Zwei Tage lang war ich nun wieder in Shelby. Nightwish war innerhalb kürzester Zeit in seinem alten Zuhause angekommen und genoss die deutlich lockerere Umgebung. Einmal am Tag musste er in den Parcours, die zweite übliche Trainingseinheit wurde gegen anspruchsvolles Geländetraining oder langweilige einfache Dressur eingetauscht. Curry hatte eine Box neben Nightwish bezogen und nach Erlaubnis von Katie hatten wir jemanden gefunden, der ihn nun täglich trainieren würde, damit nicht Rückschritte machen würde. Trotz der Tatsache, dass ich eigentlich in Ruhe über den weiteren Werdegang meines Pferdes nachdenken wollte, meldete mich Mom auf weiteren Turnieren. Peter sprach viel mit mir über meine inneren Gedanken und über die Zeit früher. Ich erzählte ihm alles. Vom Training von Dad und Mister X, bis hin zu meinen ersten Reitstunden bei Sven auf einem alten Schulpferd. Dabei musste ich feststellen, wie gut es tat über alles zu reden. Bei einem Mittagessen verkündeten Mom und Peter dann auch, dass wir jetzt alle zusammen in die untere, größere Wohnung von Peter ziehen und aus unserer Wohnung Ferienzimmer werden würden. Ich hatte kein Problem mit dem Umzug, denn ich hätte immer noch ein eigenes Zimmer und mit Peter und Jason aßen wir so gut wie jede Mahlzeit zusammen. Unser Hund Ben müsste dann auch keine Treppen mehr steigen, was seinen alten Knochen ganz gut tun würde.
Wir saßen gerade zu viert am Esstisch in Peters Wohnung und schlürften unsere heiße Suppe, während draußen der Wind die rotbraunen Bäume wiegte und Kälte ins Land trieb. Die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch und tauchte die Landschaft in ein Licht, dass ich nie zuvor gesehen hatte. Es war gefühlt das erste Mal, das ich richtigen Herbst erlebte.
„Luna", begann Peter plötzlich und sah mich an. Fragend sah ich von meiner Suppe auf und wartete darauf, dass er fortfuhr.
„Ich hab dich auch für ein Turnier gemeldet. Es ist das nächste", fuhr er fort und strich sich durch die Haare. Skeptisch sah ich ihn an. Wo war der Harken an der Sache? Moms Blick ging stur auf die Tischplatte. Scheinbar fand sie das nicht so gut.
„Okay, und wo?", harkte ich nach, damit endlich Licht ins Dunkle kam.
„Das Turnier ist Miami", meinte er kleinlaut. Ich verschluckte mich heftig an der Suppe und sah ihn mit großen Augen an, nachdem mir Jason mit drei kräftigen Schlägen auf den Rücken das Leben gerettet hatte.
„Wie soll ich da hinkommen? Und was soll ich vor allem da?", wollte ich von ihm wissen.
„Mit dem Flugzeug. Es gibt nämlich jemanden da unten, der dich und Nightwish gerne mal in live auf einem Turnier sehen würde. Euch sehen wie ihr siegt", gab Peter unsicher von sich. Etwas verwirrt sah ich ihn an.
„Um dir auf die Sprünge zu helfen: ohne diese Person wärst du wohl nie mit Jonny hier angekommen. Er hat euren Grundstein gelegt", half mir Peter.
„Sven?", wollte ich ungläubig wissen.
„Ich hab mit ihm telefoniert", erwiderte er nickend.
„Warum?", fragte ich verwundert.
„Du hast mir erzählt, was Sven alles für dich getan hat. Es ist an der Zeit etwas zurückzugeben", meinte Peter.
„Recht hast du", murmelte ich nachdenklich.
„Das ist auch der Grund, weswegen du danach einen Abstecher zum Reitstall Smith machen wirst", entgegnete er.
„Was? Was soll ich da?", wollte ich wissen.
„Es ist an der Zeit was zurückzugeben. Meinte ich doch schon einmal", erwiderte er.
„Ja, aber wem denn noch?", entgegnete ich.
„Vielleicht dem, ohne den es Nightwish gar nicht geben würde?", half mir Peter erneut auf die Sprünge.
„Mister X?", fragte ich unsicher nach. Peter nickte nur und jetzt verstand ich auch, weswegen Mom nicht begeistert war von der Idee.
„Ich glaub ein wenig Zeit in Florida tuen dir und Nightwish gut. Ihr müsst mal weg von hier. Nur für ein paar Tage. Die letzten Monate waren anstrengend für euch", gab Peter erklärend von sich. Ich nickte und aß schweigend weiter. Vielleicht hatte er Recht.
Nachdem ich mit Peter den Tisch abgedeckt hatte, Jason mit seinem Auto verschwunden und Mom zu Harmony gegangen war, holte ich Curry und Jonny von der Weide. Beide hatten sich ordentlich eingesaut und der eigentlich so freche Curry, wirkte total entspannt und gelöst. Seine Unterlippe hing entspannt runter und er fand Spaß daran, mit der Oberlippe in meinen Haaren rumzuspielen. Jonny wurde eifersüchtig und ich musste ihm Aufmerksamkeit schenken. Das Turnier wäre in einer Woche. Ich würde Montana verlassen und nach Florida gehen. Ich würde nicht vor Campende zurück nach Olympia kehren. Ich hatte es Adam schon mitgeteilt und er hatte enttäuscht reagiert, doch er hat mir versichert, meine Entscheidung nachvollziehen zu können. Sobald ich meine Entscheidung getroffen hätte, solle ich mich bei ihm melden.
Ich ließ die beiden zufriedenen Pferde in ihren Boxen zurück und machte mich auf den Weg zu Mom. Es war wohl die letzte Woche in der wir draußen trainieren konnte, die jetzt anbrach. Ein wenig wehmütig wurde man da schon mal, doch ich freute mich auf den Winter. Ich setzte mich auf die Bank und sah der alten Fuchsstute zu, wie sie über die Hindernisse sprang und dabei glücklich schnaubte. Harmonys Konzentration lag vollständig bei Mom. Bei jedem Galoppsprung sah man, dass die Stute abgebaut hatte. Sie war alt. 17 Jahre inzwischen. Es gab Pferde, die waren deutlich bis über ihr zwanzigstes Lebensjahr im Turniersport, es gab aber auch Pferde, die waren 15 zu alt. Jedes Pferd war anders und alterte unterschiedlich schnell. Harmony war meiner Meinung nach ein Kandidat, der normal war. Seitdem Fuchs zweieinhalb Jahre alt war, gehörte er zu uns. Mit sieben stieg sie in den Profisport ein. Tja, und somit konnte ich sagen, dass meine Mutter seit einem Jahrzehnt so gut wie immer platziert wurde. Wenn sie antrat, dann nicht erfolglos. Die beiden haben es zweimal ins Olympiateam geschafft, aber nie nach ganz oben. Das war der Traum, den Mom leider nie leben konnte mit ihrer Stute. Zu oft waren beide verletzt. Heute Morgen hatte ich meine Mutter auf Coco gesehen. Eine komplett andere Kombination. Ganz früher, als kleines Mädchen war Mom Dressur geritten. Das hatte sich dann mit der Beziehung zu meinem Vater gelegt und sie wurde mit 20 Jahren dem Springsport treu. Jetzt sattelte sie wieder ab und zu um. Die Friesenstute und Mom harmonierten ganz gut, auch wenn der Rappe wohl nie an die eitle Harmony rankommen würde.
Mom parierte breit grinsend ihre Stute in den Schritt durch und kam zu mir an den Zaun geritten.
„Kannst du mir die Abschwitzdecke geben?", rief sie mir zu. Nickend stand ich auf und warf dem nassen Fuchs die Decke über den Rücken.
„Danke", keuchte Mom und ließ ihr Pferd im Schritt weiter gehen. Sie klopfte immer wieder den Hals von Harmony und wirkte total glücklich, aber auch gleichzeitig traurig. Sie war total seltsam, richtig aufgewühlt.
„Mom?", rief zu ihr.
„JA?", antwortete sie und lenkte ihre Stute in meine Richtung.
„Was ist los?", wollte ich skeptisch wissen. Mom holte tief Luft, sah auf Harmony und mit leicht wässrigen Augen dann mich an.
„Diese Saison war ihre letzte", gab sie zögernd von sich und ich spürte auch meine wässrigen Augen. Auch ich klopfte den Hals der Fuchsstute und grinste breit.
„Sie hat sich den Ruhestand verdient", versicherte ich meiner Mutter.
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Nightwish
Novela JuvenilEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...