hinbekommt, wie es hätte eigentlich gemacht werden sollen, dann wird derjenige beseitigt, denn bei uns regiert das Motto: 'Es gibt keine Zeugen, wenn wir keine Zeugen hinterlassen'. 
Ich war also hier, damit mein Boss mich umbrachte, mir war jedoch nie klar, dass es der Boss höchstpersönlich machen würde. Ich sah ihn für ein paar Sekunden an, sah jedoch wieder weg, weil ich es nicht auf mich brachte ihm bei den folgenden Worten direkt in die Augen zusehen: "Tun Sie, was auch immer Sie tun müssen. Ich nehme alle Fehler auf mich." Ich schämte mich so sehr, dass ich ihn noch vor einpaar Minuten so ansah, Niklas war mein Boss und diese Gedanken dürften keinem kommen, nicht mal mir, als einzige Frau im gesamten Clan. 
Ich vergrub also vor Scham wieder mein Gesicht in meinen Händen. Herr Ivanov setzte sich auf und kam auf mich zu und kniete sich vor mich. Jetzt würde er es tun. Mich umbringen. Entweder mit einer Schusswaffe oder mich einem Messer. Ich zitterte voller Angst, aber was blieb mir anderes übrig, ich sah meinen Fehler ein und würde jetzt dafür bezahlen müssen. Nebenbei fragte ich mich selbst, wie vielen vor mir das schon passiert ist... Er ist gerade mal 27 Jahre alt, also nur zwei Jahre älter als ich. Wie lange war er jetzt Boss? Neun Jahre oder so, hatte mir mal Alex gesagt. Shit!, Alex... Was würde er nur von mir denken, wenn er dies erfuhr. Dass ich einen so einfachen Auftrag vermasselte. 

Even the stars can't shine without a little bit of darknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt