Das Gespräch und die Tatsache, dass Mom uns in einen anderen Bundesstaat schleifen würde, waren eine Woche lang her. Ja, die Schule hatte wieder begonnen und ja, Lynn und ich waren nicht zum neuen Schuljahr erschienen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zu dieser Generation Home School gehören würde, tja, aber manchmal geht das schneller, als man denkt. Mein Klassenzimmer war jetzt überall und mein Lehrer mein Laptop. Es war ungewohnt, aber es sparte Zeit, denn ich konnte mir den Weg zur Schule sparen. Momentan war ich allerdings im Packstress, da brachte mir auch Home School nichts. Ich würde von Daytona Beach in das über 2.500 Meilen entfernte Shelby im US-Bundestaat Montana ziehen. Unser neues Zuhause wäre schon komplett bemöbelt und wir müssten lediglich persönliche Dinge mitnehmen. Ein Umzugsunternehmen würde dann, gemeinsam mit Mom und unserem Golden Retriever Ben, vorfahren und Lynn und ich würden uns dann um die Pferde kümmern. Unser Vorteil war, dass wir nur ein paar Stunden fliegen müssten, währenddessen Mom und Ben 2 Tage auf der Straße rum fahren müssten. Dennoch hatte ich Respekt davor, mit Harmony, Rocky Rubin, Jonny und Peter Pan zu fliegen. Für zwei von ihnen wäre es der erste Flug. Rocky Rubin war schon ein paar Mal geflogen, Harmony war schon etliche Male in der Luft, um zu internationalen Turnieren zu gelangen. Übermorgen würden Mom, Ben und das Umzugsunternehmen aufbrechen, bis dahin musste ich alle meine Klamotten zusammengesucht haben.
„Luna?", rief Lynn durch das Haus und ich hörte, wie sie ein paar Kartons durch die Gegend schob, um zu mir zu gelangen.
„Ja", gab ich von mir, während ich zur Hälfte in meinem Kleiderschrank hing.
„Sven gefragt, ob wir heute Abend noch mal ausreiten wollen mit Mom und unseren Pferden", berichtete sie. Ich ließ mich auf mein Bett plumpsen und streichelte über Bens Kopf, da er ebenfalls auf meinem Bett lag und döste.
„Ja, können wir machen", meinte ich nur. Lynn kam und hockte sich vor mein Bett und sie knuddelt Bens Kopf.
„Das der nochmal auf seine alten Tage umzieht, hätte ich auch nicht gedacht", gab sie in Gedanken von sich.
„Ich auch nicht", meinte ich
„Was meinst du, wie wird es in Montana?", kratzte Lynn das Thema noch ein wenig mehr an.
„Keine Ahnung. Aus Harmony kennt keins der Pferde Schnee. Rocky Rubin kommt aus Nevada und die anderen zwei sind von hier", merkte ich lachend an.
„Oh ja, das wird noch ein Erlebnis werden", stimmte sie mir lachend zu. Ich seufzte und sah auf mein Regal, auf dem so viele Bilder standen.
„Ich will nicht umziehen. Ich tue es Mom zur Liebe", platzte es plötzlich aus mir raus. Lynn nickte
„Es ist seltsam hier weg zu gehen, wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat", gab sie mir Recht, „vor allem, wenn man hier aufgewachsen, zusammen mit Dad und er dann auf einmal nicht mehr da ist"
„Er ist aber nie wirklich ausgezogen", murmelte ich leise und starrte gedankenverloren auf den Boden. Lynn legte einen Arm über meine Schulter und zog mich zu sich ran. Mit der anderen Hand nahm sie ein Foto von meinem Nachttisch, welches Mom, Dad, Lynn, mich, Ben und ein Rappen zeigte. Ein Foto aus den guten alten Zeiten. Damals war Lynn 9, und ich 8 Jahre alt. Ein Jahr später hatte Dad einen schweren Unfall beim Training mit seinem Hengst, welcher ihm wenig später das Leben nahm. Der Hengst, der ihn damals durch das eigene Körpergewicht tödlich verletzte, war der Rappe auf dem Bild. Mister X. Bis heute steht auf dem Boxenschild des Rappen ‚Besitzer: Steve Michaels'. Dad war 31 Jahre alt, als sein Pferd ihm das Leben nahm. Mister X würde hier bleiben, wir würden ihn nicht mit in unsere neue Heimat nehmen. Dad war nach seinem Tod nie richtig ausgezogen. Nicht aus diesem Haus und nicht aus dem Stall, in welchem sein Pferd noch heute stand. Mister X ist der Vater von Nightwish. Es war das Temperament von Mister X gewesen, dass an diesem besonderen Tag, Dad aus dem Sattel warf und das Pferd hinter her. Dieses Temperament lebt auch in Nightwish. Wahrscheinlich war auch das ein Grund, weswegen Mom ihn loswerden wollte.
Gegen 5pm fuhren Lynn und ich zum Stall um unsere Pferde fertig zu machen. Wir striegelten Rocky und Jonny kurz über und legten nur die Trense an. Auf der Hofeinfahrt schwangen wir uns auf die Rücken unserer Pferde und sahen, wie Sven mit Peter Pan und Mom mit Harmony aus der anderen Stallgasse kamen.
„Wo geht die Reise hin?", wollte ich wissen
„Zum Strand", meinte Sven grinsend und ritt mit Mom vor. Im gemütlichen Trab ritten wir durch die Natur, bis endlich der Strand in Sicht kam. Wir hatten gerade den schmalen Pfad hinter uns gelassen, als ich etwas erblickte, dass mich in eine Schockstarre verfallen ließ und ich instinktiv Jonny durchparierte. Lynn ritt mir mit Rocky fast hinten rein und wollte gerade meckern, da sie es auch. Am Strand waren alle unsere Freunde vom Stall. Alle mit ihren Pferden und Ponys. Sie saßen ebenfalls ohne Sattel auf den Rücken der Pferde und grinsten uns breit entgegen. Sven lächelte zufrieden.
„Ich hab mir gedacht, ihr könnt ja zeitlich nicht mit jedem einen Abschiedsritt machen", rechtfertigte er sich, für das große Aufgebot an Reitern und klopfte Peter Pans Hals. Ich saß da, kopfschüttelnd und sah alle unsere Freunde an, die ich seit meiner Geburt kannte und die gerade in den letzten acht Jahren immer für uns da waren. Allen voran, natürlich Sven. Lynn ritt neben mich und biss sich auf ihre Lippen
„Ist es nicht krass zu sehen, wer alles immer für uns und die Pferde da war?", murmelte sie. Ich nickte nur und taute langsam aus meiner Starre auf. Ich ließ Jonny auf die vielen Reiter zu traben.
„Was steht ihr hier noch so rum? Auf ins Wasser", tönte Moms Stimme auf einmal laut und ich sah, wie die blonde Frau ihren Fuchs im Galopp in Richtung Meer laufen ließ. Die Horde an Menschen und Pferde folgte ihr und auch ich ließ meine Wasserratte ins kühle Nass. Augenblicklich fingen sämtliche Pferde an, mit dem Vorderhuf auf die Wasseroberfläche einzutreten und ich war mir sicher, dass kein Fisch in diesem Teil des Gewässers überlebt hätte, wäre er zu diesem Zeitpunkt hier gewesen. Wir ritten alle zusammen am Strand entlang und ich wechselte immer wieder meinen Gesprächspartner. Die Gruppe an Reitern bestand aus allen Generationen. Von kleinen Kindern auf Shettys, über Rentnern auf ihren alten treuen Begleitern. Sie waren alle ein Teil unseres Lebens hier gewesen. Alle, insbesondere Sven. Denn er war derjenige gewesen, der sich nach dem Unfall auf Mister X setzte. Er war derjenige gewesen, der Mister X hier ein Zuhause gab, der ihn nicht verstoßen wollte, wie all die anderen. Er behielt das in Ehren, was einst verdammt erfolgreich und sowohl in der ganzen USA und ganz Europa jedem ein Begriff war. Mister X, das Pferd von Steve Michaels. Damals war ich zu jung, um zu verstehen warum er es getan hatte, heute war ich ihm dankbar dafür. Mister X war das einzige, was uns geblieben ist.
Ich drehte mich auf Jonnys Rücken noch mal um und sah all die Leute an, die hinter uns im Schritt ritten und sich unterhielten. Die Sonne ging langsam unter und in mir wurde langsam das Gefühl von Abschied breit.
„Verdammt, werde ich die alle vermissen", meinte Lynn mehr zu sich selbst, als zu mir, doch ich stimmte ihr zu. Neben mir tauchte der Kopf von Peter Pan auf.
„Pass mir gut auf den Kleinen auf", gab Sven wehmütig von sich, „er ist ein tolles Pferd". Er klopfte den Hals von Peter Pan und grinste. „Und aus ihm", fuhr er fort und zeigte auf Jonny, „mach ein richtigen Nightwish. Er hat das Potential so groß zu werden wir Mister X einst war. Mach ein richtiges Pferd aus ihm"
„Das werde ich", versprach ich dem Mann, der mir auf seinen Schulpferden das Reiten lehrte, mir immer mit Rat und Tat beim Training von Jonny zur Seite stand und auch ab und zu heimlich meine und Lynns Hausaufgaben machte, wenn wir ihn darum baten. Sven hat viel zu der Laufbahn von mir und meiner Schwester beigetragen und ihn, werden wir wohl am meisten in der neuen Heimat vermissen.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...