Lynn kam verschlafen in die Küche.
„Guten Morgen Madame. Sind Sie auch endlich aufgestanden?", neckte Katie meine Schwester. Sie brummte müde vor sich hin.
„Heute kümmern wir uns um die Pferde und gehen zum See?", wollte Lynn wissen und sah in die Runde. Ihre Blicke blieben bei mir hängen.
„Ist dir was über die Leber gelaufen. Hast du schlechte Laune, weil für Morgen Regen vorhergesagt ist?", gab sie amüsiert von sich. Doch als sie Jasons ernste Blicke sah, verstummte sie. Meine Schwester setzte sich zu mir an den Tisch und sah mich an.
„Was ist los, Luna?", fragte sie besorgt. Ich atmete tief ein und sah sie verletzlich an.
„Der Tierarzt hat angerufen wegen den Blutwerten", meinte ich heiser. Lynn sah mich schockiert an.
„Was hat er gesagt? Wie viel Wochen noch?", wollte sie wissen. Ich schüttelte den Kopf und spürte wie mir die Tränen hoch kamen.
„Keine Wochen, Lynn.", brach ich heiser hervor und sah auf die Tischplatte. Lynn legte ihre Hand auf meine Schulter und sah Jason fragend an.
„Morgen Abend", gab er leise von sich und sah dann auf sein ausgeschaltetes Handy. Katie saß schockiert uns gegenüber und war nicht in der Lage sich zu bewegen. Mia, Grace und Emma kamen fröhlich plappernd in die Küche mit frischen Brötchen in der Hand. Als sie mich mit Tränen sahen und die schockierten Gesichter von Lynn und Katie, verstummten sie.
„Was ist passiert?", fragte Mia vorsichtig und kam zu mir, um mich in den Arm zu nehmen. Katie und Lynn standen inzwischen auch die Tränen in den Augen, doch sie gaben sich alle Mühe, nicht zu weinen. Katie hielt sich, noch immer ungläubig, die Hand vor den Mund.
„Leute?", harkte Emma vorsichtig nach.
„Morgen Abend", begann Lynn stotternd, "morgen Abend werden wir Jonny verlieren". Kaum hatte sie es ausgesprochen, verfielen Emma, Grace und Mia auch in eine Starre, auf die eine Reihe von Emotionen folgte. Ich löste mich aus meiner Starre, stand vom Stuhl auf und verließ die Küche. Ich schluchzte zweimal und ging dann ins Wohnzimmer. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, da ich auf einmal fürchterlich zittern musste, und sah durch die große Fensterfront auf den Paddock. Dort stand er. Nightwish. Eines der besten Springpferde der Welt, nur noch Stunden von seinem letzten Sprung über die Brücke in die endlose Freiheit entfernt. Ich spürte zwei Arme über meinen Schultern und lehnte mich gegen Lynn.
„Er wird uns allen fehlen und vor allem dem Reitsport. Er ist ein Ausnahmetalent", gab sie leise von sich. Ich schüttelte den Kopf.
„Was bleibt mir ohne ihn? Was? Er ist alles was ich hab. Er ist meine Freizeit, mein Zuhause, mein Job, mein Leben", entgegnete ich
„Dir bleiben die Erinnerungen", erwiderte sie ruhig und strich über meinen Kopf.
„Er hat so unendlich viel für mich getan", schluchzte ich und drehte mich um, um gegen Lynns Schulter zu weinen.
„Und du gibst ihm so viel zurück. Du erlöst ihn, bevor er Schmerzen erleiden muss. Die letzten Monate hat er ein traumhaftes Leben gehabt. Du hast ihm ein Zuhause gegeben, indem du an ihn geglaubt hast, wenn es niemand getan hat. Du warst immer da für ihn, und sind wir mal ehrlich Luna, Jonny hat dich geliebt. So paradox es klingt: du warst die Liebe seines Lebens. Dieses Tier liebt dich. Und ihr könnt eins sagen: bis der Tod uns scheidet", meinte Lynn und am Ende versagte ihr Stimme, „mir bedeutet er auch so verdammt viel". Ich hob meinen Kopf und sah auf den Paddock, wo Jonny mit seinen Pferdefreunden graste. Ich atmete tief durch und sah zur Wohnzimmertür.
„Morgen Abend ist weg. Dann ist alles anders. Dann ist es vorbei. Die traumhafte Zeit, das Gefühl das er da ist. Lynn, er ist das letzte was uns von Daddy blieb und jetzt wird er auch gehen. Es wird einsam werden ohne ihn", seufzte ich und mein Blick landete wieder auf den 12 Pferden vor mir. Unterbewusst schüttelte ich den Kopf.
„Lasst uns ausreiten", gab ich tief durchatmend von mir. Lynn nickte und ließ mich los. Als wir in die Küche kamen, waren alle da.
„Aufsatteln, es geht raus in die Natur", meinte Lynn und ging zu Daniel, um von ihm in den Arm genommen zu werden. Ich ging zu Jason und legte meine Hände auf seine Schultern.
„Du kannst das Quad nehmen und mitkommen", schlug ich vor. Er nickte und wir machten uns alle auf, um die Pferde zu holen.
Knapp eine Stunde später ritten wir alle im Trab durch die Natur und ich konnte kaum glauben, dass ich das ab Morgen nie wieder könnte, zumindest nicht mit Jonny. Er wirkte so munter, so voller Energie, doch ab übermorgen könnte das Endstadium eintreten und das würde Schmerzen für ihn bedeuten. Ich wollte es nicht wahr haben und ritt einfach stumm meinen Weg. Kopf aus, Gefühle an.
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Nightwish
Teen FictionEr ist alles was ihr von ihrem Vater blieb. Er ist der Sohn des Pferdes, das Schuld an dem Tod von ihrem Vater ist und er ist keines Wegs ein einfacher Begleiter. In eine Springreiterfamilie rein geboren fällt Luna aufgrund einer Tatsache besonders...