Kapitel 1

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Meine Mutter und ich lebten, seit ich mich erinnern kann, alleine.

Nur wir zwei.

Kein Vater, kein Freund und kein Mitbewohner.

Meine Mutter und ich. Mehr brauchten wir nicht.

Das fand ich genau richtig. 

Wir hatten unsere kleine Wohnung am Rand der Stadt. Mit dem alten Spielplatz im Innenhof. Den lauten Nachbarn und den bellenden Hunden. Die Wände voller Spiegel, die meine Mutter von Flohmärkten mit nach Hause gebracht hatte. In jedem Zimmer mindestens zwei Pflanzen, die sie liebevoll pflegte. Klein aber fein. Genau richtig.

Ich mache mein Abitur und sie arbeitet in der Gärtnerei. Nicht die große im Einkaufszentrum, sondern die kleine in der Innenstadt. Sie mochte es dort besser, da die Kunden wie Freunde waren. Meine Mutter mochte, dass sie wusste, wie die Kunden hießen und weshalb sie nun einen Strauß brauchten. Ob es diesmal für den Geburtstag vom Enkelkind war oder der Hochzeittags. 

Wir putzten die Wohnung, kochten zusammen und sprachen über alles, was wir erlebt hatten oder einfach interessant fanden.

Zumindest hatten wir das so die letzten Jahre gemacht. Denn nun würde ich bald zu studieren anfangen. Dank meiner Bemühungen hatte ich ein Stipendium erhalten. Durfte in das Studentenwohnheim ziehen und musste nicht zahlen. Doch dafür musste ich in eine Stadt ziehen, die drei Stunden entfernt ist.

Zuerst hatte Mum geplant, mit mir umzuziehen, doch sie konnte es sich nicht leisten.
Den Job aufzugeben und die Umzugskosten. Das wäre einfach zu unsicher. Ich verstand das. 

Dennoch war das schlimm für uns, da sie meine beste Freundin und Mutter zugleich war. Ein Leben ohne sie war mir einfach unvorstellbar. Sie hatte mich jung bekommen. Alleine in einer neuen Stadt. Hatte mir all ihre Zeit geschenkt und nun mussten wir uns trennen. Natürlich nicht für immer, aber dennoch lang genug, dass die ganze Angelegenheit schmerzhaft werden würde.

Doch hätte ich geahnt, dass dies nicht das schlimmste war, was uns widerfahren könnte, hätte ich mich darüber gefreut. Und zwar gewaltig. Schließlich hatte ich ein Ticket und konnte immer nach Hause fahren. Drei Stunden waren nicht lange.

Mein Leben veränderte sich zum Beginn des Sommers. Meine Mutter und ich hatten uns noch recht lange unterhalten. Sie erzählte mir von ihren Kunden. Ich kann mich einfach nicht erinnern, welche. So sehr ich mich auch bemühte. Dann gähnte sie immer häufiger, gab mir einen Kuss und wünschte mir eine gute Nacht. Ich blieb noch im Wohnzimmer und lass ein Buch.

Gegen Mitternacht wurden auch meine Augen immer schwerer. Ich wusch unsere Weinglässer ab und beschloss ins Bett zu gehen.

Erschöpft legte ich mich in mein Bett und hoffte, dass ich trotz offenen Fenstern und T-Shirt nicht über Nacht eingehen würde. Es war schon erschreckend warm für diese Zeit gewesen.

Irgendwann schlief ich dann ein. Es war ein traumloser Schlaf. Weshalb ich sofort aufwachte. Ich weiß nicht mehr, was mich zuerst weckte: Der Knall oder meine Mutter.

Verwirrt öffnete ich meine Augen und sah meine Mutter, wie sie im Nachthemd vor mir stand. Draußen war es noch dunkle. Wieso hatte sie mich also aufgweckt? Noch verschalfen, versuchte ich aus der Situation schlau zu werden. Ihre Augen hielten mich jedoch davon ab, eine Frage zu stellen. Ließ meine Zunge unangenehm schwer werden. Denn sie waren voller Furcht. 

Dann hörte ich Männerstimmen.

"Wo ist sie?", bellte jemand wütend.

Ich wurde von meiner Mutter aus dem Bett gezerrt. Trotz ihres recht dünnen Körper, hatte ihr Griff etwas Bestimmtes. Eine Stimme in meinem Kopf riet mir, nicht zu fragen. Sondern einfach zu folgen.  

Fight Me, Baby || G-DragonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt