1001 Briefe

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Lieber Alexandr,

Hier schicke ich dir erneut einen Brief. So wie ich dir schon so oft Briefe geschrieben habe. Ich erwarte wie immer keine Antwort von dir. Ich kann mir schon vorstellen, wie sehr du mich hasst. Meine Ideen, was ich dir schreiben könnte sind begrenzt. Jedes Mal schreibe ich dir das Gleiche und erzähle dir über mein Leben. Deine Geschwister werden größer. Andrew kommt jetzt schon in die Schule. Und Tom ist jetzt bald in der Abschlussklasse. Mein Restaurant läuft auch mehr als gut. Ich habe mir eine neue Köchin geholt. Sie macht ihre Arbeit gut und ich kann mich nun endlich mehr um meine Familie kümmern. Falls du Lust hast, kannst du gerne einmal zu Besuch kommen. Ich habe immer ein Zimmer für dich frei. Hat dir das Bild von uns gefallen? Ich habe dir wieder ein aktuelles Familienfoto beigefügt. Wie du siehst, ist Andrew ganz schön gewachsen. Wie oft er neue Klamotten braucht ist einfach unglaublich. Es wäre schön, wenn ich ein Foto von dir bekommen könnte. Auf dem Kamin ist noch ein Platz frei, der seit Jahren darauf wartet, dass du ihn einnimmst. Ich hoffe, dass du Englisch lesen kannst. Vielleicht schreibst du mir deshalb auch nicht zurück? Ich stelle mir dich manchmal in meinen Träumen vor. Ich frage mich, ob du die gleichen blauen Augen wie ich hast. Oder ob du die deines Vaters hast. Es wäre wirklich schön, wenn wir uns treffen könnten. Ich muss dir so viel erklären, aber in den Briefen trau ich mich das nie. Ich liebe dich doch so sehr. Du bist mein Sohn. Auch wenn du mir nie schreibst. Was gibt es bei dir neues? Hast du eine Freundin? Wie läuft es in der Schule? Hast du Hobbys? Ich habe so viele Fragen an dich. Vielleicht kannst du mir sie irgendwann beantworten. Ich komme auch gerne dich besuchen, wenn dir das lieber ist. Ich würde für dich bis an das Ende der Welt reisen. Du musst es mir nur sagen. Aber anscheinend hast du kein Interesse daran. Bitte antworte mir mein Schatz. Ich weiß noch, als ich dich das erste Mal in den Armen hielt. Ich weiß, dass ich für dich hätte da sein müssen. Es tut mir so leid Alexandr. Ich weiß, dass es mit einer Entschuldigung nicht getan ist, deswegen werde ich einfach immer wieder schreiben und dir von meinem Leben berichten.

Letztens habe ich ein neues Rezept ausprobiert. Es hießt Kirschschnitzel nach Amsterdamer Art. Man brät normal sein Fleisch und macht eine Rotweinsoße. Aber in die Rotweinsoße schüttet man abgetropfte Sauerkirschen mit hinein und lässt es kochen. Einige meiner Gäste fanden das Essen sehr lecker. Andrew hingegen schüttelte nur den Kopf. Genauso Tom. Da sieht man mal wie verschieden Geschmäcker sind. Hast du irgendein Lieblingsessen? Ich bin ein großer Pastafan. Aber ich mag auch vieles andere. Ich habe eigentlich kein Lieblingsessen direkt. Ich esse gerne süße Sachen. Torten und Eis, Kuchen und Pralinen. Einfach alles was süß ist. Wie ist das bei dir? 

Langsam gehen meine Ideen aus. Ich will ja auch nicht nur über mich schreiben. Aber was habe ich schon für eine Wahl? 

Mein lieber Alexandr, ich bitte dich mir zu schreiben. Ich freue mich über jede Antwort, auch wenn sie negativ ausfällt. So weiß ich wenigstens, dass du meine Briefe erhalten hast. Gib mir bitte eine Chance. Gib uns eine Chance. Schreib mir bitte zurück mein Schatz.

Ich freue mich von dir zu hören.

Deine dich liebende Mutter

Felicity stand an ihrem Küchenfenster ihres Hauses in Los Angeles. Ihr Mann Jim kommt bald mit den Kindern Heim und eigentlich sollte sie sich langsam um das Essen kümmern, doch sie war mit ihren Gedanken wieder einmal ganz woanders.
„Maaaaaaaaaammmmm!“
Ihr jüngstes Kind, Andrew - gerade mal 6 Jahre -, kam auf sie zu gerannt. Von hinten umarmte sie ihr Mann und flüsterte in ihr Ohr :
„Hey Baby. Wo bist du wieder mit deinen Gedanken? Bei Alexandr, stimmt's?“
„Ja. Ich kann nicht aufhören an ihn zu denken. Ich will doch nur zu meinem Sohn. Was tut er gerade? Wie geht es ihm? Ich begreife nicht, warum er einfach keinen Kontakt mit mir haben möchte. Warum er nicht auf einen einzigen Brief antwortet. Ich will ihn doch einfach nur kennenlernen. Ich will doch nur meinen Sohn in die Arme schließen.“
„Ich weiß. Aber Feli mein Schatz, ich habe eine Überraschung für dich.“
„Was für eine Überraschung?“
Jim holte den Brief hervor, den her hinter seinem Rücken versteckt hat. Felis Augen strahlen und sie reißt Jim den Brief aus der Hand. Nervös öffnet sie ihn.

Hallo Felicity,

Im Moment bin ich noch etwas sprachlos, habe ich doch keinen deiner Briefe bekommen. Ich dachte die ganzen Jahre über, dass ich dir vollkommen egal sei. Doch jetzt weiß ich, dass es dich gibt und ich freue mich sehr darüber. Das Foto ist sehr schön. Und danke, dass du hinten die Namen von euch drauf geschrieben hast. Ihr seid eine ganz schön große Familie. Aber dein Mann Jim sieht sehr sehr nett aus. 

Freut sich Andrew denn schon auf die Schule? 

Und wie du siehst, kann ich sehr gut Englisch lesen und auch schreiben. Das lernt man doch in der heutigen Zeit Felicity. Du besitzt ein Restaurant? Das ist großartig. Dein Essen klingt ziemlich außergewöhnlich. Aber ich hätte es sicher probiert.

Leider kann ich dir deine Fragen jetzt nicht beantworten. Meine Zeit ist im Moment ein wenig knapp. Ich muss für die Schule lernen und dann auch noch meinem Vater helfen und zwischendurch kommt auch noch meine Freundin vorbei (ich habe dir indirekt gerade eine Frage beantwortet. Wie du siehst habe ich eine Freundin. Sie heißt Lana). 

Ich würde es eh schöner finden, wenn wir das ganze hier einmal persönlich besprechen könnten. Und ich würde mich freuen, wenn du mich in Rasdory besuchen könntest, sobald du kannst. Ich werde im Moment nicht verreisen, also bin ich immer da. 

Ich freue mich wirklich dich kennenzulernen.

Liebe Grüße

Alex

„Jim1 Er will mich kennenlernen. Alex sagt, ich soll ihn besuchen kommen. Mein Sohn will mich wirklich kennenlernen!“
„Das ist großartig Feli! Ich freue mich für dich mein Schatz!“
„Wann brechen wir auf?“

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