„Mädels? Könnt ihr mal kurz kommen?", rief Mom durch die Stallgasse. Lynn stellte sich auf Zehnspitzen, um über Rockys Rücken rüber schauen zu können und ich hockte mich hin, um unter Nightwishs dicken Bauch drunter weg zu gucken. Mom musste bei dem Anblick leicht lachen und schüttelte amüsiert den Kopf. Ich ließ mein Putzzeug fallen und Lynn band Rocky richtig fest. Dann gingen wir zu Mom und sahen sie fragend an. Sie hielt einen Zettel in der Hand und kaute nachdenklich auf dem Ende ihres Bleistiftes rum.
„Okay", begann sie in Gedanken und sah uns dann an, „übermorgen ist das Turnier. Lynn, du bist mit Rocky Rubin gemeldet, Luna du mit Peter Pan. Wir nehmen dann den Dreier-Anhänger"
„Können wir nicht mit zwei Anhängern fahren?", warf ich ein. Skeptisch sahen mich Mom und Lynn an.
„Ich will Jonny mitnehmen, damit er sich daran gewöhnt", erklärte ich.
„Er kennt Turniere", argumentierte Mom dagegen.
„Ja, aber immer wenn er hin fuhr, musste er auch laufen", entgegnete ich
„Das ist der Sinn an einer Fahrt zum Turnier?", meinte sie
„Ja, aber das einzige Problem von Jonny ist, dass er einfach kein Spaß am Springen hat. Wahrscheinlich weil er noch zu unsicher ist oder was weiß ich. Er soll lernen, dass es nicht mehr gleich Stress bedeutet, wenn er mit anderen Pferden im Anhänger steht und irgendwo hinfährt", erwiderte ich.
„Guter Gedankengang", lobte mich Lynn und sah mich beeindruckt an.
„Also schön. Dann fährst du aber", seufzte Mom und schrieb irgendwas auf, „dann muss ich zwei Anhänger für übermorgen blockieren". Sie kratzte sich am Kopf und nickte dann.
„Gut. Morgen werden die Pferde gewaschen, ich muss heut noch einmal trainieren. Lynn, wie sieht es mit Rocky aus?", wollte Mom von meiner Schwester wissen.
„Gut, wir gehen heute nur für ein paar Runden Bewegung ins Dressurviereck", antwortete sie zuversichtlich.
„Luna? Du warst heute Morgen schon mit Peter Pan im Parcours. Machst du heute noch was mit ihm?", fragte Mom nun mich aus.
„Ne, der kann jetzt noch auf die Weide.", meinte ich und sah über die Schulter weg zu Jonny, der gerade den Eimer für das Kraftfutter zerstörte. Ein Stalljunge eilte zur Hilfe, da es zu lange gedauert hätte, wenn ich los gelaufen wäre.
„Okay, wenn du den zweiten Anhänger willst, machst du den bitte auch soweit fertig für die Fahrt", richtete Mom an mich.
„Kann ich machen, aber ich brauch den heute nochmal", entgegnete ich
„Wofür?", wollte sie wissen
„Ich fahr nochmal an den Strand mit ihm", antwortete ich nur. Meine Mutter nickte skeptisch, ließ mich aber gehen, bevor sie wieder mit mir diskutieren müsste.
Ich suchte Sattel und Trense von Jonny zusammen und packte alles in den Stauraum von dem Anhänger. Dann koppelte ich den Anhänger an Moms Geländewagen und suchte meine Reitstiefel und meinen Helm zusammen. Ich legte Jonny Transportgamaschen an und führte ihn auf den Anhänger. Er weigerte sich leicht, doch dann ging er doch meinem Wunsch nach und ließ sich im Anhänger festbinden. Zwei Leute vom Stall schlossen die Rampe und ich verabschiedete mich von Lynn, da Mom schon wieder über alle Berge war. Langsam rollte ich vom Hof, ließ die Fensterscheiben ganz runter und hörte laut Musik. Der Wind wehte durch meine Haare und ich genoss die warme Spätsommerluft. Bald würden die Temperaturen nicht mehr ganz so brennend sein wie im Hochsommer, doch es würde auch nicht wirklich kalt werden. Ich liebte Florida.
Ich parkte auf einem Parkplatz abseits des Trubels und zog mir meine Reitschuhe an. Jonny wieherte neugierig, als ich die Verladerampe runter ließ und er seinen Kopf drehen konnte, um zu sehen wo wir sind. Das Ausladen nahm er dann in die Hand. Mit einem großen Satz nach hinten sprang er aus dem Anhänger und sah sich mit weit geöffneten Nüstern und großen Augen um. Er atmete immer wieder laut aus, bis es in ein Schnauben überging. Seinen Strick befestigte ich an den Anbinderingen seitlich des Anhängers. Kurz bürstete ich sein Fell noch über und legte dann den Sattel auf. Beim Auftrensen war er durch die Umgebung so unkonzentriert, dass ich richtig mit seinem Dickkopf zu kämpfen hatte und die Tatsache, dass er ein gutes Stück größer war als ich, machte es nicht einfacher. Als ich ihn endlich fertig gemacht hatte, schloss ich das Auto ab und stieg von einer Bank aus auf. Im Schritt ritt ich den schmalen Pfad durch den kleinen Wald entlang in Richtung Strand. Als Jonny den Sand unter sich spürte wirkte er auf einmal voller Energie. Noch mehr Energie als er eh schon hatte. Nachdem ich ihn eine Weile warm geritten war, ließ ich ihn über den Sand traben und galoppieren. Nicht nur, weil er Spaß daran hatte, sondern auch, weil das Laufen im Strand anstrengend war und er, laut Moms Trainer, jede Menge Speck abbauen und Muskeln aufbauen musste. Moms Trainer hatte es als Wohlstandsbauch bei Jonny formuliert und ich wusste, dass er leider Recht hatte. Als die hibbelige Energie aus Jonny raus war und ich langsam merkte, wie er entspannt auf dem Gebiss kaute, ritt ich ihn zurück in den Wald. Dort gab es einen geraden Abschnitt, auf welchem umgekippte Baumstämme lagen, sodass diese als ideale Teststrecke für ihn dienten. Jonny konnte springen, sogar ziemlich hoch. Er war häufig aus der Umzäunung der normalen Weiden ausgebrochen, indem er mit einem Satz rüber sprang, doch die genauso hohen Hindernisse verweigerte er immer. Wie ich ihn so über die Hindernisse springen ließ, fiel mir auf, welch großen Unterschied sein Springstil zu dem von Peter Pan oder Rocky hatte. Er sprang erst mit den Vorderhufen rüber und wenn er sich ziemlich sicher war, dass seine Vorderhufe sicher landen würden, zog er den Rest des Körpers nach. Kurz, er war verdammt unsicher bei dem, was er tat. Ich beließ es für heute dabei und dachte mir schon einmal einen weiteren Plan aus, für das Training mit ihm, damit aus dem Kindskopf Jonny, bald ein Nightwish werden würde.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...