Die nächsten vier Monate bestanden aus Training, Testturnieren, Sitzungen, Streitigkeiten, Stürzen, Verletzungen, Tränen, Lachen, Freude, Trauer, Erinnerungen, Stress, Erfolgen und Niederlagen. Es war die reinste Achterbahnfahrt und sie prägte unwahrscheinlich stark. Mit der richtigen Mischung aus Training, Turnieren, Geländeritten und Weidegängen formte ich Nightwish zu einem Biest. Wenn ich morgens die Stallgasse betrat, stand ein Pferd vor mir, dass es kaum erwarten konnte in den Parcours gelangen. Es stand ein Pferd vor mir, dass bewies, dass es zum Springreiten geboren wurde. Nightwish wurde zum Vorzeigetalent des Reitzentrums und sein Marktwert stieg stätig. Doch nicht nur Nightwish und ich konnten Erfolge vorweisen. Das gesamte Team hatte sich zur Elite hochgearbeitet und niemand, wirklich niemand hatte damit gerechnet. All diese Erfolge blieben jedoch hinter geschlossenen Toren in Cleveland. Die Welt würde erst davon erfahren, wenn das Team USA in Paris bei der Eröffnungsfeier einreiten würde. Wir wollten für Überraschungen sorgen und somit bekam die Welt nur mit, dass wir trainierten. Die regelmäßigen Updates, die Reitzeitschriften und Sender wissen wollten, bestanden meist nur aus unwichtigen Testturnieren oder Portraits von Pferd und Reiter.
Ich würde heute mit Calvin ausreiten, da ich heute Abend nach Shelby fliegen würde für drei Tage. Nightwish würde in dieser Zeit hierbleiben. Ich flog eigentlich auch nur nach Hause, weil mich unser Trainer, welcher übrigens Joe hieß, darum gebeten hatte.
„Ah Luna", rief mich Adam zurück, als ich gerade Nightwish in seine Box brachte, da seine Weidezeit vorbei war.
„Ja?", erwiderte ich und nahm meinem Pferd das Halfter ab
„Joe möchte nachher mit dir sprechen", meinte er.
„Kein Problem. Wo ist er?", wollte ich wissen.
„Oben in der Suite über der Reithalle. Aber ich wollte dir noch was anderes sagen", gab Adam zögernd von sich. Verwundert sah ich ihn an.
„Ich werde Cleveland verlassen, weil du bist hier angekommen. Du hast deine Basis gefunden und brauchst meine Hilfe nicht mehr. Du weißt wie es funktioniert", meinte er.
„Du hast mir unwahrscheinlich geholfen. Ohne dich wäre ich nicht hier", entgegnete ich.
„Ich weiß das sehr zu schätzen, aber ich werde jetzt nach Texas gehen und deiner Schwester dasselbe ermöglichen", gab er kleinlaut von sich. Ich musste lächeln und begann dann zu strahlen.
„Etwas Besseres kannst du nicht tun. Das freut mich total. Lynn wird sich unwahrscheinlich freuen", gab ich begeistert von mir.
„Du freust dich, dass ich gehe?", hakte Adam nach.
„Ich freue mich, dass du Lynn trainierst. Das ist ein Unterschied", verteidigte ich mich lachend. Adam und ich redeten noch eine Weile, bis ich meinen Weg in Richtung Suite antrat, in welcher Joes Büro sich befand. Ich ging ich die Holztreppe hoch und klopfte an der dunkelbraunen Tür. Joes Frau öffnete mir die Tür und bat mich lächelnd rein. Man hörte jeden Schritt meiner Stiefelletten auf dem alten Holzfußboden und ich ging meinen Weg zu Joes Schreibtisch.
„Hallo Luna. Nimm Platz", meinte Joe und sah nur kurz von seinen Unterlagen auf
„Warum wolltest du mich sprechen?", begann ich zögernd. Joe atmete tief ein, lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und spielte mit einem Kugelschreiber.
„Du fliegst heute Abend nach Shelby?", hakte er nach. Ich nickte.
„Ich hab Sven telefoniert", begann er. Fragend sah ich ihn an, „ich hab mich nach Mister X erkundigt. Ich hab das Pferd sehr geschätzt und in den letzten Monaten habe ich es bereut, ihn damals nicht zu mir nehmen und ihm seine Karriere zu ermöglichen, die er hätte erreichen können. Sven und ich haben lange geredet und ich hab realisiert, dass Mister X es nur gemeinsam mit Steve erreicht hätte. Ich hab mich nach Mister X erkundigt und Sven erzählt, du bist ihn geritten, vor einigen Monaten und hast es dann ermöglicht, dass er mit dir zusammen nach Shelby geht, gemeinsam mit Nightwish zusammenlebt und wieder glücklich ist." Ich nickte nur.
„Wenn ich ganz ehrlich bin", fuhr er seufzend fort, „hätte ich es von dir nie erwartet. Das lässt mich anders denken, Luna". Etwas unsicher und sichtlich verwirrt sah ich ihn an.
„Ich dachte immer du würdest nur das alles tun, damit du Erfolg hast. Adam und Sven haben mich vom Gegenteil überzeugt. Du sollst wohl ziemlich gelitten haben in den letzten Monaten. Man wollte dir dein Pferd nehmen und all dieser Kram. Ich hab nachgedacht und die Tatsache, dass Nightwish und du unermüdlich arbeiten, kämpfen und wirklich alles geben haben mich zu einem Entschluss gebracht", berichtete er und machte eine Pause.
„Und zwar?", hakte ich leise nach.
„Du fährst mit zu Olympia, das war ja klar. Aber ich werde dafür sorgen, dass du gemeinsam mit deinem Chaoten zu Spruce Meadows und zwar nicht als Gast, sondern als Reiterin", meinte er. Mit großen Augen sah ich ihn ungläubig an.
„Das ist nicht dein Ernst?", hakte ich ungläubig nach.
„Doch", erwiderte er nur nickend und legte den Kugelschreiber weg.
„Wir werden parallel zum Olympiatraining ein Einzeltraining einbauen. Du musst dir nur im Klaren sein, dass dein Sommer nicht in Shelby stattfinden wird, sondern in Kanada.", gab er nachdenklich von sich und kramte in seiner Zettelsammlung. Ich nickte nur ferngesteuert. Das war meine Chance.
„Und eine Bitte habe ich noch, wenn du heute Abend nach Hause fliegst", fügte er hinzu und sah auf ein Blatt.
„Und die wäre?", entgegnete ich. Er reichte mir das Blatt mit einem Foto von einem Pferd.
„Bring ihn mit. Das tut euch allen glaube ich ganz gut, wenn ihr jeden Tag den seht, der es von ganz unten nach oben geschafft hat", erwiderte er leicht lächelnd. Ich sah lange auf das Bild, welches Mister X abbildete und schwebte in Erinnerungen. Ich wünschte meine Vater würde mich jetzt sehen. Hier in Cleveland, an dem Ort, wo ich für großes trainierte. Er konnte mich sehen, von oben herab. Aber er stand nicht neben mir, gab mir Tipps und Anweisungen. Er war nicht verkörpert hier. Dann soll jedenfalls Nightwish die Chance bekommen, dass sein Vater ihn auf diesem Weg beistand. Das Pferd, mit welchem er am besten klar kam.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...