Am nächsten Morgen ging es für Lynn und mich ohne Frühstück direkt zum Flughafen von Miami. Wir mussten durch eine Sicherheitskontrolle und dann zu dem Terminal, an welchem sämtliche Tierrassen auf ihren Flug vorbereitet wurden. Egal ob Zootiere, Haustiere oder Pferde, alle wurden am selben Terminal in verschiedenen Hallen abgefertigt. Wir trafen vor dem LKW ein, welcher auch unsere vier Pferde transportierte.
„Wir müssen besonders auf Nightwish und Peter Pan achten. Die werden nervös sein", meinte meine Schwester. Ein Flughafenmitarbeiter kam auf uns zu.
„Ihr gehört zu den Pferden, die gleich ankommen werden?", fragte er uns und sah auf sein Klemmbrett.
„Ja, wir haben vier Pferde", antwortete meine Schwester.
„Okay gut, habt ihr die Papiere mit?", wollte er wissen.
„Natürlich", erwiderte Lynn und kramte in ihrem Rucksack danach. Währenddessen meine Schwester nach den Pässen der Pferde suchte, wandte der Mann sich an mich.
„Reisen eure Pferde in zweier oder dreier Boxen?", fragte er wieder.
„Zweier. Wollen Sie die Konstellationen wissen?", entgegnete ich.
„Ja bitte", meinte er nur und kramte zwei Skizzen von den Boxen raus, um die Namen unserer Pferde einzutragen.
„Einmal Rocky Rubin und Peter Pan", begann ich und sah mit auf sein Klemmbrett, um ihm das Suchen der Pferdenamen zu erleichtern. Als ich die beiden Pferde fand, zeigte ich auf die Spalten und er trug die Namen in die eine Flugbox ein.
„Und die anderen?", hakte er nach.
„Harmony und Nightwish", erwiderte ich und zeigte erneut auf die Namen unserer Pferde. Der Mann grinste leicht.
„Harmony ist nicht zum ersten Mal in diesem Terminal", berichtete er und trug auch die anderen beiden Namen auf einer Skizze ein.
„Sie kennen Harmony?", fragte Lynn erstaunt.
„Ja, sie ist oft von hier zu Turnieren geflogen. Ich hab sie des Öfteren verladen", antwortete der Mitte 40 jährige lächelnd und klemmte das Klemmbrett an die Wand.
„Dann können sie sich ja gleich um sie kümmern, wir haben nämlich zwei Neulinge mit", seufzte Lynn und wirkte leicht angespannt. Der Mann versicherte meiner Schwester, dass er und sein Kollege sich gut um Rocky Rubin und Harmony kümmern werden, solange wir uns mit Peter Pan und Nightwish rum schlagen müssten. Als der LKW der Spedition rückwärts an das Terminal heran fuhr, waren auf einmal etliche Flughafenmitarbeiter da. Sie sperrten mit Holzwänden die offenen Seiten zum Flughafengelände ab, ließen die Rampe runter und karrten auf Flughafenfahrzeugen die Pferdeboxen für den Flug an. Ganz hinten im LKW stand Rocky Rubin. Er sah fast ein wenig genervt aus, als er das Terminal erblickte und ließ sich von einem Mitarbeiter ausladen. Als er dann aber Lynns Stimme vernahm, hob er fast erstaunt den Kopf und schnaubte ihr entgegen. Lynn klopfte nur den Hals des Pferdes und ging dann die Rampe hoch zu Peter Pan. Der Schecke ließ sich, noch ziemlich entspannt, ausladen und wurde direkt in die Flugbox geführt. Rocky Rubin folgte. Der Schimmel war die Ruhe selbst und ich hatte dieses Verhalten gerade von ihm nicht erwartet. Normalerweise fand er Veränderungen richtig blöd, doch heute schien ihn das alles nicht zu stören. Vielleicht weil alle vier Pferde, welche immer schon viel Zeit zusammen verbracht haben, gemeinsam reisten. Die nächste im LKW war Harmony. Der Flughafenmitarbeiter, der eben noch die Identität der Pferde kontrolliert hatte, lud jetzt die Fuchsstute aus und stellte sich mit ihr in die Ecke. Ich ging die Rampe hoch in den LKW und strich über den Hals von Nightwish. Bei ihm müsste ich es mit Ruhe angehen, schließlich war er der jüngste. Als Nightwish mich sah, wieherte er zur Begrüßung und die Anspannung, die er eben noch ausstrahlte, verflog. Er folgte mir die Rampe runter und ich ging zielstrebig vor in die Flugbox. Wie es üblich war für ihn, blockte er vor der Box ab und weigerte sich rein zu gehen. Dieses Verhalten hatte er sogar bei normalen Anhängerfahrten.
„Gehen Sie mal mit Harmony vor", richtete ich an den Flughafenmitarbeiter und ließ Nightwish ein paar Schritte zurück weichen. Der Mann befolgte meine Anweisungen und als Harmony in der Box stand, ging Nightwish von ganz alleine in die fremde Box. Ich band mein Pferd fest klopfte sein Hals und verließ die Box durch die kleine Fronttür. Lynn und ich atmeten erleichtert auf, als alle vier Pferde in ihren Boxen auf den fahrbaren Untergründen davon rollten. Wir würden sie in ein paar Stunden wiedersehen – in Shelby, Montana.
Für mich und Lynn ging es nun noch einmal durch eine Sicherheitskontrolle und durch die normalen Passagiereingang ins Flugzeug. Wir und die Pferde würden ungefähr 2 Stunden lang fliegen, bis wir in Shelby wären. Dort würde ein Fahrer uns die Schlüssel für uns zukünftiges Auto übergeben, welches er dort mit Anhänger im Auftrag von Peter hinbringen würde. Dann müssten wir die Pferde aus dem Terminal abholen und mit denen im Schlepptau eine Stunde lang bis zu unserem neuen Zuhause fahren. Es lag ein langer Weg vor uns.
Den Flug über verschliefen wir und wurden netterweise von unserem Nebenmann vor der Landung geweckt, sodass wir keinen riesen Schreck bekommen würden, wenn wir auf einmal den Aufprall bei der Landung spüren würden. Der Flug war das Entspannteste des Tages, denn als wir den Boden von Shelby berührten, ging der Stress wieder los. Wir mussten unsere Koffer holen und vor dem Flughafengebäude unser Auto mit dem Fahrer finden. Ein Glück war das Gespann nicht zu übersehen, mit dem großen Pferdeanhänger. Lynn unterschrieb kurz das Formular und bekam die Schlüssel, dann verschwand er Fahrer schon in einem PKW und wurde zu seinem nächsten Auftrag gefahren. Wir machten uns mit dem neuen Auto auf, zum Terminal in welchem unsere Pferde angekommen waren und parkten rückwärts ein. Als die Flugboxen mit den Pferden näher rückten, stieg die Vorfreude in uns. Wir hatten Daytona Beach hinter uns gelassen und standen jetzt vor unserem neuen großen Abenteuer. Montana. Spätsommer hier war deutlich kälter als in Florida, das mussten wir schon beim Verlassen des Flughafens spüren.
Die erste Box die auf uns zu rollte war die, mit Peter Pan und Rocky Rubin. Rocky Rubin begrüßte uns mit einem simplen Schnauben und Peter Pan trat einfach nur gegen die Boxenwand. Er wollte raus. Ich befreite Peter Pan aus seiner Flugbox und führte ihn direkt in den Anhänger. Ich war gerade dabei ihn anzubinden, als Lynn mir etwas zu rief.
„Machst du ihn auch fest?", bat sie mich. Ich sah zur Seite und musste grinsen. Lynn stand unten an der Rampe und Rocky Rubin schlenderte gemütlich, mit dem Strich über den Hals gehängt, in den Anhänger. Er stellte sich freiwillig seitlich hin und sah mich abwartend an. Lynn hatte aus ihm ein tolles Pferd gemacht. Nachdem die ersten zwei sicher verstaut waren, ging es für uns an die nächste Box. Harmony und Nightwish wollten schließlich auch in ihr neues Zuhause. Meine Schwester durfte sich mit Harmony abkämpfen, die alles andere als harmonisch eingestellt war. Sie tänzelte rum, riss den Kopf nach oben und brummte unzufrieden vor sich hin.
„Das hasse ich an Stuten", nörgelte Lynn, als sie Harmony endlich dazu brachte, in den Anhänger zu gehen. Nightwish hatte eine echte Überraschung für mich parat. Er ging entspannt rückwärts aus seiner Box und als ich übernahm, begrüßte er mich wie immer leicht wiehernd und stupste mich an. Als er merkte, dass ich in Richtung Anhänger ging, verlängerte er seine Schritte und ging mit Schwung in den Anhänger. Ohne ziehen, ohne drücken, ohne Theater. Lynn nickte mir beeindruckt zu und schloss hinter Nightwish die Rampe, nachdem ich aus dem Anhänger geklettert war.
„Er macht sich gut", lobte sie mich, als wir beide im Auto saßen in Richtung Reitlange.
„Du weißt genau, er wird gerne rückfällig. Aber im Moment ist er ein Traum", meinte ich lächelnd.
„Ich hab irgendwie voll schiss davor, dass der neue Stall nicht so ist, wie unserer. Bei unserem war alles so familiär und klein und jetzt wird alles riesig. Wohlmöglich tragen die alle ihre Nase auch noch ziemlich hoch, weil sie wissen dass sie gut reiten können und gute Pferde haben", gab Lynn unsicher von sich.
„Lynn, jeder der Geld hat, kann ein gutes Pferd kaufen, aber nicht jeder kann ein gutes Pferd antrainieren. Du hast aus Rocky schon ein gutes Pferd gemacht, und wirst wohl noch ein viel besseres aus ihm machen. Ich bin diejenige, die mit dem Chaot ankommt, der alle verstören wird", erwiderte ich seufzend. Lynn sah nachdenklich auf die Straße und dann kurz den Rückspiegel, um den Pferdeanhänger zu sehen. Sie widersprach mir nicht.
„Jonny wird wohl noch richtig den Laden aufmischen, sobald er sich eingewöhnt hat", stellte sie verunsichert fest.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...