Untersuchung

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Dr. Stratowsky betrat das Krankenzimmer, dicht gefolgt von einer Schwester:

„Nun Alex! Wie geht es ihnen?“

Alex setzte sich in seinem Bett auf und sah den Arzt an:

„Naja, ich fühle mich etwas schwach und in meinem Kopf dreht sich alles.“

Die Schwester ging um Alex's Bett und kontrollierte, ob der Tropf stark genug eingestellt war und ob alle Werte ihre Richtigkeit haben. Dr. Stratowsky notierte sich etwas auf seinem Krankenblatt:

„Können sie mir erklären, wie die Prellungen an ihrem Körper entstanden sind?

Alex fing an zu stammeln:

„Ähm naja, ich..ähm...ich bin die Treppe heruntergestürzt.“

„Achso, die Treppe heruntergestürzt? Und das soll ich ihnen glauben? Ihr ganzer Körper weist Blutergüsse auf und die sind nicht alle neu. Alex, seien sie bitte ehrlich. Schlägt ihr Vater sie?“

Wütend sah Alex den Arzt an. Er durfte nicht erfahren, was bei ihm Zuhause passiert:

„Wie kommen sie den auf diese Idee? Das ist doch völlig absurd!“

„Ach ja? Ok Alex. Mensch, was würdest du denken, wenn ein Kind mit zahlreichen Blutergüssen ins Krankenhaus kommt, weil es sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Meines Erachtens ist hier etwas nicht in Ordnung. Sonst hättest du das nicht gemacht! Also rede mit mir Junge!“

Alex blickte stumm in die Augen des Arztes. Seine Stimme klang dünn:

„Er schlägt mich nicht. Wirklich nicht. Ich mache Kampfsport, dass ist alles! Wirklich!“

„Ok, belassen wir es erst mal dabei. Wenn du nichts sagen willst, dann kann ich auch nichts machen. Nur eins sag ich dir, bei dem Verdacht auf häusliche Gewalt, muss ich das Jugendamt einschalten und dieser Verdacht besteht hier nun einmal.“

„Bitte tun sie das nicht. Es ist alles in bester Ordnung.“

Tränen stiegen in Alex's Augen. Er wusste nicht, wie lange er diesem innerlichen Druck noch standhalten konnte. Dr. Stratowsky legte eine Hand auf die Schulter von Alex:

„Wenn alles bei dir in Ordnung ist, warum wolltest du dich dann umbringen? Alex, wir können dir helfen, du musst nur mit uns reden!“

Alex schüttelte mit dem Kopf. Seine Stimme klang diesmal wieder kräftiger:

„Lassen sie mich bitte alleine. Ich will nicht mit ihnen reden. Ich will nach Hause. Mir geht es gut!“

„Nach Hause kommst du heute nicht Alex! Du musst mindestens 3 Tage im Krankenhaus bleiben, zur Beobachtung. Das ist Standard bei Jugendlichen mit einem Selbstmordversuch. Tut mir leid, aber so einfach lassen wir dich nicht gehen Alex.“

Nach diesen Worten verließen der Arzt und die Schwester das Zimmer und Alex war wieder mit seinem Schmerz alleine. Er rollte sich auf die Seite und ließ den Tränen freien Lauf. Wieso hatte er überlebt? Wieso? Diese Sätze sprach er wie ein Mantra vor sich her, bis er irgendwann eingeschlafen war.

Durch ein Räuspern wurde Alex wach.

„Gospodin Petrov darf ich sie stören? Mein Name ist Dr. Ludlof. Ich würde gerne ein paar Worte mit ihnen wechseln. Dr. Stratowsky bat mich, dass ich sie mir mal ansehe.“

„Dann sind sie wohl der Psychoheini, der mir jedes Wort im Mund umdrehen wird!“

Dr. Ludlof lachte herzhaft auf:

„Nein, ich bin kein Psychoheini. Ich bin Psychologe und ich werde ihnen sicherlich nicht jedes Wort umdrehen. Ich möchte nur, dass es ihnen gut geht und so etwas,“ er zeigte auf die Handgelenke von Alex, „nicht noch einmal passiert. Ok?“

Alex drehte sich von ihm weg.

„Ich habe kein Interesse, mich mit ihnen zu unterhalten Dr. Ludlof. Ich möchte nur die Beobachtungszeit hinter mich bringen und schnellstens wieder nach Hause. Mehr möchte ich nicht. Wenn sie mich jetzt in Ruhe lassen würden.“

„Nun, da werde ich sie wohl enttäuschen müssen. Wenn sie nicht kooperieren, dann bleiben sie hier. Es tut mir leid, aber wir müssen sicher gehen, dass sie keine Gefahr für sich oder andere sind. So lange das nicht geklärt ist, bleiben sie in Obhut des Krankenhauses.“

„Mein Vater holt mich schon hier heraus, glauben sie mir!“

Der Arzt sah Alex an:

„Wenn sie meinen, aber auch ihr Vater kann diese Vorschrift nicht umgehen. Sobald sie bereit sind mit mir zu reden, sagen sie einer Schwester bescheid.“

Alex war wieder alleine in seinem Zimmer. Er kann nicht mit einem Arzt sprechen, nicht über das was geschehen ist. Nicolai würde ihm wieder weh tun, wenn er sich verplappert. Alex überlegte was er tun konnte, um schnellstens hier herauszukommen. Nach einiger Zeit kam die Schwester mit dem Abendessen. Ohne ein Wort zu sagen, stellte sie das Tablett ab und wollte wieder gehen. Alex setzte sich auf:

„Bitte, reden sie mit meinem Dad. Er soll herkommen. Können sie ihm das bitte ausrichten?“

Die Schwester nickte und verließ das Zimmer. 

Das Essen schmeckte widerlich. So etwas war Alex gar nicht gewöhnt. Kaum berührt ließ er das Essen stehen und schaltete den Fernseher ein. Natürlich lief nur Mist. Frustriert schaltete er ihn wieder aus und knallte die Bedienung auf seinen Nachttischschrank. Alex legte sich hin und versuchte einzuschlafen. Immer wieder drifteten seine Gedanken ab. Immer wieder stellte er sich die gleiche Fragen. Warum nur ist das ihm passiert? Warum konnte er nicht ein normales Leben haben? Was hatte er getan? Warum hatte er das verdient?

Irgendwann war er dann eingeschlafen.

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