Die Menschen hier in Paris, sie liebten Nightwish. Wenn er im Parcours war, fühlten sie mit ihm, jubelten bei jedem Sprung, den er nicht riss und feierten ihn, wenn er durchs Ziel lief und danach seinen Freudensbuckler hinterher setzte. Er war der Publikumsliebling bei den Olympischen Spielen dieses Jahr und er genoss es. Dennoch, beliebt beim Publikum zu sein, bedeutete nicht automatisch ein Sieg. Beim Einzelspringen erlangten wir nur den vierten Platz, gleich hinter Deutschland, England und Argentinien. Wir hatten unser Bestes gegeben und mehr konnten wir nicht tun. Ich war trotzdem mehr als zufrieden mit unserer Leistung und fuhr gut gelaunt nach Shelby. Eine Woche Zuhause verbringen, bevor es nach Kanada gehen würde. Ich freute mich auf die Zeit Zuhause. Was mich erwarten würde? Eine Woche lang kein Training. Einfach nur Nightwish und Mister X morgens auf die Weide lassen und abends wieder reinholen. Mehr nicht. Es würde meine einzige freie Woche werden, also wollte ich sie genießen und auch Nightwish hatte sich eine Pause verdient.
Als wir in Shelby aus dem Flugzeug stiegen und in Richtung Tier-Terminal liefen, machte sich ein vertrautes Gefühl in mir breit. Neben, hinter und vor mir liefen Lynn, Jason, Mom und Peter. Lynn kaute Kaugummi und telefonierte mit Daniel, Jason tippte auf seinem Handy rum und hatte einen Arm über meine Schulter gelegt und Mom und Peter liefen Händchen haltend vor. Für außenstehende sahen wir wohl aus, wie eine gewöhnliche Familie. Das wir keine waren, würde wohl schwer vorstellbar sein.
Im Terminal 3 holten wir Mister X und Nightwish ab, die ziemlich müde wirkten. Mister X war alt, weswegen es verständlich war, dass er mit hängenden Ohren den Anhänger betrat. Nightwish sah man die Anstrengungen der letzten Tage in seinen Bewegungen an. Seine Beine wirkten müde und er trottete in den Anhänger. Es wurde Zeit, dass beide Beine etwas Ruhe bekamen.
„Da sind wir. Willkommen Zuhause, Luna", verkündete Peter und lenkte das Gespann durch den Torbogen in den Innenhof. Aus sämtlichen Boxen sahen Pferdeköpfe heraus und ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Aus dem Nordtrakt kam Ben bellend auf uns zu. Er hatte stark abgebaut, schließlich war auch er bereits ziemlich alt. Ich sprang aus dem Auto, hockte mich hin und nahm den großen Golden Retriever liebevoll in die Arme. Er bellte freudig und warf sich auf den Rücken. Ich war bestimmt ein halbes Jahr lang nicht regelmäßig hier gewesen, weswegen er sich nun umso mehr freute. Aus dem Anhänger vernahm ich Poltern und dann ein lautes Wiehern seitens Nightwish, dass von einem entfernten Wiehern seitens Rocky Rubin erwidert wurde.
„Er ist hier?", fragte ich Lynn verwundert. Sie nickte.
„Auch ich hab eine Woche Pause und gehe dann nach Kanada. Aus demselben Grund", erwiderte sie. Mit strahlenden Augen nahm ich sie in die Arme. Auch sie würde für Spruce Meadows trainieren. Lynn lud Mister X aus, und ich Jonny. Mein Pferd tänzelte wie verrückt auf der Stelle rum, riss den Kopf hoch und spielte wieder einmal den Heavy Metal Fan. Er war Zuhause und das sah man ihm an. Gemeinsam mit Lynn ging ich zu der Weide, auf der auch Rocky stand. Er sah uns schon von Weiten und kam mit erhobenem Schweif und großen Schritten auf uns zu getrabt. Er wieherte immer wieder und Jonny antwortete. Mein Pferd baute sich groß auf, streckte seine Brust nach vorne raus und konnte gar nicht mehr ruhig gehen. Er tänzelte neben mir her, bis wir am Gatter angekommen waren. Mit einer Hand versuchte ich die Decke von seinem Rücken zu bekommen und die Gamaschen von den Beinen. Ich öffnete noch außerhalb der Weide den Kinnriemen seines Halfters, da Jonny immer nervöser wurde. Als ich dann die Weide mit ihm betrat, konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Er riss regelrecht sein Kopf aus dem Halfter und trabte dann ebenfalls mit erhobenem Schweif aus Rocky zu. Die beiden begrüßten sich und als auch Mister X frei war, galoppierten die drei ihm hohen Tempo von uns weg. Einfach nur raus auf die Weide. Ich sah noch, wie ein brauner Hintern in die Luft geschleudert wurde.
„So hoch hab ich seinen Freudensbuckler noch nie gesehen", stellte Lynn lachend fest.
„Ich bin unfassbar glücklich, gerade nicht auf ihm drauf sitzen zu müssen", gab ich amüsiert von mir.
„Das wäre dein Ende gewesen", erwiderte Lynn. In weiter Ferne sahen wir noch, wie auch der Rappe einen Freudensbuckler hinterher setzte.
„Der kommt nicht mehr ganz so hoch", meinte ich lachend.
„Ein Wunder, dass er es überhaupt noch schafft in dem Alter", konterte Lynn und musste ebenfalls lachend. Den ganzen Tag über ging ich von Reitplatz zu Reitplatz und sah all den Leuten beim Training zu. Mom und Coco Chanel bildeten echt ein gutes Team und ich war echt überrascht, wie viel Spaß meine Mutter beim Dressurreiten hatte.
Beim Abendessen, als Lynn, Mom, Jason und ich dann am Tisch saßen und Ben zu unseren Füßen lag, hatte ich das Bild vor Augen, von meiner früheren Familie.
„Guten Appetit", kam es plötzlich von Peter und er setzte sich verspätet zu uns. Er begann von Schmiddi zu erzählen und dass das Pferd nun bald auf großen Turnieren geritten werden kann. Es erinnerte mich sehr an früher, als Dad noch bei uns war. Doch das Gefühl, dass jetzt in mir war, wie ich hier so saß mit Jason, Lynn, Mom und Peter, es war anders als das Gefühl mit Dad. Es fühlte sich anders vertraut an und das war gut so. Dad würde nie ersetzt werden, doch man könnte das Loch ein wenig verkleinern, welches geblieben war. Die Zeit würde ich nie vergessen können mit ihm, aber ich könnte auch nicht für immer in der Vergangenheit leben. Als mein Handy in der Hosentasche vibrierte und ich kurz rauf sah, kam mir wieder etwas in den Sinn.
„Mom", begann ich und legte mein Besteck zur Seite. Sie sah mich aufmerksam an und ich fuhr fort, „erinnerst du dich noch an das, was ich in Daytona Beach zu dir sagte, kurz bevor wir hier her kamen vor einem Jahr? Wir hatten uns gerade gestritten". Etwas unschlüssig schüttelte Mom den Kopf.
„Ich meinte, eines Tages kaufe ich Nightwish, weil du in ihm kein brauchbares Pferd sahst", half ich ihr auf die Sprünge. Mom erinnerte sich wieder und nickte.
„Hier", meinte ich und holte aus meiner Jackentaschen einen Umschlag. Zögerlich nahm sie ihn entgegen und öffnete ihn. Sie holte als erstes die Liste raus, auf der die Summe des Schadens stand, die mein Pferd in seinen frühen Jahren angerichtet hatte. Dann nahm sie das Geld raus.
„Das ist aber viel mehr Geld, als auf der Liste steht.", meinte sie.
„Nightwishs Wert ist auch im letzten Jahr gestiegen.", erwiderte ich. Dann holte Mom den letzten Zettel raus und faltete ihn auseinander. Es war der Kaufvertrag. Ich hatte bereits unterschrieben. Mit großen Augen sah Mom mich an. Ich kramte aus meiner anderen Jackentasche einen Kugelschreiber und reichte ihr ihn. Sie las mindestens dreimal den Kaufvertrag durch. Peter räusperte sich und wollte wohl etwas sagen, doch sie unterbrach ich. Stumm setzte sie ihre Unterschrift unter den Kaufvertrag.
„Susann. Sowas kann man doch nicht beim Essen machen", gab Peter empört von sich.
„Es war schon lange geplant", erwiderte Mom nur.
„Weißt du, wie viel Geld du gerade an deine Tochter gegeben hast. Das was sie dir an Geld gegeben hat steht in keinem Verhältnis zu dem, was Nightwish wert ist", plapperte Peter weiter. Jason sah seinen Onkel böse an und trat ihm unter dem Tisch gegens Schienbein. Mom legte gefrustet ihr Besteck zur Seite und sah ihren Freund an.
„Peter, es geht hier nicht ums Geld. Es geht ums Tier! Und ich hab kein Recht der Halter dieses Pferdes zu sein, wenn ich es all die Jahre loswerden wollte und Luna sich mit Herzblut um dieses Tier kümmert. Ich habe keinen Bezug zu Nightwish. Die Summe die ich für ihn bekommen habe von ihr, deckt die Kosten, die ich je für ihn ausgeben musste. Es war ein fairer Deal", konterte Mom ernst und aß dann schweigend weiter.
„Wo hast du das ganze Geld her?", wollte Lynn von mir wissen
„Preisgelder und ich habe für Adam gearbeitet", erwiderte ich schief grinsend.
„Wie das?", hakte Peter nach.
„Ich hab eins seiner Pferde trainiert", entgegnete ich.
„Siehst du, sie hat etwas dafür getan. Sie hat es verdient dieses Pferd zu besitzen", meinte Mom.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...